Landtagswahl in Bad Tölz-Wolfratshausen:Opposition mit oder ohne Mandat

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Manuel Tessun aus Attenham tritt für die ÖDP bei der Landtagswahl an. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Manuel Tessun sitzt seit zwei Jahren für die ÖDP im Kreistag. Als Direktkandidat für den Landtag schätzt der Eglinger seine Chancen realistisch ein.

Von Stephanie Schwaderer, Egling

Zum Interview trägt Manuel Tessun ein knalloranges T-Shirt. "Reiner Zufall", sagt er. Aber dafür harmoniert es fast zu gut mit dem Parteiprogramm, das vor ihm auf dem Gartentisch liegt. "5 % ändern alles! Ö oder nie" steht darauf. Es ist ein peppig aufgemachtes Heft und nennt "146 Gründe, die ÖDP zu wählen". Tessun wird es in der kommenden Stunde nur einmal aufschlagen, um auf die Doppelseite mit den ÖDP-Erfolgen zu verweisen, ansonsten redet er frei - über den "Wachstumswahnsinn", eine verfehlte Baupolitik oder den nahenden "Super-Gau in bayerischen Schulen". Dass er erst seit zwei Jahren für die ÖDP im Kreistag sitzt, merkt man dem 46-Jährigen nicht an.

Ins politische Grübeln ist er durch die Geburt seiner Tochter vor sieben Jahren gekommen. Plötzlich habe sich ihm die Frage gestellt, "welche Lebensgrundlagen wir unseren Kindern hinterlassen". Bis dato sei er Wechselwähler gewesen, erzählt er, habe mal grün, mal rot und mal die FDP gewählt. "Aber dann hab ich gemerkt: Ich hab' keine Partei mehr." Der Wahl-O-Mat habe ihm die ÖDP vorgeschlagen, und so habe er sich das Programm der Ökologisch-Demokratischen Partei einmal genauer angeschaut. "Mit 90 Prozent der Inhalte war ich sofort einverstanden."

Eine Gemeinwohlbilanz für Unternehmen

Überzeugt habe ihn, dass die ÖDP jegliche Spendengelder ablehnt. "Im Wahlkampf für die Kommunalwahlen haben wir nicht einmal Bioäpfel vom Bauern angenommen." Einer der größten Mängel des politischen Systems liegt seiner Ansicht nach darin, "dass Gesetze für und durch Lobbyisten gemacht werden". Tessun hat in Frankfurt und Madrid Wirtschaftswissenschaften studiert. Da werde man "zum Kapitalisten erzogen", kritisiert er. Dabei gebe es auch andere interessante Wirtschaftsmodelle, so etwa das Gemeinwohlmodell, das die ÖDP sich dick ins Parteiprogramm geschrieben hat.

"In Artikel 151 der bayerischen Verfassung steht, dass jedes Wirtschaften dem Gemeinwohl dienen soll", sagt er. "Davon sind wir Lichtjahre entfernt. Da begehen wir Tag für Tag Verfassungsbruch." Ein Weg aus der Misere könne darin bestehen, dass Unternehmen und Kommunen nicht nur ihre Finanzen, sondern auch ihren Einsatz fürs Gemeinwohl nach einer festen Matrix bilanzierten: Wie steht es um die Mitarbeiterförderung, die Nachhaltigkeit, den ökologischen Fußabdruck? In einem zweiten Schritt müssten Steuer- und Gemeinwohlbilanz dann ausgeglichen werden, skizziert er. "Unternehmen, die lieber gewinn- als gemeinwohlorientiert wirtschaften, zahlen dann eben 80 oder 90 Prozent Steuern."

In seinem eigenen Unternehmen - Tessun verdient sein Geld unter anderem als selbständiger Immobilien- und Finanzierungsberater in Grünwald - habe er bislang noch keine Gemeinwohlbilanz angelegt. "Wir sind nur zu zweit. Und eine solche Bilanz macht sehr viel Arbeit. Aber ich habe sie im Ideenspeicher."

Die Hoffnung? "5 plus x"

Welche Chancen rechnet er sich als Direktkandidat bei der Landtagswahl aus? Angesichts der starken Gegenkandidaten bei CSU und Freien Wählern sei es unwahrscheinlich, dass er gewinne, räumt er ein. "Aber ich hoffe, dass ich in die vordere Hälfte der Direkt-Kandidaten komme." Also auf Platz drei oder vier. Aufwind verschaffe der ÖDP bei der Landtagswahl die Bundesregierung, mit der "70, 80 Prozent" der Bevölkerung unzufrieden seien, sagt er. "Nur die AfD hat noch ein Profil - oder die ÖDP." Daher die Hoffnung "5 plus x".

Bekümmert es ihn nicht, dass die ÖDP seit ihrer Gründung im Jahr 1982 bei allen Bundes- und Landtagswahlen an der Fünf-Prozent-Klausel gescheitert ist? Würde er sich nicht gerne in einer Partei engagieren, die etwas bewirkt? "In einer Partei, die etwas bewirkt?", wiederholt er. "In der bin ich!" Die ÖDP mache erfolgreiche Oppositionspolitik in Bayern - und das bislang ohne politisches Mandat. An dieser Stelle schlägt er besagte Doppelseite auf, und da steht es Orange auf Bordeaux: Büchergeld gekippt (2008), Nichtraucherschutz per Volksbegehren durchgesetzt (2010), "Rettet die Bienen" (2019) und zehn weitere Punkte unter dem Titel "Bayerns wirksamste Oppositionspartei".

Im Kreistag seien die Gestaltungsmöglichkeiten begrenzt, räumt Tessun ein. Für ihn sei es gleichwohl spannend zu erleben, wie wenig Einfluss man als Kommunalpolitiker habe. "90 Prozent Pflichtaufgaben, selbst der Landrat ist getrieben."

Schulreform und Artenschutz

Hätte er im Landtag etwas zu sagen, würde er zunächst das Schulsystem reformieren, sagt er. Nicht nur im Hinblick darauf, dass es in Kürze viel zu wenig Lehrerinnen und Lehrer geben werde. Am Ende der vierten Klasse werde derzeit ein Drittel der Kinder in Bayern abgehängt. "Da gibt es dramatische Bildungs- und soziale Lücken." Dazu komme, dass an den Lehrplänen "seit Bismarck" nichts verändert worden sei: "Grundschüler müssen die Funktionsweise der Glühbirne lernen, da stellt es mir die Nackenhaare auf."

Auch das "Ö" liege ihm am Herzen: Artenschutz, Nachhaltigkeit, regionale Lieferketten. Als allererstes würde er aber vielleicht doch die Landesbauordnung ändern. "Wir bauen und leben, als ob es den Klimawandel nicht gäbe." Das Klima lasse sich nicht schützen, sagt er, wohl aber der Mensch. Man müsse endlich Dächer und Fassaden begrünen, Flächen entsiegeln, statt sie weiterhin tagtäglich zuzubetonieren, Photovoltaik auf Autobahnen und Parkplätzen installieren.

Als Immobilienmakler wisse er, wie Araber auf den hiesigen Wohnungsmarkt reagierten. Häuser mit großen Fenstern und Glasfassaden Richtung Süden lösten nur Kopfschütteln aus. Was gefragt sei: Nordterrasse.

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