Coronabedingte Turbulenzen:Kulturprotest landet in der Staatskanzlei

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Protest vor der Staatskanzlei: Weil Kultureinrichtungen im Lockdown schließen mussten, Flugzeuge aber fliegen durften, widmete sich die Kleinkunstbühne Hinterhalt in eine Fluggesellschaft um und landete vor der Staatskanzlei. (Foto: Yoav Kedem)

Mit der Umwidmung zur Airline und einer satirisch-symbolischen Flug-Aktion machen Verantwortliche des Geltinger Hinterhalts Ministerpräsident Söder auf die prekäre Lage der Künstler und Veranstalter aufmerksam.

Von Moritz Hackl, Geretsried/München

Rauchwolken steigen auf, der Motor stottert ein-, zweimal, und die Rotorblätter beginnen surrend zu kreisen. Die Gelting-2 rollt an und hebt ab. Das Flugzeug gleitet durch die Alfons-Goppel-Straße, fliegt eine Kurve in die Hofgartenstraße und setzt zur Landung an, direkt vor der Bayerischen Staatskanzlei. Weil Kultureinrichtungen im Lockdown schließen mussten, Flugzeuge aber fliegen durften, hat sich die Geltinger Kleinkunstbühne Hinterhalt in eine Airline umgewandelt. Am Freitag landete das Flugzeug der Gesellschaft samt Crew deshalb bei Ministerpräsident Markus Söder in München. Dieser solle, so die Forderung hinter der Protest- und Kunstaktion, die Fluglinie kaufen, nach den coronabedingten Turbulenzen sanieren und damit die Kultur retten.

Assunta Tammelleo und Thorsten Thane wirken so, als könnten sie immer noch nicht ganz fassen, was aus einem Scherz geworden ist: Ein befreundeter IT-Unternehmer hatte Tammelleo gefragt, warum sie denn eine Kulturbühne und keine Airline führe - schließlich könnten sich Fluggesellschaften über Milliardenzuschüsse von der Politik während der Corona-Krise freuen, während Kulturschaffende mit den Verdienstausfällen weitgehend alleingelassen werden. Der Gedanke gefiel Tammelleo, und so beschloss sie kurzerhand eine Nutzungsänderung: Seit dem 1. Mai versteht sich der Hinterhalt nicht länger als Kulturbühne, sondern als Fluggesellschaft Gelting-1. Die Änderung wurde mit der Enthüllung der Gelting-2 gefeiert, dem Flugzeug, das die Ehrenamtlichen des Kulturvereins Isar-Loisach (KIL) konstruiert haben. "Airlines sind Aktiengesellschaften, da können Investoren Anteile kaufen, und wir sind aus dem Schneider", sagt Tammelleo. Alles ganz einfach also.

Was nicht so einfach ist: Bereits seit dem 9. März 2020 sind die Türen des Hinterhalts für Besucher verschlossen. Trotz des Stillstands aber war es nie still. "Wir haben direkt auf Livestreams umgestellt, nachdem wir schließen mussten", erzählt der gelernte Kameramann und Regisseur Thane. Wie viele andere ist auch er ehrenamtlich für den KIL tätig. "Das erste Konzert haben wir noch mit Handykameras übertragen, weil unser Set-up leider nicht so funktioniert hat, wie wir uns das gewünscht haben." Es habe sich viel verändert seither. Jede Woche übertragen sie im Schnitt zwei Konzerte ins Internet, insgesamt waren es bislang über 75. Zuschauer können Spenden zahlen, müssen es aber nicht. "Deshalb haben wir viel Gegenwind bekommen", sagt Tammelleo. Ihnen wurde vorgeworfen, die Kultur zu verramschen. Für die Geltinger hat das eher mit Solidarität zu tun. "So können Menschen an der Kultur teilhaben, die sonst ausgeschlossen waren, weil sie das nötige Kleingeld nicht hatten." Deshalb soll der Kostenbeitrag für die Livestreams auch in Zukunft den Zuschauern überlassen bleiben. Das ändert nichts daran, dass Einkünfte fehlen. Geringfügig Beschäftigte mussten entlassen werden, das Geld aus der Gastronomie und von Ticketverkäufen fehlt.

