SZ-Serie: "Unikate":Hirschhaut, die sitzt

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58 Einzelteile muss Säcklermeisterin Susanne Schöffmann verbinden, bis daraus eine Lederhose wird. (Foto: Manfred Neubauer)

Säcklermeisterin Susanne Schöffmann fertigt in Lenggries maßgeschneiderte Lederhosen. Bis zur ersten Anprobe müssen sich Kunden im Schnitt eineinhalb Jahre gedulden.

Von Benjamin Engel, Lenggries

Gesticktes Eichenlaub, Rebenranken und Wildtiere sind typisch für eine traditionelle Lederhose. Je aufwendiger die Muster sind, umso wertvoller und teurer ist das Kleidungsstück. Der traditionsbewusste Kenner kann an Gestaltungsdetails zudem erkennen, aus welchem Ort der Träger stammt. Gesticktes Eichenlaub mit drei Gamswild-Exemplaren ziert traditionell die Lederhosen der Jachenauer. Mehrere Punkte sind im Schlehdorfer und Kochler Raum üblich. Eine eingezirkelte Gams in hellem Grün steht für Lenggries.

Allein von der Bedeutungsvielfalt ihrer Stickereien kann Susanne Schöffmann ausführlich erzählen. In ihrer kleinen Werkstatt über dem Ladengeschäft in Lenggries fertigt die 49-jährige Säcklermeisterin Lederhosen nach Maß. In einem Schrank stehen Ordner mit zahlreichen Motiven - von traditionell klassisch bis individuell. "Für einen Pfarrer habe ich zur Priesterweihe den Korbiniansbär gestickt", erzählt sie. Denn der Geistliche namens Korbinian sei im Freisinger Dom Sankt Korbinian geweiht worden. Die Säcklerei mag im Alpenraum nur noch ein Nischenhandwerk sein. Schöffmann spricht von höchstens 15 bis 20 Berufskollegen im gesamten Freistaat Bayern. Doch der ungewöhnliche Auftrag, macht deutlich, wie gefragt maßgefertigte Lederhosen heutzutage sind.

Das hängt mit den boomenden Volksfesten, allen voran der Münchner Wiesn, zusammen. Wer modisch sein will, trägt Tracht. Gerade bei den jüngeren Leuten symbolisiere eine Lederhose oder ein Dirndl aber auch, zu den eigenen Wurzeln zu stehen, sagt Schöffmann. Die Tracht ermögliche es, eine bodenständige Verankerung auszudrücken, was in der heutigen Zeit zunehmend schwieriger werde.

Die Basis von Schöffmanns Handwerkskunst ist das Leder. Das beste und weichste ist das der Hirsche. Fast nur daraus fertigt die Säcklermeisterin ihre Lederhosen, seltener aus Gams- oder dem eher steifen und damit schwereren Elchleder. In einem Eck der Werkstatt stapeln sich die Häute. Die meisten stammen aus Tschechien oder Neuseeland, wenige aus der Region. Im Fell der heimischen Hirsche legt die Dasselfliege ihre Larven. Aus kleinen, kaum wahrnehmbaren Beschädigungen könnten sich später beim Tragen gröbere Löcher bilden, erklärt Schöffmann. In Übersee existierten die Parasiten nicht, das Hirschleder von dort sei makellos.

Wie langwierig der Herstellungsprozess ist, verdeutlichen wenige Eckzahlen. Ein halbes bis zu einem Dreivierteljahr dauert es, das Leder sämisch zu gerben. Bei dieser Form der reinen Fettgerbung werden die gereinigten und enthaarten Häute mit Fischtran gewalkt und zwischendurch immer wieder ausgelegt, um an der Luft zu oxidieren. So wird das Leder weich und haltbar. Mit Blauholz wird es anschließend etwa dunkel gefärbt. Dann können Schöffmann und ihre sechs Mitarbeiter - alle ausgebildete Säckler - es weiterverarbeiten.

Eine Lederhose besteht aus 58 Einzelstücken. Dafür nehmen die Säckler bei den Kunden Maß und schneiden das Leder entsprechend zu. Nur für die Nähte verwenden sie eine Nähmaschine, ansonsten wird mit der Hand gearbeitet. Durchschnittlich 25 bis 30 Stunden dauert es, bis eine Lederhose fertig ist. Sie habe auch schon einmal 120 Stunden gebraucht, weil die Stickerei so aufwendig gewesen sei, sagt Schöffmann. Die Muster werden dafür mit Kreide auf dem Leder vorgezeichnet. "Mich fasziniert, aus dem schönen Material ein komplettes Kleidungsstück machen zu können", sagt sie.

