Integration in Lenggries:Mit Hausaufgaben gegen Vorurteile

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Felizitas Zens, Layla Rack, Khalida Schick, Lisa Spörer und Sophie Eß (v.l.) betreuen regelmäßig Grundschulkinder mit Fluchtgeschichte. (Foto: Manfred Neubauer)

Im Projekt "Mädchen für Migranten" engagieren sich Schülerinnen aus dem St.-Ursula Gymnasium Hohenburg für Geflüchtete. Dafür ehrt sie nun die Deutsche Bischofskonferenz in Dresden.

Von Veronika Ellecosta, Lenggries

Einen Nachmittag in der Woche verbringt die vierzehnjährige Lisa Spörer in der Grundschule Wackersberg. Dort hilft sie zwei Kindern, die Inhalte aus dem Deutschunterricht zu vertiefen. Einer der beiden Schützlinge kommt aus der Ukraine, ist vor dem russischen Angriffskrieg geflüchtet, und spricht noch gebrochen Deutsch. Dass Lisas Mutter russischsprachig ist, hilft ihr, mit den Kindern zu kommunizieren. Und die Nachhilfe trägt Früchte: Mittlerweile können die beiden Schüler schon viel besser deutsche Sätze bilden, zeigt sie sich zufrieden. "Wenn Kinder und Jugendliche bei uns mit der Sprache Schwierigkeiten haben, möchte ich ihnen die nötige Unterstützung geben", sagt sie.

Lisa Spörer freut sich, dass die beiden Kinder in der Hausaufgabenbetreuung kontinuierlich ihr Deutsch verbessern. (Foto: Manfred Neubauer)

Seit 14 Jahren gibt es die Mädchen für Migranten am St.-Ursula Gymnasium Hohenburg in Lenggries nun schon. Deutschlehrer Christian Martino hat sie damals ins Leben gerufen und leitet das Projekt auch heute noch. Inspiriert fühlte er sich damals durch Angela Merici, die Gründerin des Ursulinenordens, wie er an einem regnerischen Nachmittag bei Kaffee und Keksen erzählt. "Ich habe mich gefragt, wie sich die Angela Merici als Italienerin in Bayern fühlen würde, so ganz ohne Deutschkenntnisse. Mit dieser Idee bin ich dann zur Schulleitung gegangen und habe mich erkundigt, wie man ein Integrationsprojekt auf die Beine stellen könnte."

Christian Martino unterrichtete Deutsch als Zweitsprache in München, bevor er nach Lenggries kam. (Foto: Manfred Neubauer)

Verschiedene Angebote zu Toleranz begleiten das Hausaufgabenangebot

14 Jahre später gibt es die Mädchen für Migranten immer noch, haben sich in der Gemeinde etabliert, verschiedene Grundschulen und soziale Einrichtungen sind mit dabei. Von der achten Schulstufe an können sich die Jugendlichen von der katholischen Schule in Schloss Hohenburg in Christian Martinos Projekt engagieren. Die Hauptaufgabe war und ist es von Anfang an, Grundschulkinder mit Migrationshintergrund beim Erledigen von Hausaufgaben zu betreuen. Daneben organisiert Christian Martino diverse begleitende Veranstaltungen für die Schülerinnen: eine Filmvorstellung über das Zusammenleben von Einheimischen und Geflüchteten, ein Besuch bei der Moscheegemeinde in Penzberg, Lesungen mit migrantischen Autoren und Autorinnen, Vorträge über Antisemitismus.

Derzeit sind es um die zehn Mädchen, die an Mädchen für Migranten teilnehmen. Während der Pandemie nahm die Nachfrage etwas ab, sagt Martino, aber mittlerweile zeigen sich wieder mehr Schülerinnen interessiert am sozialen Engagement. 2015 war ein Jahr der Spitzenreiter, erinnert er sich: 25 Schülerinnen hatte Martino damals versammelt. Tausende Menschen, viele aus Syrien, flohen im damaligen Herbst nach Europa. Einige von ihnen strandeten in Lenggries im Erstaufnahmezentrum. Es habe damals immense Nachfrage gegeben, zu helfen, sagt Martino. Und die Schülerinnen vom St.-Ursula-Gymnasium haben geholfen. Andererseits seien auch Gerüchte über Annäherungsversuche von Geflüchteten aufgekommen und einige Eltern wollten ihre Kinder nicht mehr in die Unterkünfte lassen. "Aber es war eine Zeit, wo die Schülerinnen aktiv mitarbeiten konnten, die Situation der Geflüchteten aktiv zu verbessern. 2015 gab es sehr viele Ängste bei den Erwachsenen. Diejenigen, die tatsächlichen Kontakt hatten, konnten Vorurteile entkräften."

Felizitas Zens hat auch während der Pandemie mit den Grundschulkindern gearbeitet. Das war eine Herausforderung, weil die Kinder ihren Mund beim Formen von Lauten durch die Maske nicht sehen konnten, erinnert sie sich. (Foto: Manfred Neubauer)

"Das zeigt uns, dass es gut ist, was wir machen."

Die Schülerinnen im Projekt wirkten im Umgang mit den Ängsten wie Multiplikatorinnen, findet Martino: "Sie kommen in Kontakt mit Jugendlichen aus anderen Kulturen, es findet ein Austausch statt. Die Mädchen nehmen Werte wie Toleranz und Vielfalt in ihre eigenen Familien mit." Und Felizitas Zens antwortet stolz auf die Frage, was sie denn gelernt habe im Projekt: "Ich kann mich auch mal durchsetzen bei den Kindern." Sophie Eß sagt: "Ich weiß jetzt, wie man Kinder motivieren kann." Und Lisa Spörer fügt hinzu: "Dass jedes Kind individuell ist und seine Stärken und Schwächen hat."

Für ihr Engagement dürfen einige der Mädchen nun gemeinsam mit Christian Martino nach Dresden fahren, wo die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken sie mit dem dritten Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auszeichnet. Damit würdigt das Gremium alle zwei Jahre das Engagement von katholischen Verbänden, die "für ein respektvolles Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft eintreten".

Christian Martino bleibt bescheiden, wenn es um den Preis geht: Er sieht das als Zeichen der Anerkennung, vor allem für die Mädchen. "Das zeigt uns, dass es gut ist, was wir machen", sagt er. "Vor 14 Jahren hatte keiner gedacht, dass einmal so viele Syrer zu uns kommen. Dann hatte keiner gedacht, dass so viele Ukrainer zu uns kommen. Der Bedarf an Integration ist da, auch wenn man neue Entwicklungen mitdenkt. Wir machen auf jeden Fall weiter."

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