"So, ich muss jetzt noch schnell ins Büro und die Urkunde für Dr. Söder holen." Tammelleo wirkt auf eine unaufgeregte Art aufgeregt. Wie jemand, der sich damit abgefunden hat, dass man nicht alles kontrollieren kann, dass es hin und wieder unübersichtlich und manchmal auch chaotisch zugehen muss. In ihrem Büro voll loser Aktenstapel, Pflanzen und schräg stehender Regale sucht und findet sie das Dokument, das alle notariellen Belange der Nutzungsänderung regelt. Darin heißt es etwa: "Das Stammkapital beträgt 25 Kisten à 20 Flaschen à 0,5 l Helles verschiedener traditioneller südbayerischer Biere des Typs 'Helles' bzw. 'Export', die vom Kulturverein Isar-Loisach gehalten werden."

Vor dem Geltinger Hinterhalt wurde der Flieger verladen, um ihn nach München zu bringen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Außerdem regelt das beglaubigte Schriftstück, dass alle zukünftigen Gewinne der Airline zum Erhalt der Kulturbühne Hinterhalt in Gelting verwendet werden. Unterzeichnet ist das Dokument von dem Notar "Prof. h.c.u.n.m.h.c. Cervisiam Dringmasöön".

"Gelting-2 auf dem Weg zur Rollbahn. Bitte bestätigen", ruft Thane und sein Pick-up-Truck zieht den Anhänger samt Flugzeug über die Autobahn Richtung München. Auf der Rollbahn in der Alfons-Goppel-Straße findet sich die Crew ein: Kapitänin und Co-Kapitän, zwei Stewardessen, ein Flugzeug-Einweiser und ein Monteur. Der Monteur zurrt das Flugzeug, das nicht fliegt, auf einem neuen Anhänger fest, es raucht, leuchtet auf, und der Tross setzt sich in Bewegung. Die Gelting-2 hat es nicht eilig, an ihr Ziel zu kommen. Passanten bleiben stehen, schießen Fotos von der Prozession und gliedern sich als Passagiere ein.

Auch wenn sich die Verantwortlichen der ehemaligen Kulturbühne und aktuellen Fluglinien-Macher alle Mühe geben, so ganz können sie die Kultur doch nicht abschütteln: Auf der Landebahn vor der Staatskanzlei begrüßt die Peter Schneider Kombo das landende Flugzeug mit einem Lied, einer Jazzvariante von "Copacabana". "We're flying down to Rio", singt Schneider, und die Passagiere der demonstrativen Flugreise tanzen unter den skeptischen Blicken der Polizei. Dann nimmt sich Tammelleo das Mikrofon. "Nach 14 Monaten Stillstand haben wir uns nun dazu entschieden, nicht länger eine Kulturbühne zu sein - jetzt sind wir eine Airline. Diese haben wir heute dem amtierenden Ministerpräsidenten, Dr. Söder, zum Kauf angeboten, der kann sie dann sanieren, und wir sind gerettet."

Auf einem Kissen trägt der Inhaber der Fluggesellschaft Gelting-1, Hendrik Noeller, in Begleitung seiner sonnenbebrillten Flugkapitäne die notariell beglaubigte Nutzungsänderung zur Pforte der Staatskanzlei. Die Übergabe des Dokuments findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Als Noeller wieder vor die Tür tritt, ist sein Zylinder leicht verrutscht; er sieht aus, als mache er sich Sorgen, ob das angebotene stammwürzige Stammkapital wohl in fähige Hände geraten ist. Doch das Schreiben ist abgegeben. Nun liegt das Fortbestehen der Fluggesellschaft ganz an Ministerpräsident Söder. Der Motor ist aus, der Rauch um das Flugzeug verflogen.

© SZ vom 31.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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