Nachhaltigkeit in Geretsried:Voneinander lernen, miteinander werkeln

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Der gemeinnützige Verein "Nagel und Faden" will in Geretsried eine offene Werkstatt für jedermann schaffen. Die Vorsitzende Gabriele Rogge sucht dafür noch Interessierte und Mithelfende, vom Autodidakten bis zum Experten sind alle willkommen.

Von Veronica Bezold, Geretsried

"Dieses Projekt ist wirklich ein Kraftakt", sagt Gabriele Rogge. Die Erste Vorsitzende des kürzlich gegründeten Vereins "Nagel und Faden" steht in einer noch recht kahlen Fabrikhalle im Süden von Geretsried. Einige Arbeitstische und Geräte sind bereits vor Ort - doch bis zur offenen Werkstatt ist es noch ein weiter Weg.

Schon lange habe sie sich auch hier im Landkreis einen Ort wie das "Haus der Eigenarbeit" in München gewünscht, also einen Treffpunkt zum gemeinsamen Handwerkeln. Als sie dann von der leer stehenden, knapp 300 Quadratmeter großen Halle am Bunsenweg erfuhr, habe Rogge sofort einige Bekannte aus der Gegend angerufen. Neun Leute habe ihre Idee auf Anhieb begeistert: "Wir wollen eine Werkstatt mit möglichst professionellen und nachhaltig ausgestatteten Arbeitsplätzen in verschiedenen Bereichen aufbauen." Und so gründete sich am 27. Februar dieses Jahres offiziell der Nagel und Faden-Verein, der nun schon über 20 Mitglieder stark ist.

In der etwa 300 Quadratmeter großen Halle am Geretsrieder Bunsenweg soll bald schon jedermann schnitzen, schrauben, nähen und werkeln können. (Foto: Hartmut Pöstges)

Seitdem hat sich viel getan. "Bis vor drei Wochen wussten wir noch gar nicht sicher, ob wir die Halle tatsächlich mieten können", erzählt Rogge, die eigentlich eine auf Augenheilkunde spezialisierte Tierarztpraxis am Neuen Platz in Geretsried führt. Der Mietvertrag könne nun aber endlich unterzeichnet werden. Erste Kurse und Veranstaltungen konnten dennoch bereits stattfinden. So trafen sich die Mitglieder im vom Verein organisierten "Nähcafé" zum gemeinsamen Nähen und Gestalten. Unter dem Motto "Stoff statt Plastik" entstand aus alten Stoffresten, Spüllappen und Stoffbeuteln Neues. "Unsere Britta hat zum Beispiel einen Spülschwamm aus Jute entworfen", berichtet Gabriele Rogge begeistert.

Der Verein wolle eine Begegnungsstätte schaffen, nicht nur für Handwerkbegeisterte, sondern auch für Menschen jeden Alters. "Unsere Idee ist wirklich generationenübergreifend", sagt die Vorsitzende. Aus diesem Grund biete man auch Kurse für die ganz kleinen Bastler an.

So zeigte beispielsweise Vereinsmitglied Alexander Feldmann kürzlich den Kursteilnehmern zwischen sechs und 14 Jahren, wie es ist, einen Tag lang Schreiner zu sein. Unter der Aufsicht des selbstständigen Forstwirts durften die Kinder sich in seiner "Holzwerkstatt" an Holzresten, Säge und Hammer austoben. "Sie sollen hier stolz darauf sein, etwas selber zu machen und ihre Fantasie entwickeln", sagt Feldmann. Das hat funktioniert: Der siebenjährige Rafael etwa könnte nicht stolzer auf sein selbstgebautes Holzschwert sein. "Das hat Spaß gemacht", sagt er über den Schreinerkurs. Währenddessen hat Elli (8) ein Vogelhaus gebaut, das sie in ihrem Garten aufstellen will. Ihre gleichaltrige Kurskollegin Magdalena hatte sogar so viel Freude am Bau des kleinen Holzhauses für ihre Kuscheltiere, dass sie überlegt: "Vielleicht werde ich selber Schreiner."

Genau das sei es, was Alexander Feldmann, der selbst drei Kinder hat, an der Arbeit mit den Kleinen am Schönsten findet: "Sie sind immer mit Leib und Seele dabei." Die Begeisterung, die sie für alles entwickeln könnten, sei "erfrischend."

