Politiker in sozialen Netzwerken:"Frau Bär steht auf der ,Love'-Seite"

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Kaum ein Politiker setzt sich im Internet so mustergültig in Szene wie Dorothee Bär, die künftige Staatsministerin für Digitalisierung. Ein Kunsthistoriker hat ihre Selbstporträts analysiert.

Von Laura Hertreiter

Früher waren Herrscher darauf angewiesen, dass Maler und Fotografen sie günstig in Szene setzen. Heute sind sie mit Smartphones und Accounts ihre eigenen Bildproduzenten und können ihre Rolle selbst bestimmen. Klingt nach Selbstermächtigung und Deutungshoheit, kann aber schnell zum Desaster werden, weil die Rezeption von Bildern auf Facebook, Snapchat und Instagram nach eigenen Regeln funktioniert. CSU-Politikerin Dorothee Bär pflegt seit dreieinhalb Jahren einen Instagram-Account mit derzeit 11 000 Abonnenten, dessen Ästhetik, nun ja, weit über die gewohnte politische Ikonografie hinausgeht. Beherrscht also Frau Bär das Fotonetzwerk so gut wie kaum ein deutscher Politiker? Oder beherrscht das Netzwerk Frau Bär? Der Münchner Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich hat einige ihrer Bilder für die SZ analysiert. Ein Lehrstück über die künftige Ministerin für Digitales, vor allem aber über Instagram - in neun Lektionen.

Maskieren

(Foto: N/A)

"Ich schätze, dass die Darstellung mindestens so viele Menschen befremdet oder abstößt, wie sie begeistert, die Rezeptionsunterschiede sind bei solchen Bildern gewaltig. Aus dem Kontext genommen wirkt das gaga. Wir sehen das Selfie einer Spitzenpolitikerin, das mit einer Snapchat-Maske verfremdet ist. Solche Fotos veröffentlichen aber Millionen Nutzer in sozialen Netzwerken von sich. Das Gesicht wird zu einer Grimasse verzogen, um dem Publikum ein Schmunzeln zu entlocken oder um andere ebenfalls zu einem Selfie zu animieren. Wer in sozialen Netzwerken zu Hause ist, kann sich vermutlich gut damit identifizieren, immerhin demonstriert eine Politikerin hier, dass sie nicht unbedingt staatstragend dreinblicken muss. An diesem Bild zeigt sich das Besondere an Instagram: Die dort etablierten Bildmuster sind so wirkmächtig, dass sie 2000 Jahre alte, eigentlich ernste Bildtraditionen brechen, die für bestimmte Rollen und Berufe selbstverständlich waren."

Positionieren

(Foto: N/A)

"Interessant, dass sich Frau Bär vor das Münchner Siegestor stellt, um ihrer Community mitzuteilen, dass sie als Staatsministerin nominiert ist. Das Foto ist mit einem Filter bearbeitet, der das Licht hinter dem Bogen überzeichnet und an barocke Deckenmalereien denken lässt. So entsteht ein Pathos, das für diesen Account unüblich ist. Bleibt abzuwarten, wie sich die Bildästhetik mit dem neuen Amt entwickelt. Der Schriftzug, auf dem sie sich positioniert, ist ein temporäres Kunstwerk im öffentlichen Raum, von einer Seite ist er als ,Love' zu lesen, von der anderen als ,Hate'. Die Skulptur lässt sich als Kommentar zur emotionalisierten Gesellschaft in den sozialen Medien begreifen, in der Hate Speech und Emoji-Herzchenwelt aufeinanderprallen. Frau Bär steht auf der ,Love'-Seite. Der Optimismus, die Fröhlichkeit, die hier zur Schau gestellt werden, passen wiederum zum Charakter des Accounts, der wie ein Programm gegen Politikverdrossenheit aussieht."

