Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen:Da-Sein bis zuletzt

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"Es geht dann darum, Liebe und Nähe zu zeigen und auf anderer Ebene Kontakt aufzubauen", sagt Patricia Vogl, zweite Vorsitzende des Christophorus-Hospizvereins. (Foto: Claus Schunk)

Hospizbegleitung und Palliativpflege sind vernetzt und betreuen todkranke Menschen und entlasten deren Angehörige.

Von Paul Schäufele, Bad Tölz-Wolfratshausen

"Was machen Sie hier?", hat die Frau immer wieder zu ihr gesagt, und "Gehen Sie hinaus ins Leben!". Doch auch das hier ist Leben, hat sich Anne Gruber gedacht, als sie, die Hospizbegleiterin, der unheilbar Kranken in ihren letzten Tagen beistand. Noch immer ist für viele Menschen der Tod nicht mehr als eine erwartbare Überraschung, unsichtbar, so lange, bis er nicht mehr aus dem Blickfeld zu drängen ist. Doch die Überzeugung, das Lebensende in die Idee eines gelingenden Lebens zu integrieren, findet immer breitere Unterstützung. Damit Personen, die Hilfe beim Sterben brauchen, diese auch bekommen, bedarf es einer funktionierenden Hospiz- und Palliativversorgung. Ein Blick auf die Strukturen zeigt: Der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen ist gut versorgt. Doch dass die Versorgung gelingt, liegt nicht an einer Stelle allein.

Im Mittelpunkt: der Christophorus-Hospizverein

Erster Knotenpunkt in dem Netzwerk aus Akteuren ist oft der Christophorus-Hospizverein Bad Tölz-Wolfratshausen. Die Vereinsmitarbeitenden gehen zu Sterbenden, leisten ihnen Gesellschaft, versuchen, den letzten Stunden die Schwere zu nehmen. "Da-Sein" sei ein zentrales Angebot der Hospizbegleitung, betont der Vereinsvorsitzende Walter Obinger. Es gibt viele Wege, dieses Da-Sein zu vermitteln, zum Beispiel Spaziergänge oder Gespräche. Aber oft ist das nicht mehr möglich. Obingers Stellvertreterin Patricia Vogl etwa begleitet vorrangig an Demenz erkrankte Menschen, die sich mit Worten kaum noch verständigen können. "Es geht dann darum, Liebe und Nähe zu zeigen und auf anderer Ebene Kontakt aufzubauen. Wichtig ist dabei Berührung. Aber auch Musik oder Düfte, also Aromatherapie, sind ein Mittel."

Patricia Vogl und Walter Obinger leiten den Hospizverein. (Foto: Hartmut Pöstges)
Anne Gruber (links) und Gabi Leinauer sind Koordinatorinnen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Verwaltungsmitarbeiterin wirkt seit mehr als zehn Jahren im Verein mit und besucht ihre Patientinnen und Patienten einmal pro Woche. Sie gehört damit zu den 56 Ehrenamtlichen, die nach einer einjährigen Ausbildung Sterbende begleiten. Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, sei nicht schwer, das Interesse sei da, sagt Anne Gruber, eine der drei Koordinatorinnen des Vereins. Neulich habe gar ein Fünfzehnjähriger bei ihr angefragt, wie er sich einbringen könne. Und auch wenn laut Gruber der Bedarf im Kreis voll gedeckt werden kann, sagt Vogl: "Wir brauchen jeden." Die Nachfrage sei groß, an die 120 Patienten würden pro Jahr versorgt.

Eine solche Betreuung richtet sich nicht nur an die Patienten. Denn nicht zuletzt werden die Angehörigen dadurch entlastet, etwa durch eine Pause von der Pflege. Aber auch das Gehörtwerden durch Personen, die Erfahrung mit Sterbenden haben, bietet eine emotionale Stütze oft über den Tod des Angehörigen hinaus. Denn Trauerarbeit ist ebenso eine Aufgabe des Hospizvereins wie Informationsveranstaltungen zu Patientenvollmachten oder Letzte-Hilfe-Kurse. Diese Kurse erläutern den Sterbeprozess und ermöglichen so dem Umfeld einen realistischeren Blick auf das Thema.

Das Ziel einer Hospizbegleitung lässt sich einfach zusammenfassen: Zu Hause sterben, wo früher die Menschen ins Heim oder ins Krankenhaus gekommen wären. Zur Allgemeinen ambulanten Palliativversorgung (AAPV), die etwa 85 Prozent der Sterbebegleitungen übernimmt, kommt deshalb die sogenannte Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV), auf die alle gesetzlich Versicherten Rechtsanspruch haben.

SAPV-Teams bestehen aus medizinischem Personal und Pflegekräften mit palliativmedizinischer Zusatzqualifikation. Wenn ein unheilbar kranker Patient so schwere Symptome hat, dass Hausarzt und reguläre Pflege nicht mehr ausreichen, hilft das SAPV-Team. In der Region hat diese Funktion das Opal-Team (Oberland Hospiz- und Palliativversorgung). Unstillbare Blutungen bei Tumorwunden etwa brauchen besondere Expertise. Das SAPV-Team ergänzt in diesen Fällen, wodurch Krankenhausaufenthalte vermieden oder verkürzt werden können.

