Tölzer Obstbaumschule eröffnet:Zurück zu alter Gartenkultur

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In der Tölzer Obstbaumschule wollen die beiden Obstbaumwarte Thomas Rinner (li.) und Andreas Haubner alte oder vergessene Sorten veredeln und ihr Wissen an die Besucher weitergeben. (Foto: Manfred Neubauer)

Thomas Hölzl will auf dem rund 8000 Quadratmeter großen Areal am Stadtfriedhof vergessene Obstsorten anbieten. Das abbruchreife Schmidl-Haus soll für Kurse und Kunstaustellungen saniert werden. Auch die Gewächshäuser werden hergerichtet, unter anderem für Konzerte.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Der zarte Birnbaum trägt schon weiße Blüten. An den Reisern, die aus ihm wachsen, sind schmale Bänder mit je einem Foto angebracht, daneben stehen Namen wie "Gute Graue" oder auch "Clapps Liebling". Nicht weniger als fünf Birnensorten bringt der junge Obstbaum hervor. "Das ist was für die Familie", sagt Thomas Rinner von der Tölzer Obstbaumschule, die an Ostern eröffnet worden ist. Oder auch für Leute, die nur einen kleinen Garten haben, ergänzt sein Kollege Andreas Haubner. Und für bloß 70 Euro ist der Fünf-Sorten-Birnbaum geradezu ein Schnäppchen. In der neuen Schule neben dem Stadtfriedhof geht es aber um weit mehr als nur um den Verkauf.

Thomas Hölzl hat das rund 8000 Quadratmeter große Gelände samt dem abbruchreifen Schmidl-Haus voriges Jahr von der Stadt gekauft. Der Landschaftsbauingenieur und Unternehmer hat für das Areal eine Art Gesamtkonzept im Kopf: Neben der Obstbaumschule will er das um 1910 errichtete Schmidl-Haus sanieren und für Seminare, Veredelungskurse, Schulungen, Veranstaltungen der Naturgartenszene nutzen. Der gewölbeartige Keller könnte ein Ausstellungsraum für junge Künstler werden.

Draußen will er die ruinenartigen Gewächshäuser aus Glas wieder herrichten. In einem davon könnten einmal Konzerte stattfinden, sagt Hölzl. Die Obstbaumschule selbst soll den Besuchern alte, vor allem aber auch vergessene Sorten bieten. Und noch etwas: Den Gästen soll der Naturgarten, wie es ihn vor der Zeit der Supermärkte gab, als Kulturgut nahegebracht werden.

Ein Jungbaum, der fünf Birnensorten trägt, gehört zum Sortiment der Schule. Eigentümer Thomas Hölzl will dort den alten Obstgarten aus Großvaters Zeiten wieder als Kulturgut nahebringen. (Foto: Manfred Neubauer)

"Die Leute sollen sehen, dass ein Naturgarten ein schöner Garten ist, und dass er nicht nur Arbeit ist, sondern auch einen Nutzen hat", sagt Haubner. Ein besonderes Augenmerk legen Hölzl und seine beiden Obstbaumwarte auf vergessene Sorten. Auf solche beispielsweise, die einstmals aus einem unbekannten Sämling in Großvaters Garten entstanden sind. "Vergessene Sorten sind welche, die nicht mehr aufgetaucht sind, anders als alte Sorten", erklärt Haubner. Nach und nach sollen in der Baumschule diese heimischen und fast vergessenen Obstarten wieder gezogen werden.

Dazu müssen die zum Veredeln notwendigen Reiser aber erst einmal verifiziert werden. Deshalb beteiligen sich Hölzl, Haubner und Rinner an dem Biodiversitätsprojekt "Apfel, Birne, Berge", das unter anderem von den fünf Voralpenlandkreisen Traunstein, Rosenheim, Miesbach, Bad Tölz-Wolfratshausen und Weilheim-Schongau getragen wird. Dort werden Früchte mithilfe genetischer Fingerprints untersucht, vielleicht einer sehr seltenen Sorte zugeordnet, vielleicht auch nicht, dann nachgezogen und verbreitet. In Bad Tölz bekommen sie die Reiser voraussichtlich im nächsten Winter.

Mit 500 bis 1000 Bäumen ist die Obstbaumschule in Bad Tölz eine eher kleine Einrichtung ihrer Art. (Foto: Manfred Neubauer)

Leichter haben es Hölzl und seine zwei Mitstreiter mit alten Sorten, die aber lange bekannt sind. "Dafür haben wir Partner aus unserer Region", so Haubner. Auf einer geeigneten Unterlage - also einem Obstbaumstamm aus der Region, nicht irgendwo aus Norddeutschland mit seinen Sandböden - werden die jeweiligen Reiser zur Veredelung gesetzt. Die Kunden können so schlussendlich eine alte Apfel- oder Birnenart als Jungbaum bekommen. "Es sind Sorten, die Opa früher gepflanzt und gepflegt hat", sagt Rinner. Daneben gibt es auf dem Gelände neben dem Stadtfriedhof auch noch eine Reihe von Zier- und Wildsträuchern. Mit Beeren, mit Haselnüssen, mit Sanddorn. Wildhölzer, die etwa noch Dornen trügen, seien gut für die Natur, für Vögel, für Bienen, sagt Rinner.

