Umbauarbeiten in Geretsried:Höchste Zeit für Tanne und Eiche

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Der kommunale Wald hat für die Stadt Geretsried zentrale Bedeutung. Er ist Erholungsraum für Menschen und Rückzugsraum für Tiere. Da er aber überwiegend aus Fichten besteht, die dem Klimawandel nicht standhalten, muss dringend eingegriffen werden

Von Felicitas Amler, Geretsried

Gut, dass die Wühlmaus keine Erlen mag. Und noch besser, dass Revierförster Sebastian Schlenz darauf gekommen ist. So konnte die Stadt Geretsried eine naturschutzrechtlich vorgeschriebene Ausgleichsfläche mit jungen Bäumen bepflanzen, ohne sie gleich wieder an die Wühler zu verlieren. Denn diese Erfahrung, so sagt Inken Domany, die Umweltfachfrau des Geretsrieder Rathauses, habe die Stadt schon zweimal gemacht. In Wiesen bei Königsdorf und am Tattenkofener Kreisel, wo die Stadt sich Ausgleichsflächen gesichert hatte, sei ein Drittel frisch gepflanzter Bäume und Sträucher von Wühlmäusen vernichtet worden. Besser lief es auf der ehemaligen Weidefläche, die Geretsried in Rampertshofen bei Dietramszell bepflanzt hat. Sie dient als Ausgleich für jenes Stück Wald, das der Natur durch das Gewerbegebiet Gelting-Ost abhanden gekommen ist. Und sie kann sich ungestört von Wühlmäusen zu einem Erlenwald entwickeln. 3300 Bäumchen wurden dort gesetzt.

Wald hat für die 26 000-Einwohner-Stadt Geretsried eine große Bedeutung - für Natur- und Klimaschutz, zur Erholung und zur Holznutzung. Mit rund 140 Hektar ist der Geretsrieder der zweitgrößte kommunale Wald im Bereich des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Holzkirchen - nach Bad Tölz. Und sogar für die Geretsrieder Entstehungsgeschichte ist er ausschlaggebend. Die Stadt würde ohne den Föhrenwald, den dicht bewachsenen Wolfratshauser Forst, gar nicht in ihrer heutigen Form existieren.

Getarnte NS-Betriebe

Das NS-Regime nutzte dieses Gelände zur Ansiedlung zweier riesiger Rüstungsbetriebe mit beinahe 600 kleinen und großen Bunkern. Der Wald diente zur Tarnung vor dem "Feind". Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Heimatvertriebene in den dazugehörigen Arbeiter- und Zwangsarbeiterlagern untergebracht. Sie waren es, die Geretsried erst aufbauten. Von daher hat die Stadt ihre ungewöhnlich gestreckte Form, immer an der Isar entlang, die von den Nazis als Wasserquelle genutzt wurde für die Dampfturbinen der Kraftwerke in der Rüstungsproduktion und zur Heizung der Gebäude. Aus dieser Historie resultiert der enorme Waldbesitz der Stadt.

So ein großer Bestand bedeutet freilich auch eine große Verantwortung. Und die ist in den Zeiten des weltweiten Klimawandels noch gestiegen. Die Stadt Geretsried hat die Aufgabe der Bewirtschaftung des Waldes dem staatlichen Forstamt Holzkirchen übertragen. Mit diesem arbeitet die städtische Umweltbeauftragte Inken Domany eng - und, wie sie betont, sehr gut - zusammen. Der stellvertretende Amtsleiter Christian Webert und Revierförster Sebastian Schlenz haben soeben den neuen Waldbewirtschaftungsplan vorgelegt, der für 20 Jahre gilt.

Wesentliches Ziel dieses Plans ist es, einen stabilen, optimal gemischten Wald zu etablieren. Derzeit, so die Bestandsaufnahme, machen Fichte und Buche mit mehr als 60 Prozent den größten Teil des Geretsrieder Forsts aus. Kiefer, auch Föhre genannt, ist mit 16 Prozent vertreten, Edellaubholz mit zehn, Eiche nur mit zwei Prozent. Die Fichte aber hat es in Zeiten des Klimawandels mit zunehmender Hitze, Trockenheit und immer häufigeren Stürmen schwer. Sie knickt schneller um und wird stärker vom Borkenkäfer befallen als andere. Ihr Bestand soll daher vorsorglich durch widerstandsfähigere Arten in den Hintergrund gedrängt werden. Dies sind vor allem Tanne, Eiche und Buche, erläutert Forstamtssprecher Webert. "Unser Ziel ist es, den Wald mit mehr Baumarten breiter aufzustellen", sagt er. Neben den genannten heimischen Arten, die das Gros der Neupflanzungen ausmachten, werde auch ein wenig mit wärmeliebenden fremdländischen Bäumen experimentiert - punktuell mit Elsbeere und, in zwei umzäunten Testgebieten bei Buchberg, mit Baumhasel und Zeder. "Wir wollen schauen, wie die sich etablieren", sagt Webert. Man müsse dies aber schon über Jahrzehnte hin beobachten.