Posieren

(Foto: N/A)

"Auf den ersten Blick ist das eine eher klassische Politikerinszenierung. Wir sehen Frau Bär Anfang Februar beim Unterzeichnen des Koalitionsvertrages. Damit wird die Wichtigkeit der eigenen Person herausgestellt. Im Hintergrund sind ältere Männer in Anzügen zu sehen. Möglicherweise soll die Inszenierung also auch signalisieren, dass Politik nun weiblicher und jünger wird. Das Foto ist sorgfältig gestellt, der Gesichtsausdruck demonstriert Ernsthaftigkeit, Würde und Feierlichkeit. Gleichzeitig aber fällt die ungewöhnliche Nähe auf, aus der das Foto aufgenommen wurde, wahrscheinlich hat ein direkt neben ihr sitzender Kollege den Auslöser gedrückt. Gerade wegen dieser Nähe sind Fotonetzwerke wie Instagram so erfolgreich: Sie verheißen Teilhabe und Backstage-Informationen. Diese sind in der Regel nicht bahnbrechend, aber emotionaler und näher am Alltag der Menschen als die Informationen aus Massenmedien."

Konsumieren

(Foto: N/A)

"Instagram ist die Plattform, auf der sich die Leute vor allem über das definieren, was sie konsumieren. Dieses Stillleben zeigt Geburtstagspräsente, die Dorothee Bär, die in diesem Jahr 40 wird, von ihren Mitarbeitern bekommen hat. In Art und Aussehen sind es aber Geschenke, wie sie sich Teenies gern machen. So soll offenbar Jugendlichkeit und Girlie-Power demonstriert werden. Die Vorliebe für Pink, für Glitzer, für Einhörner, für alles, was niedlich und flauschig ist, kommt auch auf vielen anderen Bildern ihres Accounts zum Ausdruck. Zugleich ist es in diesem Fall aber auch verwunderlich, wie unkritisch hier Konsummoden gefrönt wird. Auch die Fotos, die Frau Bär alljährlich zu Weihnachten postet, zeigen, dass sie das Ereignis vor allem als Konsumfest begreift. All das schürt natürlich die Bedenken ihrer Kritiker, sie könne in ihrem neuen Amt zu sehr auf Seiten der Wirtschaft stehen und zu wenig auf Seiten des Verbraucherschutzes."

Paparazzieren

(Foto: N/A)

"Das Bild ist auf der Trauerfeier zu Ehren Helmut Kohls entstanden. Bezeichnenderweise hat Frau Bär die Veranstaltung auch dazu genutzt, Promi-Selfies zu machen. Auf Instagram herrscht ja ein gewisser Wettbewerb darin, sich mit möglichst berühmten Mitmenschen zu fotografieren. Solche Bilder sind buchstäblich Schnapp-Schüsse: Man schnappt sich einen Prominenten und schießt schnell ein Foto. Der Blick ist in der Regel in die Kamera gerichtet, oft wird Eile sichtbar. Der Betrachter braucht gar nicht den Eindruck zu gewinnen, dass es über diesen Moment hinausgehende Interaktion, eine ernsthafte Begegnung gegeben hätte. Für ein solches Bild ist das Foto gut gelungen, die beiden Politiker sind auf Augenhöhe. Bill Clinton, der sicher einer der begehrtesten Selfie-Promis ist, ist mit seinem Blick und seiner Aufmerksamkeit schon woanders. Aber das macht nichts, dafür ist im Hintergrund auch noch Emmanuel Macron zu sehen."

Spiegeln

(Foto: N/A)

"Das Spiegel-Selfie ist auf Instagram ein fest etabliertes Genre. Es zeigt Menschen, die vor dem Spiegel ganz bewusst eine bestimmte Rolle einnehmen und diese mit dem Smartphone in der Hand dokumentieren. Das wird in der Regel durch eine nicht-alltägliche Mimik verdeutlicht, aufgerissene Augen, gespitzte Lippen, solche Dinge. In diesem Fall sehen wir Dorothee Bär, die sich im April 2016 als Prinzessin verkleidet hat. Der mit LED-Lämpchen besetzte Rock ist so auffällig, dass es hier keiner besonderen Mimik bedarf. Bezeichnend ist, dass das Foto offensichtlich schnell und spontan entstanden ist, im Hintergrund sind Aufzugtüren zu sehen, da war sicherlich kein Imageberater zugegen. Gerade deshalb sollte man Bilder wie dieses nicht mit Interpretationen überstrapazieren. Die Bilder sozialer Netzwerke erschöpfen sich häufig nach dem einen Gag, der auf den ersten Blick erkennbar ist, da gibt es oftmals keine weiteren Sinnebenen."