Als Säcklermeisterin mit eigenem Geschäft ist sie eine der wenigen selbständig tätigen Frauen in diesem Handwerk. Von Kindheit an hat sie sich selbstverständlich in diesem Metier bewegt. 1961 hatte ihr Vater die Säcklerei Bammer in Lenggries gegründet. In der Werkstatt war seine Tochter schon als Mädchen gerne. "Mit 15 Jahren habe ich dann beschlossen, Säcklerin zu werden - gegen den Willen meines Vaters", erzählt sie. Damals sei es in den Säcklereien üblich gewesen, dass die Söhne das Handwerk übernahmen. Ihr Vater habe die Vorstellung gehabt, dass ihr Bruder ihm einmal nachfolgen werde. Doch der habe sich eher ungeschickt angestellt und sei heute Bankkaufmann. Im Betrieb habe sie sich mit ihrem Vater dann gut verstanden. Bis zum Alter von 75 Jahren habe er noch mitgearbeitet.

Ungeduldig sollte keiner sein, der sich seine Lederhose bei der Säcklerei Bammer anfertigen lassen will. Vom Maßnehmen bis zum ersten Anziehen dauert es laut Schöffmann eineinhalb Jahre. Wer nicht so lange warten mag, findet im Ladengeschäft Lederhosen namhafter Marken, die passenden Trachtenhemden, Strümpfe oder Hosenträger. Was Schöffmann nicht führt, sind Lodenprodukte, Hüte oder Schuhe. Denn solche Geschäfte gebe es im Ort. "Wir wollen zusammenarbeiten und uns nicht Konkurrenz machen."

Ihre Kunden kommen fast ausschließlich aus dem bayerischen Raum. Beliebt sind kurze und klassisch-dunkle Lederhosen mit grüner Stickerei, wie sie in Trachtenvereinen oder Blaskapellen verbreitet sind. Die Bundhose, die 15 Jahre überhaupt nicht gefragt gewesen sei, erlebt seit kurzem wieder ein Comeback. So unterliegt auch die Lederhose dem Wandel der Mode. Waren in der Nachkriegszeit bis zum Knie reichende Exemplare modern, kamen in den 1970er-Jahren Hotpants auf. Auch die Bundhöhe rutschte von oberhalb des Nabels weiter hüftwärts. Jedem Trend mag Schöffmann aber nicht folgen. So gebe es Hersteller, die Lederhosen im sogenannten Used Look fertigten, also auf alt machten und beispielsweise in die Stickerei Fehler einarbeiteten. Das käme für die Lenggrieserin nie in Frage. Ihre Handarbeit nachträglich zu zerstören, das könne sie sich nicht vorstellen, sagt sie.

Wie sich die Wünsche der Kunden über die Jahre auch verändern, so ist eines doch immer gleich geblieben. "Eine Lederhose sollte zu 100 Prozent perfekt sitzen", sagt Schöffmann. Maß nimmt sie am liebsten persönlich in ihrem Geschäft. Mit einem in den USA lebenden gebürtigen Franken hat sie aber auch schon einmal nur mit E-Mail und telefonisch korrespondiert. "Ich habe die Lederhose ins Hilton geliefert, und er ist damit sofort auf die Wiesn gegangen." Ihr Geschäft ist derzeit wegen der Pandemie-Auflagen geschlossen. Kunden dürfen nur noch zum Abholen an die Ladentür. Dass seit fast einem Jahr keine Volks- und Vereinsfeste mehr stattfinden, macht sich natürlich auch in ihrer Kasse bemerkbar. Den Leuten fehlten die Gelegenheiten, eine Lederhose zu tragen, sagt sie, und so seien sie auch zögerlich, sich eine anfertigen lassen. Ein Exemplar kostet immerhin von 1300 Euro aufwärts.

Zuversichtlich stimmt sie, dass der Ausbildungsberuf wieder viel gefragter ist als zu ihren Anfangszeiten. "Einen Lehrling zu finden, ist kein Problem." In Lenggries gehört die Lederhose schlicht zum Leben. Zur Bürgermeisternachwahl im vergangenen Jahr, erzählt Schöffmann, sei praktisch der gesamte Ort in Tracht ins Wahllokal gegangen.

© SZ vom 15.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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