"Wir sind ein kleinteiliges Nischenprodukt der Hochveredelung"

Die Tölzer Obstbaumschule ist mit 500 bis 1000 Bäumen eine Anlage im Kleinformat. Zum Vergleich: Große Schulen haben bis zu einer Viertelmillion Gewächse. "Wir sind ein kleinteiliges Nischenprodukt der Hochveredelung", sagt Hölzl. Und er rekurriert damit auf eine vormals ebenso kleinteilige Landwirtschaft, als Äpfel noch nicht aus spanischen Gewächshäusern in hiesige Supermärkte transportiert wurden. Als die Bauern immer auch Gemüsebeete, Obstgärten, Wildsträucher auf ihren Höfen hatten.

Um die Kundschaft macht sich Hölzl gleichwohl keine Sorgen. Zum einen verweist er auf den ambitionierten Streuobstpakt der bayerischen Staatsregierung, wonach bis 2035 zusätzlich eine Million Obstbäume gepflanzt werden sollen. "Der Bedarf ist also da." Überdies gibt es auch noch eine Menge Privatkunden. "Wir haben relativ viele Anfragen", sagt er. Sie reichen von jemandem, der einen Apfelbaum mit einer alten Sorte haben möchte, bis hin zu Landwirten, die sich auf die Produktion von Schnaps, Säften oder Mus konzentrieren.

Die beiden Obstbaumwarte stehen nicht nur für den Verkauf bereit. Sie geben auch Ratschläge, wie man beispielsweise einen alten Obstbaum erhalten kann, wie einer veredelt wird, warum ein anderer trotz aller Schönheit partout keine Früchte trägt. "Wir wollen den Kunden Wissen mitgeben", sagt Haubner. Für Hölzl ist dieser Austausch indes keine Einbahnstraße. Die Obstbaumschule soll für ihn auch eine Begegnungsstätte sein. "Wir sind drei junge Leute, es gibt vieles, was wir im Gegenzug lernen können", ist er sich sicher.

Im gewölbeartigen Keller des um 1910 erbauten Schmidl-Hauses stellt sich Thomas Hölzl einen Ausstellungsraum für junge Künstler vor. (Foto: Manfred Neubauer)

Dann schweift sein Blick hinüber zum alten Schmidl-Haus, wo einst die Familie der gleichnamigen Gärtnerei wohnte. In den Neunzigerjahren kaufte die Stadt das Gebäude und vermietete es, danach stand es jahrelang leer und verfiel. Auf dem Krüppelwalmdach wächst büschelweise Gras, die Fenster sind kaputt, der Putz fällt von den Außenwänden. Ein Fall für die Abrissbirne. Das dachte jedenfalls die Stadt und stellte 175 000 Euro für den Abbruch in den Haushalt 2020 ein. "Seit Jahren geht mir im Kopf rum, dass das nicht sein kann", sagt Hölzl. Den Erhalt des Anwesens mit dem Kellergewölbe, dem Speicher mit der hohen Holzdecke, den ruinenartigen Gewächshäusern und dem schönen Blick über die weiten Weisen am Pfannenholz erklärte er zu seiner "Herzensangelegenheit".

Die Gewächshäuser der ehemaligen Schmidl-Gärtnerei sollen mit Glas - nicht mit Folie - wieder aufgebaut werden. In einem davon könnten Konzerte stattfinden, meint Hölzl. (Foto: Manfred Neubauer)

Also bot er mit, als die Stadt das Areal im Außenbereich voriges Jahr ausschrieb. "Das war ein reiner Schnapsgedanke", sagt er. Die Konkurrenz war betuchter, das Schmidl-Haus wäre vermutlich verschwunden, noch ein Bauträgerprojekt in Bad Tölz entstanden. Aber Hölzl hatte ein Gesamtkonzept. Die Obstbaumschule für alte Sorten, das sanierte Haus für Seminare und Kunst - dies überzeugte den Stadtrat, der das Projekt einstimmig befürwortete. Und auch aus der Bevölkerung bekommt er dafür nach eigenen Angaben immer wieder Zuspruch. "Die alten Böden und die alten Fenster bleiben drin, mit relativ einfachen Mitteln bringen wir das Haus so hin, dass es erhalten wird."

Noch hat Hölzl aber nur den ganzen Müll ausgeräumt, das Gelände von Glasscherben befreit, die alten Folien entsorgt - schon das war eine Herkulesarbeit. Viel mehr steht ihm noch bevor. Auch was die Gesamtplanung für das Areal im Zusammenspiel mit der Stadt betrifft. Ob all seine Ideen für das Schmidl-Haus aufgehen? Hölzl antwortet: "Fragen Sie in zwei Jahren wieder nach."

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