Einwanderung:"So unbekümmert wie früher bin ich nicht mehr"

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Bayram Yerli, SPD-Stadtrat und langjähriger Vorsitzender der islamischen Gemeinde in Penzberg, macht sich Sorgen, wie es in Deutschland weitergehen soll. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Penzberger SPD-Stadtrat und Muslim Bayram Yerli macht sich Sorgen wegen der wachsenden Ausländerfeindlichkeit.

Von Alexandra Vecchiato, Penzberg

1961 unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei ein Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften. Viele türkische Arbeitskräfte blieben dauerhaft und wurden zum Teil der deutschen Gesellschaft. Einer dieser Gastarbeiter war Bayram Yerlis Vater, der 1966 nach Deutschland einwanderte. 1979 holte er seine Familie nach. "Mit acht Jahren kam ich in dieses Land", erzählt der Penzberger SPD-Stadtrat. Deutschland wurde zur neuen Heimat. Doch die aktuellen Entwicklungen bereiten dem 52-Jährigen große Sorgen. Angesichts des Abschneidens der Alternative für Deutschland (AfD) bei der Landtagswahl und der Kontroverse um eine Asyl-Unterkunft in Penzberg fragt Yerli sich: "Was ist mit unserer Gesellschaft geschehen? Wo ist das Mitgefühl geblieben?"

Es mag in diesen Tagen eine unpopuläre Feststellung sein. Aber Deutschland war und ist ein traditionelles Einwanderungsland. Im Deutschen Reich, in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland hat es immer Migranten gegeben: Aussiedler, Spätaussiedler, Geflüchtete und Bürger der Europäischen Union, die im Zuge der Freizügigkeit nach Deutschland kommen. "Ich weiß, wie es ist, seine Freunde und sein Leben hinter sich zu lassen", erzählt Yerli. "Mir hat meine Oma gefehlt damals." Daher könne er nachvollziehen, wie sich Geflüchtete fühlen müssen. "Wir sind nicht aus einem Kriegsgebiet geflohen!", dennoch wisse er, was Verlust und Veränderung bedeuteten.

"Unbezahlbarer Reichtum"

Das Leben in Deutschland, das Miteinander unterschiedlicher Nationen und Kulturen, habe er stets als bereichernd empfunden. "Wir sind alle Menschen und müssen miteinander auskommen." Nur so könne eine "schöne gute Gesellschaft" entstehen. Doch derzeit vermag Yerli diesen "unbezahlbaren Reichtum" des friedlichen Miteinanders nicht erkennen. "Ganz bange" werde es ihm nach dem Wahlergebnis der AfD. Er selbst war Wahlvorstand am 8. Oktober in einem Penzberger Wahllokal - in einem Ortsteil mit überwiegend gut situierten Bewohnern. Es handle sich nicht um ein Brennpunkt-Viertel mit vielen Arbeitslosen oder sozial Schwachen, sagt Yerli, wo man damit hätte rechnen können, dass die AfD Zulauf hat. "Ich habe die Wähler ja ins Wahllokal kommen sehen. Dann dieses Ergebnis. Man kann es nicht glauben."

Ihn persönlich nehme es mit, dass diese Mitbürger ihm die Hand schüttelten, ihn anlächelten - und dann doch eine Partei wählten, die alle Ausländer aus dem Land jagen möchte. "Das hat mich sehr nachdenklich gemacht", so Yerli, der die Frage hinterherschiebt: "Was läuft schief?" Eine Antwort darauf habe er nicht, gibt er unumwunden zu. Wie eine Gesellschaft so empathielos werden könne, verstehe er nicht. Dass "ausgrenzen" und "abschotten" der Wunsch so vieler sei, mache ihn ratlos. Denn Yerli ist fest davon überzeugt: "Die Welt ist doch nur miteinander schöner." Und könne man es Menschen wirklich verdenken, dass sie ein besseres Leben haben möchten und dieses in einem anderen Land suchten? "Das würden wir doch auch wollen", betonte der 52-Jährige. Yerli, Vater von drei Kindern, berichtet von der Reaktion seines Sohnes an jenem Wahlabend. "Er kam heim und meinte: Jetzt muss ich doch auswandern", so der 52-Jährige.

Fassungslos mache ihn, dass Argumente nichts mehr zu zählen scheinen; dass Unwahrheiten verbreitet werden können und Populisten so einen großen Zulauf haben. Ja, meint der Kommunalpolitiker weiter, der Wahlkampf müsse sich in Zukunft ändern. Mit den herkömmlichen Mitteln erreiche man höchstens noch Stammwähler. An die Jugend komme man nur schwer ran. Die Sozialen Medien würden immer wichtiger, auch bei Wahlkämpfen. Aber auf das Niveau der Populisten könnten sich demokratische Parteien nicht herablassen. Von Letzteren erwarte er sich allerdings, dass alle zusammen - über Parteigrenzen hinweg - gemeinsam dem "rechten Rand" entgegentreten. Wie Freie Wähler und CSU sich vor der Landtagswahl in der sogenannten Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger positioniert hätten, habe die AfD gestärkt. "Das darf nie wieder so sein. Sonst stehen wir auf verlorenem Posten." Auch seine Partei, die SPD, müsse analysieren, warum sie ihre Kernwählerschaft nicht mehr erreiche.

Ursprünglich planten Stadt Penzberg und Landratsamt Weilheim-Schongau die Einrichtung einer Asyl-Notunterkunft in den alten Turnhallen an der Bürgermeister-Prandl-Schule. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Als kürzlich die Stadt Penzberg zu einem Info-Abend zur geplanten Asyl-Notunterkunft in zwei nicht mehr genutzten Schulturnhallen einlud, verließ Yerli, der 27 Jahre lang Vorsitzender der islamischen Gemeinde in Penzberg war, unter Protest die Stadthalle. Die Äußerungen einiger Eltern, die die Unterkunft an der Bürgermeister-Prandl-Schule verhindern wollten, habe er als beängstigend empfunden, sagt Yerli. Etliche der Anwesenden hätten die Geflüchteten, die in die Hallen einziehen sollten, auf ihr Aussehen reduziert. Allein dieses Anderssein könnte ihre Kinder traumatisieren, verstand der 52-Jährige mehrere Wortmeldungen. "Ich denke nicht, dass die Mehrheit in Penzberg so denkt, aber die Veranstaltung war für mich schwer zu ertragen." Denn die Geflüchteten seien als mögliche Straftäter vorverurteilt worden.

"Man wird vorsichtiger"

Ob er nun Angst habe? Nein, erwidert Yerli, denn Angst sei eine schlechte Begleiterin. "Aber so unbekümmert wie früher bin ich auch nicht mehr." Dass Stimmungen in der Gesellschaft so schnell kippen könnten, dass eine Masse sich derart leicht aufheizen lasse - da stelle sich für ihn durchaus die Frage: "Stehen Freunde noch zu einem? Man wird vorsichtiger."

Ist demnach der Traum vom "Multikulti" ausgeträumt? Yerli hofft nicht. Das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen müsse als Potenzial gesehen werden. "Als Chance auf eine Gesellschaft, in der alle gut leben können."

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