Bad Heilbrunn:Tanz der Wissenschaften

Lesezeit: 3 min

Wie kommt es, dass nahezu alle Kulturen Sternbilder am Nachthimmel erkennen - das ist die Kernfrage des Projekts. (Foto: Stiftung Nantesbuch)

Mit einer Mischung aus lehrreicher Studienreise und unterhaltsamer Flusskreuzfahrt leitet die Stiftung Kunst und Natur auf Gut Nantesbuch ihr mehrjähriges Großprojekt zum "Sternenhimmel der Menschheit" ein

Von Paul Schäufele, Bad Heilbrunn

Als Vortrag begann's - und ist ein Fest geworden, kaum weiß man wie. Oder vielleicht doch. Mit einem Programm, das zwischen intellektuellen und künstlerischen Impulsen wechselt, verwandelt die Stiftung Kunst und Natur auf Gut Nantesbuch den Auftakt ihres mehrjährigen Projekts "Sternenhimmel der Menschheit" in eine ebenso geistige wie sinnliche Erfahrung. Ein bisschen Studienreise, ein bisschen Flusskreuzfahrt. Auf jeden Fall mit guter Laune, postkartenkonformem Sonnenuntergang und am Ende um einiges klüger.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Mit "Sternenhimmel der Menschheit" hat sich die Stiftung ein Projekt des Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers Raoul Schrott zur Förderung ausgesucht. Der Autor, der schon in früheren Werken neben seiner Antiken-Expertise auch seine anthropologischen, kulturwissenschaftlichen und naturkundlichen Interessen entfaltet hat, setzt sich nun ins "Kino der Nacht", wie er den Sternenhimmel nennt. Wie kommen verschiedene Kulturen darauf, dieselben Sterne oder Sterngruppen zu unterschiedlichen Figuren zu machen?

Die Rekonstruktion der unterschiedlichen Himmel und die diversen Mythen, die in die Bilder projiziert werden, sind das Thema des Projekts, das am Ende mit den Sternkarten von Heidi Sorg zu einem "Atlas der Sternenhimmel" werden soll. Am Ende, das heißt 2024, nach sieben Jahren Recherche, Schreiben und Zeichnen.

Der Philologe Raoul Schrott (links) und der Astronom Florian Freistetter waren sich einig: Auch die "harte" Wissenschaft der Astronomie hängt von Erzählungen ab. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Einen Teil des bereits erarbeiteten Materials präsentieren Schrott und einige andere Fachleute nun - aber nicht einfach so, sondern in einem halbtägigen Programm, bei dem die Zeit so schnell vergeht, dass einen nicht nur die Liegestühle vor Bergpanorama an Thomas Manns Zeitroman "Der Zauberberg" erinnern. Am Ende werden es sieben Stunden voller Musik, Bilder und Sprache gewesen sein, die alle auf die Kultur der Inuit verweisen, denn mit den Sternen, den "Ulluriat" der Inuit, beginnt die Archäologie des Kosmos, die hier vorgestellt wird.

Diesen Part übernimmt Schrott selbst, in seiner Eigenschaft als Mythensammler und Chefschreiber. Überhaupt ist er das ständig präsente Zentrum der Veranstaltung. In einem Kurzvortrag, der das Sternbild Orion in den Blick nimmt, stellt er die Arbeitsweise vor, die verschiedenste Wissensbereiche miteinander verknüpft. Häufig geht Schrott, hierin ganz Philologe, von den Namen der Sternbilder aus und zeigt über solche etymologischen Tiefenbohrungen, wie Kulturtransfer stattfindet - auch im Bereich der Astronomie, von Ägypten über Babylon zu den Arabern und Griechen. Den naturwissenschaftlichen Part vertritt der Astronom, Blogger und Podcaster Florian Freistetter, der Schrott in einem entscheidenden Punkt beipflichtet. Auch die "harte" Wissenschaft der Astronomie hängt von Erzählungen ab. Ohne sie geht es nicht.

Menschen, die aus Erbsenschoten springen: Ulrich Noethen und Corinna Harfouch bei ihrer überaus unterhaltsamen Lesung. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Dass Schrott ein geborener Erzähler ist, der den Bestand der Mythen nicht nur schriftlich sichert, sondern ihnen durch seine Sprache wieder Leben einhaucht, zeigt die szenische Lesung seiner Variante der Inuit-Sagen. Zuerst kommt noch eine Pause, in der angeregte Gespräche entstehen und DJ-Sets von Charlotte Bendiks in die abendliche Landschaft klingen, was auf den musikalischen Teil des Abends vorbereitet. Doch die Behaglichkeit, mit der das Programm hier auf den Tag verteilt wird, hat noch einen anderen Grund, denn sobald Melika Foroutan, Corinna Harfouch und Ulrich Noethen ausgelesen haben, wird die Sonne untergegangen sein. Den Erzählungen vom Inuit-Himmel folgt so praktischerweise der Blick an den Himmel über Nantesbuch. Dabei hätte man der polyfonen, äußerst witzigen Lesung noch lange zuhören mögen. Menschen, die aus Erbsenschoten springen; Männer, die in Eisbären verwandelt werden; menschenfressende Frauen, die gerne rasant tanzen; Säbelzahn-Rentiere. Am Himmel der Inuit ist was los.

Inzwischen sind auch die Feuerschalen auf dem Gelände entzündet, was entschieden zur Atmosphäre beiträgt. Vielleicht werden hier mit Blick nach oben ebenfalls Sternbilder erzählt? Oder man sucht einfach die Wärme angesichts des schon frischen Abends. Dabei gäbe es durchaus die Möglichkeit, sich warm zu tanzen, denn zum Ausklang des Programms zeigt das Katajjaq Duo (Annie Aningmiuq und Cynthia Pitsiulak) zwei Arten, den Kehlkopfgesang zu verwirklichen. Die Musikerinnen aus der kanadischen Arktis beherrschen die über Generationen weitergegebene Inuit-Kunst, eine suggestive Art hochrhythmischen Singens, bei dem Naturgeräusche und Geisterstimmen hörbar werden. Noch tanzbarer sind dann allerdings die Klänge, die entstehen, wenn der traditionelle Kehlkopfgesang auf die elektronische Musik von Charlotte Bendiks trifft.

Annie Aningmiuq und Cynthia Pitsiulak boten den Inuit-Kehlkopfgesang dar. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das alles lässt Tolles erahnen: Einerseits einen wichtigen und großartigen "Atlas der Sternenhimmel", der ein einzigartiges Dokument sein wird. Zum anderen aber noch die ein oder andere Veranstaltung dieser Art, die mit einem eigentümlichen Mix aus Urlaubsstimmung, Diskussionsatmosphäre und Naturerfahrung das Publikum in ihren Bann zieht.

© SZ vom 06.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: