Streik bei der BOB:Kalt erwischt

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Dienstag, 7.10 Uhr, Temperaturen weit im Minusbereich: Der Tölzer Bahnhof ist wegen des Streiks bei der BOB ungewöhnlich leer. (Foto: Manfred Neubauer)

Viele Passagiere konnten sich auf den Ausstand einstellen, für Schüler gibt es Ersatzbusse. Etliche frieren aber auch am Tölzer Bahnhof - ein Fahrgastverband nennt die Aktion "frech und unverschämt".

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Der Geschäftsmann aus Bad Tölz wirkt trotz seiner grau melierten Jahre juvenil, an diesem frühen Morgen allerdings auch etwas gestresst. Er hat einen Flug von München nach Köln gebucht, "ein wichtiger Termin", sagt er. Aber erst am Tölzer Bahnhof erfährt er, dass die erste Etappe seiner Reise problematisch wird: Die Bayerische Oberlandbahn (BOB) fährt am Dienstag wegen des Warnstreiks der Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft (EVG) bis 9 Uhr gar nicht. Der Mann mit Koffer und Reisetasche, der nicht namentlich genannt werden will, ist sauer. Jedes Mal, wenn er mit der BOB fahren möchte, falle sie wegen Schnee oder Streiks aus, ärgert er sich. "Einmal habe ich das Ticket vor Wut schon zerrissen." Besser wäre es nach seiner Ansicht, wenn die S-Bahn bis in den Süden des Landkreises ausgebaut würde. "Dann kann man wenigstens davon ausgehen, dass es in regelmäßigen Abständen einen Zugverkehr gibt."

Normalerweise sind die beiden Bahnsteige in Tölz in der Frühe voller Menschen. Kinder und Jugendliche warten vor allem auf dem Perron gleich am Bahnhofsgebäude, um einen Zug nach Lenggries zu nehmen und von dort dann weiter zu kommen, etwa zum Gymnasium Hohenburg. In der Gegenrichtung sind die Berufspendler in der Mehrzahl, die meist in München arbeiten. Aber an diesem eiskalten Wintermorgen wirkt der Bahnhof beinahe verwaist. Obwohl die EVG erst am Montag um 17 Uhr den Warnstreik für 2 bis 9 Uhr angekündigt hatte, haben etliche Bahnkunden die Nachricht offenbar mitbekommen und umdisponiert.

Allerdings nicht alle. Ein junges Mädchen schaut erst auf ihr Smartphone, dann ratlos auf die schmale Leuchtanzeige, auf der sonst die Abfahrt der Züge angekündigt wird. Dort flimmern immer wieder zwei Sätze vorüber: "Aufgrund des Streiks der EVG ist der Zugverkehr beeinträchtigt. Bitte informieren Sie sich auch im Internet." Am Schalter im Bahnhofsgebäude bekamen die Reisenden keine weiteren Auskünfte. Auch die 17 Jahre alte Barbara Hierl aus Bad Tölz drückt auf ihrem Handy herum. Der Ausfall der BOB trifft die Schülerin, die in die Mittelschule in Gaißach geht, indes nicht ganz unvorbereitet. "Meine Mama hat heute früh so was gesagt", erzählt sie. Aber sie habe gehofft, dass vielleicht doch ein Zug fahre. Falls nicht, "dann werde ich eben meinen Klassenkameraden schreiben, dass ich etwas später komme".

Die Folgen des Streiks halten sich am St. Ursula-Gymnasium auf Schloss Hohenburg in Lenggries in Grenzen. "Es gab keine massiven Auswirkungen", berichtet Schuldirektor Christoph Beck. Dies liegt vor allem daran, dass die Oberlandbahn in einem Notfahrplan für Schulen den Zug um 7.05 Uhr ab Holzkirchen, der um 7.41 Uhr in Lenggries eintrifft, einsetzen lassen kann. "Das ist der Zug, mit dem die meisten unserer Schülerinnen fahren", sagt Beck. Dennoch habe es einige Anrufe von Gymnasiastinnen gegeben, dass sie ihre Verbindung nicht gekriegt hätten. "Sie wurden aufgefordert, so bald wie möglich zu kommen", sagt Beck.

Heftige Kritik an dem vorübergehenden Ausstand in der BOB und im Meridian übt die Aktion Münchner Fahrgäste, die sich der Vergangenheit eher gewerkschaftsfreundlich gezeigt hatte. "Ein so kurzfristig angekündigter Warnstreik ist bei diesen Witterungsbedingungen frech und unverschämt", urteilt Sprecher Andreas Nagel. Frierende Schulkinder dürften nicht Opfer von Tarifauseinandersetzungen werden. Im Streit zwischen BOB und EVG geht es vor allem um Gastfahrten. Wenn ein Lokführer seinen Dienstsitz in Freilassing hat, von einem Kollegen aber einen Zug in München übernehmen muss, soll er diese Dienstfahrt voll und nicht bloß zur Hälfte wie bisher vergütet bekommen - das fordert die Gewerkschaft. Die Oberlandbahn bietet eine ganze Bezahlung hingegen erst ab 2017 an. Für die Aktion Münchner Fahrgäste ist dies kein Grund für einen Ausstand. BOB und EVG sollten sich "wieder an den Verhandlungstisch begeben", reklamiert Nagel.

Auf einer der Holzbänke im Bahnhofsgebäude sitzt Caroline Borlon und wartet. Von dem Streik weiß sie nichts. Als die Tölzerin davon erfährt, reagiert sie erst ungläubig - "das ist jetzt nicht Ihr Ernst" - und wird dann richtig wütend. "Die gehören in die Luft gejagt", entfährt es ihr. Auch ein Mann neben ihr, der zur Arbeit nach Lenggries muss und ein Handy ans Ohr hält, äußert sich ungehalten. Das sei ja wohl ein Witz, meint er. "Das ist so was von unverschämt." Ruth Emrich bleibt hingegen ruhig. Als sie am Montagabend mit der BOB zurück nach Bad Tölz fuhr, kam ein Fahrgast-Interviewer auf sie zu und informierte sie während der Befragung auch über den möglichen Streik. "Ich hatte gehofft, dass er noch abgewendet wird", sagt Emrich. Aber nachts habe sie dann nicht mehr ins Internet geschaut - "vergessen, verdrängt".

Am Ende kommen Caroline Borlon, Ruth Emrich und der Geschäftsmann mit dem Termin in Köln zügig von Bad Tölz fort. Alle drei nehmen sich zusammen ein Taxi auf dem Vorplatz. Von dort erscheint ein Busfahrer, der einer kleinen Gruppe Schüler, die auf dem Perron nach München steht, quer über die Gleise zuruft: "Nach Holzkirchen hätt' ma do an Bus." Die Mädchen und Jungen setzen sich daraufhin in Bewegung und eilen durch die zwei Unterführungen zum Parkplatz an der Eichmühlstraße. Sie dürften es noch rechtzeitig ins Klassenzimmer geschafft haben.

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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