Kommentar zur Bürgerbeteiligung:Vorurteile statt Urteilsbildung

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Mit dem Beschluss gegen die Vorstellung der Bürgerbeteiligungs-Software zeigt der Wolfratshauser Stadtrat vor allem eines: Desinteresse.

Von Konstantin Kaip

Im Wolfratshauser Stadtrat wird der Wert der Bürgerbeteiligung von nahezu allen gerne betont. Bedarf, sich näher mit den Möglichkeiten der dafür entwickelten Online-Plattform Consul zu befassen, besteht aber offenbar nicht. Mit einer deutlichen Mehrheit haben die gewählten Volksvertreter am Dienstag einen Antrag der Grünen abgelehnt, sich die Software von einem Referenten des Vereins "Mehr Demokratie" einmal ausführlich vorstellen zu lassen.

Bürgerbeteiligung ja, aber bitte nicht so, kann man das Urteil der meisten Stadträte zusammenfassen. Begründet wurde das einerseits mit den schon bestehenden Möglichkeiten: Es gebe ja die jährliche Bürgerversammlung, bei der man Anträge zur Abstimmung stellen könne. Und mit genug Unterstützern könne man auch unterm Jahr Bürgeranträge stellen, wie gerade zu den "Tiny Houses". Davon abgesehen sei das Ganze personalintensiv. Zudem könnten Internetplattformen von "Influencern" missbraucht werden, um Eigeninteressen durchzusetzen. Und sie schlössen all diejenigen aus, die nicht mit den neuen Medien vertraut seien.

Man könnte hier ins Feld führen, dass die analogen Angebote zum Großteil von engagierten älteren Bürgern angenommen werden. Jüngere Berufstätige und Familien verbringen angesichts ihrer knappen Freizeit die Abende und Wochenenden eher nicht in der Loisachhalle bei zähen Ideensammlungen und Workshops. Daraus ein mangelndes Interesse an wichtigen kommunalpolitischen Projekten abzuleiten, wäre aber falsch. Die Online-Plattform könnte als niederschwelliges Angebot auch Meinungsbilder aufzeigen, an die der Stadtrat anders schwer herankommt.

Die Zweifel an der neuen Plattform in Wolfratshausen sind aber durchaus nachvollziehbar. Ganz im Gegensatz zur Entscheidung des Stadtrats. Denn die gewählten Volksvertreter haben mit ihrem Urteil vor allem eins gezeigt: Desinteresse. Die Diskussion zu Für und Wider wäre legitim gewesen, hätte sie nach dem Vortrag des Referenten stattgefunden, auf Basis einer profunden Kenntnis der Software, die immerhin von mehr als 100 Kommunen weltweit eingesetzt wird. Ein Stadtrat, der sich die Bürgerbeteiligung auf die Fahnen schreibt, sollte sich über deren Möglichkeiten informieren wollen. Und selbst Skeptiker sollten so ein Angebot als Fortbildung begreifen. Wer es ablehnt, zeigt nur, dass er Vorurteile einer Urteilsbildung vorzieht.

© SZ vom 12.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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