Auch das Feedback der Eltern sei durchweg positiv ausgefallen. Deshalb solle es die Angebote für die jüngsten Handwerker auf jeden Fall auch im nächsten Kursprogramm des Nagel und Faden-Vereins wiedergeben - vielleicht sogar unabhängig davon regelmäßig. Man plane außerdem auch gemeinsame Ausflüge wie Waldexkursionen.

Mitmachen kann nach Angaben der Vorsitzenden Gabriele Rogge also wirklich jeder. Auch die aktiven Vereinsmitglieder wie Feldmann seien keinesfalls ausschließlich gelernte Handwerker, sondern unter anderem ein Architekt, eine Erzieherin, ein IT-Spezialist und mehrere Leute aus medizinischen Berufen. "Wir sind ja alle dabei, neue Sachen zu lernen", ermutigt Rogge Interessierte. Anfallende Aufgaben teile man sich in den verschiedenen Arbeitskreisen untereinander auf. "Jeder tut, was er am besten kann."

Insgesamt wolle man bei allen Treffen, Veranstaltungen und Vorhaben "möglichst nachhaltig agieren." Das sei eines der großen Ziele des Vereins. "Ich finde, dass es mit der Welt so einfach nicht weitergehen kann", sagt die Vorsitzende. Man wolle durch das Selbermachen ein neues Bewusstsein für die Arbeit hinter den Dingen schaffen, die den Alltag so selbstverständlich begleiten. "Man soll sich fragen: Brauche ich wirklich das 50. Shirt in meinem Kleiderschrank, oder reichen vielleicht doch fünf, die mir wirklich etwas bedeuten?" Und trotzdem gibt Gabriele Rogge zu, dass auch sie und die anderen Mitglieder sich ab und zu bei Nachlässigkeiten erwischen.

Bald schon soll die offene Werkstatt nicht nur Vereinsmitgliedern und Kursteilnehmern dienen, sondern ihrem Namen gemäß allen offen stehen. Dann kann jeder für einen kleinen Stundensatz von um die fünf Euro an seinen Projekten arbeiten. Die dafür bereits vorhandenen Arbeitsgeräte und die Einrichtung habe der Verein vor allem durch private Spenden erhalten. Darunter auch eine Nähmaschine aus den 1950er- Jahren. "Wer denkt, dass er irgendetwas für einen Werkstattbereich anzubieten hat, das sonst nur rumsteht, der kann es gerne vorbeibringen", sagt Gabriele Rogge. Hier könne das, was sonst verstauben würde, dann von Leuten genutzt werden, die sich eine solche Ausstattung nicht leisten können oder dafür zuhause schlicht keinen Platz haben.

Die laufenden Kosten, etwa die Miete für die Halle im Bunsenweg, versucht der Verein derzeit durch Geldspenden zu decken. Auch "Quadratmeterpatenschaften" sind im Gespräch. "Wir würden uns freuen, wenn es Leute gibt, die für einen gewissen Zeitraum die Miete für einen bestimmten Hallenbereich übernehmen würden", erklärt Rogge die Idee. Sobald die offene Werkstatt richtig laufe, sollen die Einnahmen durch die Besucher das Projekt finanzieren. Die Werkstatt schaffe laut Rogge einen guten sozialen Anknüpfungspunkt für Menschen aus der Region. "Gerade, wenn man in nicht in der Kirche oder im Sportverein aktiv ist, kann man sich hier austauschen." Beim Midnight Bazar, Handlettering-Kurs oder gemeinsamen Gärtnern neben der Halle könne man sich auch einfach nur zum gemeinsamen Plaudern treffen. Auch ein Kinderspielplatz sei geplant.

Das alles bedarf viel ehrenamtlichen Engagements. "Wir arbeiten sehr hart", sagt Rogge. Darum benötigt der Verein helfende Hände. "Wir suchen Leute, die bei der Planung helfen wollen oder sich vorstellen können, nach der Eröffnung Kurse zu geben oder auch einfach nur Aufsicht zu führen". Alter oder eine handwerkliche Ausbildung spielten dabei quasi keine Rolle, obwohl es schön wäre, ein paar Experten dazuzugewinnen: "Jeder ist willkommen." Am 3. September können sich Interessierte von 19 Uhr an in der Halle am Bunsenweg 11 zum Kennenlernen einfinden.

Mehr unter nagel-faden.de

© SZ vom 01.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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