Kraft, Beweglichkeit, Kreativität:"Solche Sachen können einem sehr viel geben"

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Für Leonie Lochner gibt es seit ihrer Kindheit nichts anderes als Klettern. (Foto: Daniel Gajda/Privat/OH)

Sportkletterin Leonie Lochner steht im Kader für die European Games. Erst hatte sie das Multi-Sport-Event gar nicht auf dem Schirm - jetzt will sie einem internationalen Publikum zeigen, was sie kann.

Von Celine Chorus, Schäftlarn

Ohne Sicherung klebt Leonie Lochner an der Wand. Ihre Hände sind vom Chalk ganz weiß, die Finger krallen sich an einen Kletterstein, während sie mit dem Fuß versucht, den nötigen Halt zu bekommen. Wer Lochners Namen bei Youtube eingibt, dem wird auch ein Video aus der Boulderhalle angezeigt. Mehrere Stunden Training bedeuten: klettern, auf die Matte fallen und einen erneuten Versuch starten, um es diesmal vielleicht zu schaffen. Und trotz der harten Arbeit braucht Lochner immer auch eine Portion Glück, um den Boulderparcours in so wenigen Versuchen wie möglich zu meistern.

Das klappt manchmal besser, manchmal schlechter. Die SZ erreicht die 22-Jährige zwischen zwei Wettkämpfen in Prag und in Brixen. Im Gespräch ist Lochner die Frustration über den 57. Platz in Tschechien noch anzumerken. Dass sie schon bessere Leistungen gezeigt hat, bringt Lochner aber nicht aus der Ruhe, denn am Ende war es eben auch nur dies: ein schlechter Tag. Stattdessen blickt die Ebenhauserin schon aufs nächste Wochenende - und alles, was danach kommt.

Erst vor wenigen Tagen hatte Lochner erfahren, dass sie für das Team D bei den European Games (21. Juni bis 2. Juli im polnischen Krakau) nominiert ist. Ein Multi-Sport-Event, das seit 2015 alle vier Jahre ausgetragen wird. Insgesamt werden etwa 7000 Athleten bei den European Games erwartet. An zwölf Tagen kämpfen sie in 29 Sportarten um persönliche Bestleistungen. In zwölf Disziplinen werden zudem die Europameister ermittelt. In 18 von 22 vertretenen olympischen Sportarten geht es auch um die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris.

Erst habe sie die European Games gar nicht auf dem Schirm gehabt, erzählt Lochner, weil sie so sehr auf den Weltcup im Klettern fokussiert sei. Umso größer war dann aber die Freude über ihre unerwartete Nominierung. Zwar fehlten zunächst noch einige Unterlagen, dieses Hindernis konnte aber schnell beseitigt werden. Jetzt freut sich Lochner darauf, vor einem internationalen Publikum ihr Können zu zeigen: "Die European Games sind ein toller Wettbewerb, bei dem man sich auch außerhalb der normalen Saison präsentieren kann."

Beim Bouldern müssen möglichst viele Faktoren zusammenspielen

Für die 22-Jährige gibt es seit ihrer frühen Kindheit nichts anderes als Klettern: Zwar habe sie auch andere Sachen ausprobiert, aber weil ihre Eltern und ihr großer Bruder ebenfalls klettern, wurde ihr die Sportart quasi in die Wiege gelegt. Die Mutter gibt inzwischen Kletterkurse für Kinder, der Vater organisiert nationale Wettkämpfe - und der Bruder ist als Schiedsrichter unterwegs. "Wir sind also in allen Bereichen vertreten", sagt Lochner fröhlich.

Leonie Lochner freut sich auf die neuen Erfahrungen, die sie bei den European Games sammeln wird. (Foto: Daniel Gajda/Privat/OH)

Diese Leidenschaft braucht es wohl, um das hohe Tempo im Leistungssport mitzugehen: Lochner trainiert an fünf Tagen in der Woche, manchmal hat sie abends noch eine zweite Einheit. Nebenbei studiert sie Sportwissenschaften an der TU München und schreibt an ihrer Bachelorarbeit. In Einklang bekomme sie Sport und Studium, weil sie in vielen Fächern keine Anwesenheitspflicht habe, und deshalb viele Sachen von zu Hause machen könne. "Im Endeffekt ist es gutes Zeitmanagement und auch ein bisschen das Wissen, warum man es macht", sagt Lochner. "Dadurch konnte ich mich eigentlich immer ganz gut motivieren."

Bei den European Games wird sie Deutschland im Bouldern vertreten. Bei dieser Disziplin wird in Absprunghöhe ohne Sicherung geklettert. Nur Schaumstoffmatten sollen einen möglichen Sturz abfedern und Fußverletzungen verhindern. Am Bouldern fasziniert Lochner, dass es dabei nicht nur auf ein Element ankommt, sondern dass möglichst viele Faktoren - wie Kraft, Beweglichkeit, Kreativität - zusammenspielen müssen. "Dass man beim Bouldern versuchen muss, zu jedem Zeitpunkt die beste Version seiner selbst zu sein, hat mich in den letzten 20 Jahren meines Lebens nicht losgelassen."

2022 hat Lochner einige Top-30-Ergebnisse eingefahren und ist mehrmals knapp am Halbfinale vorbeigeschrammt. Das seien Wettkämpfe gewesen, bei denen sie das Gefühl hatte, dass sie viel daraus mitgenommen habe. "Solche Sachen können einem sehr viel geben", sagt sie. So soll es nun auch in Krakau sein: Einige Athleten, die auch das Potenzial hätten, zu den European Games zu fahren, werden nicht dabei sein. Ohne zu wissen, wer sonst noch teilnimmt, tut sich Lochner schwer, Erwartungen zu formulieren. Ihr geht es vor allem darum zu zeigen, was sie kann: "Wenn ich das Gefühl habe, dass ich mein Bestes gegeben habe, ist das Ergebnis oft erst einmal zweitrangig."

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