Die beiden Moritatensänger ziehen die alte Drehorgel bis in den hintersten Winkel des Plastikzelts. Das bunt bemalte Prachtstück macht viel mit, aber das 100 Jahre Holz darf keine Feuchtigkeit ziehen. Gerade noch hat Serena Buchner, mit Dutt und Blume im Haar, das schauerliche Bänkellied von der holden Blume Männertreu zum Besten gegeben und Martin Bayer, stilecht im Zylinder und rotem Samtfrack, die Kurbel des nostalgischen Leierkastens gedreht, da setzt um 17 Uhr der Platzregen ein. Nach einer Viertelstunde wird klar: Das wird heute nichts mehr mit dem Wetter. Der Regen hat die Leute vertrieben, und wenn sie erst mal weg sind, dann kommen sie erfahrungsgemäß nicht mehr wieder. Buchner und Bayer packen zusammen: die gestanzten Notenrollen für das stattliche Musikrepertoire an Moritatenliedern wie "Die Räuberbraut" oder "Mackie Messer" und die teils historischen, teils neu angefertigten gemalten Plakate. Zufrieden sind sie trotzdem: "Bis zum Regen war's richtig gut." Die Besucher haben sich auch nicht lumpen lassen, wie am mit Geldscheinen gefüllten Hut zu sehen ist.
Zum ersten Mal bespielt die Stadt am Wochenende den umgestalteten Karl-Lederer-Platz mit dem neu ins Leben gerufenen Straßenkunstfestival, einer Mischung aus Künstlermarkt und Bühnenauftritten. Ein bisschen nach Christkindlmarkt sehen die 25 Hütten ja aus, obwohl die Besucher nicht mit Glühweintassen, sondern mit Eiswaffeln über den Platz laufen. Die Bluestrings, das Jugendorchester aus Fürstenfeldbruck, haben am Samstagnachmittag ihren Auftritt noch hingekriegt, auch wenn wegen des Nieselregens die Besucherschar schon recht ausgedünnt ist. Und dann gießt es auch schon wie aus Kübeln und die vielen Highlights, die noch stattfinden sollten, die Akrobaten, Bands und die Feuershow von Solomon Solgit, fallen buchstäblich ins Wasser.
Trotz alledem war der erste Tag des Strassenkunstfestivals ein Erfolg, dieses Fazit ziehen die Aussteller und Künstler unisono. "Die Stadt hat sich sehr viel Mühe mit der Organisation gegeben", lobt Luise Zachmann. Die Starnberger Segelmacherin verkauft Taschen aus recycelten Segeln und Resten aus der Polsterei. Mit der Resonanz ist sie zufrieden: "Vormittags war's richtig voll, und die Leute haben nicht nur geschaut, sondern auch gekauft." Auch Dana Weidner kommt ins Schwärmen. "Dass man so umsorgt wird, das kenne ich sonst nicht", sagt die Geretsrieder Seifenmacherin, die mit ihren Produkten seit 15 Jahren auf Märkten unterwegs ist. So hätten sich die Fieranten im Rathaus nach Herzenslust mit Kaffee, Tee, Suppe und belegten Broten stärken können.
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Bei Fritzi Krüger dreht sich erkennbar alles um's kreative Upcycling. Da gibt es Kerzenhalter aus Gamskrickerln, Umhängetaschen aus alten Kinderlederhosen, Schlüsselanhänger aus ausrangierten Golfbällen. Mit ihrem Stand ist Krüger nicht so zufrieden, weil er dem Platz den Rücken kehrt. Dass Marktleiterin Melanie Großmann das aber sofort aufgenommen hat und nächstes Jahr ändern will, rechnet sie der Stadt hoch an. Auch dass die Standgebühren "extrem niedrig" sind, anderswo koste es schon mal 200 Euro. Da hat sich für Krüger, die nach vielen Jahren in Geretsried vor zwei Jahren ins Allgäu gezogen ist, die weite Anfahrt dann doch gelohnt. Verkauft hat sie nämlich nicht so viel. "Die Leute sagen immer, wie toll die Ideen sind, aber das Geld geben sie dann lieber für Essen und Trinken aus", bedauert sie.
"Gekauft wurde verhalten, aber es ist schon was gegangen", sagt wiederum Dieter Pallauf. Der Ickinger mit schwarzem Hoody und mächtigem Bart bietet Wurzelholz mit Glas an, die Preise gehen bei 13 Euro los und hören bei 145 Euro für eine großformatige Dekoration auf. Noch eine Viertelstunde bis Marktschluss, der Regen prasselt aufs Dach, der Platz ist gähnend leer. Pallauf harrt trotzdem weiter aus. "Früher zumachen, das gehört sich nicht." Marktleiterin Melanie Großmann eilt mit einem großen Tablett herbei und verteilt die letzten Wurstsemmeln. Auch Pallauf hat nur gute Worte für die Organisation des Geretsrieder Erstversuchs mit dem Straßenkunstfestival. "Die haben sich richtig gut gekümmert, die Versorgung war Luxus." Alles habe reibungslos funktioniert und die Schlüssel wurden rechtzeitig übergeben. Pallauf weiß das zu schätzen. Mit seinen Wurzelsachen zieht er das ganze Jahr über durch die Lande. Anderswo laufe es oft "chaotisch" ab, sagt er. "Da kommst du an, und der Strom ist nicht da und der Toilettenwagen noch abgesperrt." Eigentlich ist Pallauf lieber auf Mittelalterveranstaltungen unterwegs. "Aber das hier ist ein richtig süßer kleiner Markt."
Auch Goldschmiedin Anne Becker zieht ein positives Fazit. Kaufen würden die Leute zwar lieber Silberschmuck, denn da fangen die Preise bei 60 Euro an. Die teuren Colliers und Ringe aus Gold und Edelsteinen stellt sie trotzdem aus, wenn auch vorsichtshalber hinter einer Fensterscheibe. Spontan mal eben so 500 oder 1000 Euro für ein handgearbeitetes Geschmeide ausgeben, das komme eher selten vor, gesteht die Beuerbergerin. Damit würde sie aber auch nicht rechnen, denn die Leute würden sich hinterher bei ihr melden. Becker ist happy mit dem ersten Straßenkunstfestival. "Es ist toll, dass die Stadt das auf die Beine stellt", sagt sie und ist sich sicher: "Morgen ist das Wetter besser, da wird es richtig voll." Damit soll sie Recht behalten. Am Sonntag bleibt es weitgehend trocken. Das Festival wird doch noch seinem Namen gerecht und kann die Besucher mit Straßenkunst und Akrobatikdarbietungen verzaubern.