Privatisieren

(Foto: N/A)

"Hier kokettiert Dorothee Bär offenbar mit der Ästhetik und den Bildmustern von Influencern. Auch wenn sie mit ihren rund 10 000 Abonnenten noch nicht genug Reichweite hat, um einer zu sein und Werbegelder zu kassieren, ist das problematisch bei einer Frau in ihrer Position, von der man Unabhängigkeit von Marken und Moden erwartet. Ich würde auch nicht ausschließen, dass Frau Bär das Kaufverhalten einiger Menschen beeinflussen kann, wenn sie bestimmte Schuhe in die Kamera hält. Das Bild hat aber noch einen zweiten Aspekt: Auf Instagram gibt es inflationär viele Fußbilder, vermutlich weil das eine Möglichkeit ist, sich zu zeigen, ohne zu viel von sich preiszugeben. In diesem Fall sehen wir die Politikerin mit ihren Töchtern, also mit Kindern, deren Gesichter sie nie zeigen würde. Das ist typisch für die Bildlogik von Instagram: Man gibt sich möglichst persönlich und privat, vermeidet aber alles, was als intim empfunden werden könnte."

Überraschen

(Foto: N/A)

"Dieses Bild wäre in der bisherigen Herrschaftsikonographie kaum denkbar. Politiker wollen Weitblick signalisieren, Achtsamkeit, Umsicht. Geschlossene Augen gelten in diesem Kontext als unpassend, gar als Signal für Überforderung. Dorothee Bär bricht diese Logik, indem sie sich hier ganz nah und mit geschlossenen Augen zeigt. Stünde das Bild für sich alleine, würde es den Betrachter womöglich verunsichern. Aber nachdem Instagramfotos stets im Plural zu sehen sind, ist die Darstellung zugleich eine Abwechslung in der bunten Bildergeschichte, deren lachende Protagonistin sie meist ist. Gerade in Bezug auf die übrige Bildsprache ist das Schließen der Augen damit sogar ein souveräner Gestus, mit dem Frau Bär demonstriert, auch eine ernstere, nachdenkliche, gar existenzielle Seite zu besitzen. Daraus lässt sich sogar eine Legitimation für Macht ableiten: Wer zu Reflexion bereit ist, ist auch befähigt, weitreichende Entscheidungen zu treffen."

Demonstrieren

(Foto: N/A)

"Hier zeigt sich, dass Instagram neue Konventionen hervorgebracht hat. Wer eine bestimmte Rolle hat, muss sie beachten, um einen Fauxpas zu vermeiden. Ich folge vielen Politiker-Accounts, darunter ist kaum einer, der am 27. Januar nicht einen Beitrag zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gepostet hat. Die hier gewählte Variante ist klassisch: Zurückhaltende Mimik, gesenkter Kopf. Dazu der Hashtag des Tages in persönlicher Handschrift auf einem Zettel. Schwarz-Weiß ist das gängigste Stilmittel, wenn es um Vergangenheit, Tod, Trauer geht. In solchen Situationen erfordert das Netzwerk ein klares Bekenntnis, keine Originalität. Diese Art von Selfie-Gedenken oder Selfie-Protesten ist seit Jahren etabliert, wir kennen das vom Arabischen Frühling oder den Protesten gegen Boko Haram. Die visuellen Höflichkeitsstandards sind hier mustergültig eingehalten. Anders als viele ihrer Kollegen beherrscht Frau Bär die Codes des Netzwerks fast streberhaft."

© SZ vom 10.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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