"Entlastung durch Begleitung und Qualifizierung" sei der Kern von SAPV, sagt Opal-Geschäftsführer Bernhard Fauser. Das bedeute, dass Angehörige bewusst eingebunden werden. Fauser erinnert sich an eine Episode aus der letzten Lebensphase einer schwerkranken Frau, die unter Inkontinenz litt. "Mir graust es vor nichts", sagte ihr Mann, "aber ich weiß einfach nicht, wie ich ihr die Windel wechseln soll." Kurz entschlossen legte sich eine Pflegerin des Opal-Teams auf den Boden und sagte "Dann probieren Sie's mal an mir aus." Bekleidet, versteht sich.

24 Mitarbeitende versorgen so rund 530 Patientinnen und Patienten pro Jahr, in einem Gebiet, das weit über den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen hinausreicht, unterstützt von der AAPV des Tölzer Christophorus-Vereins, mit dem sich Opal in wöchentlichen Besprechungen abstimmt. Und doch sieht Fauser keine Desiderate, im Gegenteil: "Es ist super, dass es uns gibt, aber es braucht uns nicht immer." Denn ebenso wichtig wie der Erhalt der Versorgung durch Fachkräfte sei es, den Angehörigen Ängste zu nehmen, damit diese in die Pflege eingebunden werden können. Zur Not sei das Team ohnehin 24 Stunden am Tag erreichbar.

"Ambulant vor stationär", ist das Credo der Palliativversorgung, was sich auch in aktuellen Zahlen niederschlägt. In Bayern gibt es rund 140 Hospizvereine und 49 SAPV-Teams. Im Vergleich dazu: Bundesweit sind 403 SAPV-Dienste unterwegs. Die stationäre Versorgung im Landkreis scheint demgegenüber dünner. Die nächstgelegenen Hospize befinden sich in Bernau am Chiemsee, Germering und Polling. Das dortige "Hospiz im Pfaffenwinkel" hat zehn Betten, soll aber in den kommenden Jahren um sechs Plätze erweitert werden. Zudem ist ein zusätzliches Hospiz in Bad Wiessee (Landkreis Miesbach) in Planung. Hier ist der Bedarf höher als das Angebot, es gibt Wartezeiten für Patienten, die kaum noch Zeit haben.

Bayern ist Schlusslicht

Im bundesweiten Vergleich spiegelt sich das wider. Aktuelle Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin sehen den Freistaat mit 16 Betten pro einer Million Einwohner auf dem letzten Platz (deutscher Durchschnitt: 33 Betten). Auch wenn Betten auf Palliativstationen mit einberechnet werden, ist Bayern Schlusslicht. Und wie in allen Pflegeeinrichtungen fehlt es auch hier an hauptamtlichen Mitarbeitern. Zumal der Personalschlüssel anders ist als im Seniorenheim. Im Pollinger Hospiz etwa kommen auf einen Patienten rechnerisch eineinhalb Mitarbeiter, die sich ganz auf die individuelle Betreuung der Patienten einstellen. Ein Bewohner des Hospizes im Pfaffenwinkel etwa wollte unbedingt noch den neuen Bauernhof seines Sohns im Norden Bayerns sehen. Das wurde möglich gemacht. "Der Mann durfte als der glücklichste Mensch der Welt gehen", erzählt Geschäftsführer Steffen Röger.

Derart intensive Betreuung ist in Einrichtungen wie etwa dem Evangelischen Pflegezentrum Rupert-Mayer in Kochel am See angesichts des Personalmangels in der Pflege kaum möglich, obwohl auch dort die Versorgung durch Palliativ-Fachkräfte in jedem Wohnbereich gesichert ist. Entlastung in medizinisch komplexeren Fällen kommt durch Palliativstationen.

Geografisch am nächsten sind die Stationen in den Krankenhäusern Agatharied und Starnberg. Wolfratshausen verfügt über eine Palliativeinheit mit zwei Einzelzimmern, die sich von den üblichen Zimmern etwa durch die Übernachtungsmöglichkeit für Angehörige unterscheiden. Doch auch hier gilt: Ziel ist es, den Patienten zu stabilisieren, um ihm ein Sterben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen, eventuell begleitet von ambulanten Diensten.

Die Versorgung im Landkreis ist gegeben, trotz ausbaufähiger Strukturen zumal im stationären Bereich. Das ist so, weil alle Beteiligten zusammenarbeiten, weil ambulante und stationäre Dienste sich absprechen, weil Hausärzte sich einbringen. Und vor allem, weil immer mehr Menschen erkennen, wie wichtig es ist, sich während des Lebens auf dessen Ende vorzubereiten, um sich beruhigt auf die letzte Reise machen zu können.

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