Tassilo:Mit hartnäckiger Hingabe

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Kandidat für den SZ-Kulturpreis: Der Lenggrieser Silberschmied Markus Pollinger lotet als Künstler das Thema Gefäß aus. In seiner jüngsten Serie verwandelt er Formen aus der Massenproduktion in eigenwillige Unikate. Kleinere Macken sind dabei durchaus erwünscht

Von Stephanie Schwaderer, Lenggries

Ist das wirklich noch ein Gefäß? Das verbeulte Kupferobjekt erinnert auf den ersten Blick an einen Blumenübertopf - nach einem Fenstersturz aus großer Höhe. Was irritiert: Der Topf hat kein Loch. Es gibt keine Öffnung. Markus Pollinger hat ihm einen Deckel verpasst, und zwar mit dem Schweißgerät. Was dann passiert ist, begeistert ihn noch immer. "Beim Abkühlen entsteht ein Vakuum", erklärt er, "das Objekt zieht sich zusammen." Dabei bildeten sich Dellen und Falten, Krümmungen und Knautschzonen, wie sie allein von Hand niemals herzustellen wären. "Es ist ein Spiel mit äußeren und inneren Kräften", sagt Pollinger. Und er spielt es mit hartnäckiger Hingabe.

Pollinger zählt zu den ganz wenigen jungen Silberschmieden in Deutschland, die es wagen, sich mit ihrer Kunst selbständig zu machen. 2017 hat er für seine erste Reihe "Gefäße" den Bayerischen Staatspreis gewonnen. "Eher zufällig", wie der 36-Jährige bescheiden sagt. Mehrere Jahre hatte er da schon mit dem Vakuumeffekt experimentiert und immer wieder neue Materialien und Formen ausgetestet. "Es darf nicht zu dünn sein, sonst reißt es, und nicht zu dick, sonst passiert nichts." Der Gedanke, eine Urform zu zerstören und damit einem neuen, einzigartigen Objekt Raum zu geben, fasziniert ihn. Bei den Menschen sei das ja ganz ähnlich, sinniert er. "Auch auf sie wirken äußere und innere Kräfte ein, dadurch verändern sie sich."

Was hält ein Material aus? Wie weit kann man gehen? Schon als Siebenjähriger habe er im Keller seines Elternhauses alles verarbeitet, was ihm in die Hände gekommen sei - vom Holzscheit bis zur Garnrolle. Noch immer verwendet er gerne Naturmaterialien und Fundstücke, etwa wenn es darum geht, einen passenden Griff für ein handgeschmiedetes Damaszener-Messer zu fertigen. Zigtausende Hammerschläge und unzählige Stunden Arbeit steckt er in diese Stücke. Dafür hätten Arbeiten aus Metall auch eine besondere Wertigkeit. "Weil sie in tausend Jahren noch so ausschauen wie heute - vorausgesetzt, die Enkel schmeißen nicht alles weg."

Eine Werkstatt samt Schmiede

Sein Handwerk hat Pollinger auf der Berufsfachschule für Glas und Schmuck in Neugablonz erlernt. Nach den Gesellenprüfungen zum Silber- und Goldschmied hängte er in München die Meisterprüfung dran. "Aber bei der Arbeit hat mir immer etwas gefehlt", erzählt er, "ich wollte mehr reinlegen, mehr aufzeigen." Also studierte er an den Kunstakademien in Nürnberg und München, beide Male mit Abschluss, und vertiefte seine Sichtweise: Was will ich damit? Warum schaut das so und nicht anders aus? Zehn Jahre Studium, derweil er sich finanziell mit kleinen Aufträgen als Gold- und Silberschmied über Wasser hielt und sich in Lenggries eine Werkstatt samt Schmiede aufbaute. "Ein Traum", resümiert er. "Andere kaufen sich, wenn sie Geld haben, ein neues Fahrrad. Ich kaufe mir neues Werkzeug." Reich wird man auf diese Weise nicht.

So erfinderisch Pollinger bei der Arbeit ist, so sparsam ist er mit den Worten. Seine neueste Serie künstlerischer Arbeiten heißt "Gefäße 21". Diese erinnern in ihrer Originalität an die Vakuum-Serie aus dem Jahr 2017, haben mit ihr ansonsten aber wenig gemein. Die geschwungenen Körper in Kupfer, Silber oder Gold - edle Geschöpfe von betörender Fremdheit - haben Schnäbel oder markante Trichteröffnungen. Sie alle lassen sich befüllen und sind prinzipiell funktionsfähig.

Aladins Wunderlampe? (Foto: Privat/OH)

Da gibt es etwa eine siamesische Kaffeekanne oder ein Gefäß mit der Anmutung eines U-Boots; die Kreation daneben könnte mit Aladins Wunderlampe verwandt sein, die nächste, ganz in Gold, sieht aus wie von einem anderen Stern gefallen. "Diese hat etwas von einer schwangeren Frau", sagt Pollinger und holt behutsam eine gewölbte Kupferskulptur aus dem Regal, die ihr Gewicht auf schmalem Fuß ausbalanciert.

Aus der Autoproduktion

Ein verborgener Witz liegt darin, dass all diese Einzelstücke aus nur fünf Grundformen bestehen, die bei der Autoproduktion - "BMW, Mercedes, Bugatti" - verwendet werden. Massenware. "Normalerweise werden die Formen als Getriebe-Abdeckungen tief im Motor verbaut", erklärt Pollinger. Er habe die Gelegenheit genutzt, bei einem Auto-Zulieferer Bleche aus Silber, Kupfer, Alu und Edelstahl in die Originalformen zu pressen.

Um die Rohformen zu trennen und zu schneiden, hat er ein eigenes Verfahren entwickelt. Anschließend kommt der kreative Teil. Der Künstler setzt die Formen neu zusammen und ergänzt sie durch Rohre oder Henkel. Die Schweißnähte dürfen dabei ebenso sichtbar bleiben wie die ein oder andere Delle. "So etwas zeichnet ein Individuum aus."

Seine Gefäße hat er auf Ausstellungen im In- und Ausland präsentiert und viel Lob geerntet. Verkauft hat er noch keines. "Ich bin nicht der Marketing-Experte", räumt er ein. "Von hundert Lenggriesern wissen vermutlich 95 noch nicht, dass ich da bin." Seinen Schaffensdrang bremst das nicht. Der Reiz liege für ihn darin, "aus einem Massen- und Wegwerfprodukt ein Objekt zu machen, das für sich steht und schön anzusehen ist", sagt Pollinger. "Etwas zu schaffen, das noch nie da war."

Wenn Sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten für den SZ-Kulturpreis vorschlagen wollen, schreiben Sie bitte bis 30. April an tassilo@sz.de

© SZ vom 15.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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