Schachsport:Damengambit in Geretsried

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Konzertriert am Brett: Charlotte Prokscha bei einer Schachpartie im Bürgerhaus Weidach. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die 13-jährige Charlotte Prokscha hat mit der Mädchenmannschaft des TuS überregionale Erfolge erzielt. Inzwischen spielt sie im Kader der Bayerischen Schachjugend - und auch gegen Vorurteile an.

Von Quirin Hacker, Geretsried

Langsam wird die Zeit knapp. Immer hektischer bewegen beide Spieler ihre Figuren über das schwarz-weiß-karierte Brett. Beim Treffen des Schachclubs Wolfratshausen hat Charlotte Prokschas Gegner 60 Sekunden mehr, um sich die letzten Spielzüge der Partie zu überlegen. Wobei es beim Schnellschach, das die beiden spielen, pro Partie nur fünf Minuten Bedenkzeit gibt. Fast im Sekundentakt führen die Spieler ihre Figuren nun über das Feld und schlagen energisch auf die Uhr, um ihren Zug zu beenden. So passieren Fehler. Noch bevor die Uhr abgelaufen oder der König matt gesetzt ist, schüttelt Charlotte ihrem Kontrahenten die Hand und erklärt damit ihre Niederlage.

Es war ein Übungsspiel, beide lachen. Nicht alle Spiele geht die 13-jährige Charlotte Prokscha aus Geretsried so locker an. Fast jedes Wochenende stehen bei ihr Turniere auf dem Kalender. Oft hat sie dort Erfolg. So gewann sie am 23. September mit ihren Mitspielerinnen vom SC Garching die bayerischen Mannschaftsmeisterschaften im Mädchenschach in ihrer der Altersklasse U20. Mit der Mädchenmannschaft des Turn- und Sportvereins Geretsried (TuS) holte sie die oberbayerische Meisterschaft im Schulschach, qualifizierte sich so für die bayerischen Meisterschaften und belegte dort den dritten Platz.

Gegen die Uhr: Prokscha spielt zur Übung auch mal Blitzschach, am liebsten nimmt sie sich aber Zeit für ihre Züge. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Inzwischen trainiert sie viermal pro Woche. Seit Kurzem auch in der Schachmannschaft des FC-Bayern und im Kader der Bayerischen Schachjugend (BSJ). Dort lernt sie direkt von ihrem Vorbild Jana Schneider, die bei der Schacholympiade 2022 Gold für ihre Einzelleistung holte und Prokscha beim Online-Training wertvolle Tipps für ihr Spiel gibt. Auch bei den Turnieren der deutschen Vereinsmeisterschaft analysiert sie als Betreuerin Charlottes Züge, was die Geretsriederin als "sehr hilfreich" empfindet.

Doch auch bei wachsendem Erfolg und prallem Terminkalender findet sie am Freitagabend Zeit, sich für ein paar Partien im Weidacher Bürgerhaus einzufinden. Rund 17 Kinder und Jugendliche haben im Obergeschoss an drei Tischreihen Platz genommen, auf denen Schachbretter aus Holz bereitliegen. In einer Ecke des Raums sind Sprossenwände und Turnmatten platziert. Auch die Geräuschkulisse erinnert an Sportunterricht, Schach ist bei Kindern kein leises Spiel. Trotz des Lärms bewegt Prokscha bei der neu gestarteten Partie ihre Figuren konzentriert und bedächtig. Diesmal gibt es kein Zeitlimit. "Ich spiele eigentlich lieber mit viel Bedenkzeit", sagt sie, "weil ich mir meine Züge gerne überlege und komplizierte Stellungen mag."