Waldmeister-Buchenwald

Der Geretsrieder Wald ist in mehrere Distrikte aufgeteilt. Als eigentlichen "Stadtwald" bezeichnen die Fachleute nur den Abschnitt innerhalb der Stadt. Dort handelt es sich, wie Inken Domany erklärt, um Waldmeister-Buchenwald, bei Buchberg hingegen um Schneeheide-Kiefernwald. Beide Kategorien werden durch ihre jeweiligen Namensgeber geprägt; die einen sind eher auf Schotterboden ansässig, die anderen auf nährstoffreicherem Untergrund. Hier wie dort gesellt sich zur Flora eine reiche Fauna. Im Stadtwald lässt sich dies auf einer Tafel nachlesen, die gleichzeitig deutlich macht, wie wichtig es ist, dass der Wald nicht aufgeräumt wird wie ein Wohnzimmer. Alt- und Totholz sind demnach Lebensraum für Stare und vielerlei Spechte, Blaumeisen, Schmetterlinge wie den Kaisermantel, Wald-, Spitz- und Gelbhalsmaus, Erdkröten und Hornissen. Rehe dürften sich eher nicht in den von dicht befahrenen Straßen umsäumten Stadtwald verirren, sagt Domany. Sie sind aber im Wald bei Buchberg heimisch.

Man muss genau hinsehen, dann entdeckt man die heuer im Frühjahr gepflanzten Zedern – ein Versuchsprojekt der Forstleute, hier der stellvertretende Amtsleiter Christian Webert mit seiner Hündin Bella. (Foto: Hartmut Pöstges)

Und dort wird ihr Bestand vom Jäger gedrosselt. Webert betont, die Jagd habe für diesen Wald eine Schlüsselfunktion. Gerade mit Blick auf den Waldumbau sei sie wichtig, um frisch gepflanzte Bäumchen vor Verbiss zu schützen. Dies ist auch im aktuellen Stadtblatt "Geretsried(er)Leben" nachzulesen. Sowohl zwischen Geretsried und Waldram als auch nördlich und südlich des Stadtteils Stein müsse der Wildbestand so reguliert werden, "dass alle Baumarten für einen klimafesten Zukunftswald aufwachsen können". Und gerade Tanne und Eiche, die verstärkt angesiedelt werden sollen, schmeckten Rehen besonders gut. Das Jagen in Stadtnähe und entlang von Straßen sei aber schwierig, sagt Webert. Umso mehr, als der Wald etwa bei Buchberg auch von Radlern und Fußgängern stark und häufig lange besucht sei.

Denn auch dies ist eine zentrale Funktion des Waldes in und um Geretsried: die Erholung. Spaziergänger, Gassigeher mit ihren Hunden, Läufer oder Menschen, die den Trimm-dich-Parcours nutzen - für sie alle sei der Stadtwald "enorm wichtig", sagt Inken Domany, egal ob sie alt oder jung, sportlich oder eher gemütlich unterwegs seien. "Man kann hier Kraft tanken", so die Biologin. Und der Wald sei schließlich auch "die grüne Lunge" der Stadt. Fürs Klima sei das von großer Bedeutung. Denn Bäume binden das klimaschädliche Kohlendioxid. "Es wird frische Luft produziert", so Domany. Der Wald habe daher "eine unheimliche Pufferwirkung" für den Temperatur- und den Wasserhaushalt.

Auch deswegen wird möglichst nur so viel gefällt oder entfernt wie nachwächst. Dies seien im Stadtwald etwa zehn Festmeter pro Hektar und Jahr, so Revierförster Sebastian Schlenz. In den vergangenen drei Jahren habe es einen großen Überschuss an Schadholz gegeben, das aus dem Wald raus musste - "fast 3000 Festmeter Käferholz", wie Schlenz sagt. Damit sind jene Bäume gemeint, die vom Borkenkäfer befallen waren - einem Tier, das im Wald gar nicht gern gesehen wird.

Hoffnung auf den Hirschkäfer

Ein weiteres konkretes Ziel des neuen Plans ist die Erhöhung des Anteils an Totholz- und Biotopbäumen. Anders gesagt: Man lässt möglichst viel liegen. Denn gerade im Totholz entwickle sich Leben, erklärt Schlenz. Es sichere Habitate für Kleiber, Blaumeise, Grün- und Buntspecht, Bart-, Fransen-, Mops- und Zwergfledermaus. Derzeit gebe es zwei Biotopbäume je Hektar, drei sollen es kurzfristig werden. Der Totholzvorrat liege bei 4,2 Kubikmeter je Hektar, Ziel seien sechs. Und während die Förster froh sind, wenn sie den Borkenkäfer jedes Mal bei einem Befall möglichst schnell wieder aus dem Stadtwald herausbekommen, hoffen sie, dass sich eine andere Insektenart bald dort einfindet: der Hirschkäfer. Denn der ziehe "eine Riesenkette an Arten" nach sich, erklärt Schlenz. Und was dem Hirschkäfer besonders gut schmeckt, ist auch bekannt: alles, was die Eiche zu bieten hat - eben jener Baum, den man im Geretsrieder Wald gern vermehrt sähe.

© SZ vom 28.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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