Journalist nach Folterhaft in Afghanistan:Gefangen in den eigenen Erinnerungen

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"Ich sehe immer diese extremen Bilder": 1992 wurde der Journalist Johannes L. sechs Monate lang in einem afghanischen Gefängnis von Taliban-Kämpfern gefoltert und verhört. Bis heute leidet er unter den Folgen.

Isabel Meixner

Wie er in Pakistan auf der Landstraße landete, mit einem Körpergewicht von 38 Kilogramm, daran erinnert sich der Fernsehjournalist Johannes L. (Name geändert) nicht. Ebenso wenig an die letzten drei Monate seiner Gefangenschaft in einem afghanischen Gefängnis. Doch immer wieder, erzählt der 50-Jährige, kommen diese "Wahnsinnsbilder" in ihm hoch. Bilder, in denen er auf ein Brett gefesselt rücklings ins Wasser getaucht wird. Bilder seiner eigenen Folterung. Bilder, in denen er dem Tod näher ist als dem Leben.

38 Kilogramm wog Johannes L. noch, als er nach seiner sechsmonatigen Gefangenschaft auf einer Straße in Pakistan gefunden wurde. Wie er dort hinkam und was in den letzten drei Monaten seiner Gefangenschaft geschehen war, weiß er bis heute nicht. (Foto: Marco Einfeldt)

Sechs Monate lang war Johannes L. im Jahr 1992 inhaftiert, in einer Zeit, in der Afghanistan nach dem sowjetischen Krieg im Chaos versank. Noch heute, fast 20 Jahre später, kämpft er mit den Folgen: Nachts wacht er mehrmals schweißgebadet auf, tagsüber durchlebt er in Trauma-Anfällen innerhalb von Sekunden die Tage seiner Folterungen. "Ich komme damit nicht klar", sagt Johannes L., und sein Blick schweift hilfesuchend durch den Raum.

Er habe etwas bewegen wollen mit seinen Videos, der Welt zeigen wollen, was in Afghanistan passiert, erzählt L.. Deshalb reiste er 1992 zum wiederholten Mal nach Afghanistan - undercover. Journalisten war die Einreise damals verboten. Einer Nomaden-Familie zahlte er 1000 Dollar, dafür durfte er mit ihnen reisen.

Vier Monate ging das gut, doch dann die fatale Fahrt in der Nähe des Hochgebirges. "Wir haben schon von der Ferne Autos gesehen", erinnert sich L.. Militante Taliban-Kämpfer, die sich zu dieser Zeit formierten. Sie zwangen die Familie, ihre Burka auszuziehen, und entdeckten den Deutschen mit seiner Kamera - das Todesurteil für die Großeltern. Sie wurden als Vergeltung vor L.'s Augen erschossen, der Journalist selbst wurde abtransportiert.

Was Johannes L. in den folgenden sechs Monaten erlebte, darüber kann er nur Andeutungen machen: "Ich habe alle Folterungen erlebt, die man sich vorstellen kann. Das kann und will ich nicht in Worte fassen." Erst im Sommer erfuhren seine Eltern von dem Waterboarding und dem Aderlass, mit denen die Taliban ihn zum Reden bringen wollten, von den Steinigungen, die er sich anschauen musste, von den immer wiederkehrenden Verhören. Was die Taliban von ihm wissen wollten? "Ich hatte Kontakte zu einigen russischen Offizieren und religiösen Gruppierungen. Sie wollten Informationen über deren Pläne haben."

"Ich habe mir immer gesagt: 'Atmen, atmen, atmen'"

Hat er geredet? "Nein. Denn hätte ich etwas gesagt, wäre ich anschließend tot gewesen." Wie er diese Zeit überlebt hat? "Ich habe mir innerlich immer gesagt: 'Atmen, atmen, atmen'." Dem Journalisten fällt es sichtlich schwer, über diese Zeit zu sprechen. Seine Stimme zittert, nervös wippt er mit dem Fuß und zündet eine Zigarette nach der anderen an. "Ich flattere innerlich ganz schön", gibt er zu. Nicht einmal Freunden hat er sich bis heute offenbart.

Nach drei Monaten Gefangenschaft schaltete er ab. Bis heute weiß Johannes L. nicht, was in dieser Zeit passiert ist. Auch das Jahr nach seiner Gefangenschaft, in dem er in einer Traumaklinik in Deutschland lebte, ist aus seiner Erinnerung gestrichen. "Ich war so gefesselt, ich konnte die Realität nicht mehr wahrnehmen."

Zwölf Monate lang redete er nicht, er merkte nicht einmal, dass er nicht mehr gefangen war. Wenn eine Tür oder ein Fenster zu fiel, kroch Johannes L. panisch in eine Ecke. Eine Trauma-Therapie lehnte er damals ab - ein Fehler, meint er heute. Stattdessen stürzte er sich in die Arbeit, 16 Jahre lang, um die Erinnerungen zu verdrängen. Ob ihm das gelang? "Ja - weil ich so viel gearbeitet habe, dass ich abends vor Erschöpfung umgefallen bin."

Mit den Medikamenten kamen die Erinnerungen

Erst 2008 drängten die Bilder zurück in die Erinnerung. L. hatte sich bei einem Sturz eine Entzündung und Haarrisse in der Wirbelsäule zugezogen und musste Morphine nehmen. Die Medikamente ließen immer mehr Erinnerungen hochkommen. "Ich verstand nicht, was mit mir geschah. Ich hatte keinen Bezug zu den Bildern." Damals sei er hochgradig selbstmordgefährdet gewesen: "Ich sah diese extremen Bilder und konnte mich wegen der Medikamente nicht mitteilen."

Auch heute hat er wieder Suizidgedanken, gibt Johannes L. zu. Seit einem Monat wird er von Asthma-Anfällen heimgesucht, eine Spätfolge des simulierten Ertrinkens beim Waterboarding. Dazu die ständigen Schmerzen, die von seiner kaputten Wirbelsäule ausgehen und ein Arbeiten unmöglich machen. "Ich muss akzeptieren, dass ich nie wieder als Journalist arbeiten kann", sagt er, und dabei stehen im Tränen in den Augen. Diese Perspektivlosigkeit sei das Schlimmste an seiner jetzigen Situation, meint Johannes L.: "Ich bin 50 Jahre alt. Ich will mich selbst versorgen können."

"Für den Medienrummel fehlt mir die Kraft"

Derzeit lebt er von 356 Euro Hilfe zum Lebensunterhalt. Lebt er, wie derzeit, in einer Schmerz- und Traumaklinik, um sich wegen seiner gesundheitlichen und psychischen Probleme behandeln zu lassen, wird das Geld auf 96 Euro gekürzt. Seine Familie habe ihm empfohlen, das 1500-seitige Buch, das er über seine Leidenszeit geschrieben hat, zu veröffentlichen. Aber das will er nicht: "Für den Medienrummel fehlt mir die Kraft."

Ob er die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan verfolgt? "Ich vermeide es. Das nimmt mich zu sehr mit." Denn die Fotos und Filme würden bei ihm Erinnerungen hervorrufen. Erinnerungen an die Gefangenschaft, die Folter, die Todesangst - und an die staubige Landstraße in Pakistan, auf der er halb verhungert gefunden wurde.

© SZ vom 24.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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