Hausaufgaben macht sie auch mal auf der Autofahrt zum Turnier

Es gibt wohl eher wenige 13-Jährige, die die erste deutsche Schachgroßmeisterin Elisabeth Pähtz als ihr großes Idol bezeichnen. Abgesehen von ihrer Hingabe zum Schach aber weichen Charlotte Prokschas Interessen nicht allzu sehr von denen ihrer Altersgenossinnen ab. Ihr gefällt ihr die Buchreihe "All Your Kisses", in der es um gekränkte Liebe geht, und ihre Lieblingssängerin ist Taylor Swift. Trotz ihres Schachtalents ist sie "jetzt auch kein Mathegenie", wie sie sagt. Und mit ihren Turniererfolgen geht sie bescheiden um. Ihr Alltag dreht sich jedoch um das Spiel der Könige. Und wenn es nötig ist, werden die Hausaufgaben schon mal auf dem Weg zum Turnier im Auto gemacht. Neulich hat sie den Geburtstag einer Freundin verpasst, weil sie im Zug zum Turnier saß. An den Wettkämpfen gefalle ihr, dass sie viele Menschen kennenlerne, sagt Prokscha. Sie habe eine Freundin aus der Oberpfalz, die sie eigentlich nur auf Turnieren sehe.

Ein Spiel hat sich besonders in ihr Gedächtnis eingebrannt. Es war die letzte Partei bei einem Turnier im österreichischen Fürstenfeld. Schon bei der Eröffnung büßte Prokscha aus Unachtsamkeit ihre Dame ein. Obwohl ihre Kontrahentin aus Leipzig eigentlich eine geringere Punktwertung hatte als sie. "Dieses Spiel wurde auch noch übertragen", erinnert sich die 13-Jährige. Die Kunst sei dann, sich von solchen Patzern nicht unterkriegen zu lassen, um nicht gleich den nächsten Fehler zu machen, sondern sich weiter zu konzentrieren. Ein vergleichbares Missgeschick in einem Turnierspiel ist Charlotte Prokscha seitdem nicht noch einmal passiert.

"Mädchen müssen zusammenhalten", sagt Charlotte Prokscha. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Am liebsten spielt die 13-Jährige die Londoner Eröffnung, ihre bevorzugte Taktik verrät sie bereitwillig. Der erwachsene Tischnachbar im Weidacher Bürgerhaus warnt jedoch: "Auf diesem Level darf man solche Informationen nicht preisgeben." Wobei eine Internetrecherche ihre Vorlieben ohnehin schnell offenlegt, schließlich sind viele von Prokschas Partien online dokumentiert. Auch sie mache sich vor einem Turnier mit der Taktik ihres Gegners oder ihrer Gegnerin vertraut, sagt Prokscha. "Wenn man sich gut vorbereitet an eine Partie setzt, hat man ein ganz anderes Gefühl."

Dass es Mädchenschach als eigene Disziplin gibt, soll junge Spielerinnen ermutigen, in den Sport einzusteigen. Die Meinung, dass nur Männer gut Schach spielen können, habe eine lange Tradition, sagt Prokscha. "Auf gemischt-geschlechtlichen Turnieren muss man als Mädchen zusammenhalten", findet sie. Schon allein, weil es so wenig Spielerinnen auf diesem Level gebe. Auf den Kaderlehrgängen seien meist 25 Buben und fünf Mädchen. "Da bleibt einem nicht viel anderes übrig, als zusammenzuhalten." Auf einem Turnier habe sie eine Frau kennengelernt, die als Mädchen großes Talent gezeigt habe. Doch als Frau habe man ihr das Schachspielen untersagt, berichtet die Geretsriederin. Einem ihrer Kontrahenten auf einem gemischten Turnier sei die Annahme, Frauen könnten kein Schach spielen, zum Verhängnis geworden. "Der hat sich schon vor dem Spiel siegesgewiss in seinem Stuhl zurückgelehnt", erinnert sich Prokscha. "Nach 20 Zügen hat er Remis angeboten. Damit wäre er Erster geworden. Aber ich habe abgelehnt und die Partie gewonnen." So belegte schließlich sie den ersten Platz.

Immerhin muss sie mit dem Vorurteil, Frauen könnten kein Schach spielen, nicht allein aufräumen. In der Popkultur macht das seit 2020 die Netflix-Serie "Das Damengambit", in der sich die Protagonistin Beth Harmon in der Männerwelt der Schachgroßmeister behauptet. Bei jungen Frauen dürfte die Reihe dem Sport zu einiger Popularität verholfen haben. Ihre Mutter habe ihr zwar verboten, die Serie zu schauen, sagt Prokscha. Das Buch, auf dem sie basiert, habe sie jedoch gelesen. Und sehr gut gefunden.

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