Kunst-Aktion:Starke Farben, starke Gefühle

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Mit der Künstlerin Traudl Klor lernt die Klasse 4b der Schäftlarner Grundschule den Expressionismus kennen. Das ist Teil des Projekt "Blaues Pferd und roter Hund - unsere Welt ist kunterbunt!"

Von Christa Gebhardt, Schäftlarn

Im Hohenschäftlarner Atelier der Malerin Traudl Klor ist ein langer Tisch aufgebaut. Darauf liegen und stehen riesige Mengen satter Acrylfarben, bunte Kreiden, Farbtöpfe, Roller und Pinsel in allen Größen. Die Kinder der Klasse 4b der Grundschule Schäftlarn dürfen so viel Farbe benutzen, wie sie wollen. Traudl Klor hat die pigmentstärksten Farben eingekauft. "Die besten Farben strahlen am meisten und die Kinder sollen in Farben schwelgen", sagt sie.

In zwei Gruppen kommen die Kinder ins Klors Atelier. Jedes Kind hat eine Staffelei, einige malen, andere trocknen draußen an der Sonne auf der Wiese ihre Hintergründe, um dann darauf weiter arbeiten zu können. Sie malen im Stil der Expressionisten, im Rahmen eines Kunstprojekts der Schäftlarner Grundschule. Die erfahrene Malerin Traudl Klor berät und begleitet die künstlerischen Werke ihrer jungen Schüler. Die Buben und Mädchen sollen durch das Malen"sehen lernen": Sie sollen in einem Chaos, einem ungeordneten Wirrwarr, ein Etwas erkennen, ihm eine Form geben und die herausschälen. "Die Form ist schon da!", erklärt sie, man müsse sie nur herausfinden und ihrer gewahr werden. Die namhafte Malerin ist überregional bekannt für ihre farbstarken, expressiven Bilder, und sie will von den Kindern genau das: Expression. Gefühle ausdrücken. Abstrakt formuliert bedeutet das, ein Bild anzustreben, das formale Geschlossenheit und eine nicht naturalistische, ungebrochenen Farbgebung besitzt. Natürliche Maßverhältnisse spielen keine Rolle. Wesentlich sind emotionale Gebärde, starke Linienführung, farbliche Kontraste und die Monumentalwirkung.

Ein großer Tisch voller Farben lädt die Buben und Mädchen zum Malen ein. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Gegenteil wären "Kindergartenbilder mit Blumen am unteren Bildrand und einer Sonne in der Ecke." So hat es Traudl Klor den Kindern schon bei der Vorbesprechung im April erklärt. Die Neun- bis Elfjährigen haben das längst kapiert. In der großen Besprechungsrunde haben die 22 Schüler mit der Künstlerin und ihren Lehrerinnen Stephanie Schmucker und Ursula Seibold auch über die Entstehung des expressionistischen Stils gesprochen: Krieg, Gewalt und soziale Umwälzungen ängstigten die Menschen, Kunst wurde als Aufschrei aus der inneren Not verstanden, es ging um die Stärke des Ausdrucks. Die Kinder wurden im Unterricht gut vorbereitet, die Bilder der Künstlervereinigungen "Blauer Reiter" und "Die Brücke" haben sie gesehen, besprochen und verstanden. Sie haben die Pinakothek der Moderne in München besucht und kennen die wichtigsten Künstler. Julius, Leopold, Elisabeth, Benedikt und all die anderen aus der Gruppe rufen die Namen: "Kandinsky, Franz Marc, August Macke, Paul Klee." Jeder von ihnen hat einen Lieblingsmaler. Emma zum Beispiel findet Klee so toll, "weil er so abstrakte Formen malt", die zusammen einen Sinn ergeben.

Elisabeth scheint inspiriert zu sein von Traudl Klors Malstil. Deren Hauptmotive sind Menschen: Mütter mit Kindern, tanzende, spielerische, in liebevoller Umarmung verschlungene Frauen und Männer. Elisabeth hat einen sonnengelben Hintergrund gewählt. Heraus schält sich eine leuchtrote Gestalt. Und dann kommt ihr ein Gedanke: Ballerina! Ein nach oben gestrecktes Bein, der Körper waagerecht, eine Tänzerin in einer fliegenden Pose. Traudl Klor berät das Mädchen: "Hier etwas wegnehmen, da vereinfachen, die Konturen mit einer anderen Farbe betonen." Elisabeth versteht sofort. "Alle Kinder setzen um, was ich ihnen erkläre", sagt die Künstlerin. Sie liebe es sehr, mit den Kindern zu arbeiten - und die sind begeistert bei der Sache. Antonia, die auf ihrem schwarz gehaltenen Hintergrund einfach "nur gekleckst hat, weil das so Spaß macht", bekommt den Rat, mit Kreide die Kleckse zu Formen zu verdichten. Und Fabian, der seiner Lehrerin Ursula Seibold zufolge einer ist, der gut denken kann, lernt beim Malen, seine Gefühle rauszulassen. "Mit Augen zu" hat er mit Orange begonnen und festgestellt, dass sich da aus der Rollerstruktur eine Form abzeichnet, die wie eine Männerskulptur aus der Frühzeit aussieht. Begrenzt und eingerahmt wird die Figur später mit dunkelblauem Acryl.

Die Künstlerin Traudl Klor (links) gibt Elisabeth Tipps, wie sie ihr Bild einer fliegenden Ballerina vervollkommnen kann. (Foto: Hartmut Pöstges)

Leopold entdeckt in seinem Bild, dass er die fünf Sinne des Menschen gemalt hat: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten. Ein Kopf mit riesigen Augen und Ohren entsteht, ein Mund, der an etwas schleckt, zwei Hände, ebenso groß wie der Kopf, erzählen vom menschlichen Tastsinn. Julian hat ebenso "mit Augen zu!" in seinem Bild einen Flöte spielenden Geisterkopf gesehen, wenige Striche nur für die Flöte, ein angedeuteter Kreis für das Haupt. Bei Florian entsteht aus seiner Vorliebe "für das Gruselige" eine abstrakte Kirche mit Friedhof, bevölkert von Schleimmonstern in Weiß, hinterher patzig drauf gesetzt.

Die Kinder lernen enorm viel in einem so freien Arbeitsprojekt, das großes Engagement der Lehrer voraussetzt. In diesem Fall helfen Ursula Seibold und Stephanie Schmucker zusammen - und sie haben die ebenso fachkundige wie großzügige Unterstützung von Traudl Klor. Sie hatte der 4b den Expressionisten-Malkurs von sich aus angeboten, als sie mit ihrer Enkelin Julia, die ebenfalls die 4b besucht, im vorigen Jahr das Architekturprojekt der Klasse in der Schule besuchte.

Am 30. Juni stellen die jungen Expressionisten beider Gruppen der 4b ihre Werke in einer Vernissage an der Schäftlarner Grundschule im Rahmen des gesamten Kunstprojekts ihren Eltern und allen Interessierten vor. Bestimmt interessant zu sehen, welches Kind da welche Gefühle rausgelassen hat - und wie!

© SZ vom 20.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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