Landgericht München:Maßkrug-Werfer gesteht vor Gericht

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Cem H. hat vor einem Jahr bei der Sonnwendfeier in Geretsried einen Polizisten verletzt. Nun ist er wegen versuchten Totschlags angeklagt

Von Stephan Handel, München/Geretsried

Der Angeklagte ist nervös, aber wer wäre das nicht, wenn es darum geht, wie viele Jahre im Gefängnis warten? Dass es darum geht - und dass sich diese Zeit eher nach Jahren als nach Monaten bemessen wird -, das sollte Cem H. wohl klar sein nach dem Dienstag, dem ersten Tag seines Prozesses vor dem Landgericht München II.

H., 19 Jahre alt, ist angeklagt des versuchten Totschlags, der gefährlichen Körperverletzung und des tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte. Geschehen ist das alles im Juni des vergangenen Jahres, beim Sonnwendfeuer der Egerländer Gemeinde auf der Böhmwiese in Geretsried. Die Feier war offiziell eigentlich schon beendet, da tauchte eine Gruppe von etwa 20 Personen auf, die der Polizeibericht "nicht unerheblich alkoholisiert" nennt. Weil sie die noch anwesenden Gäste provozierten, kam gegen 1 Uhr nachts die Polizei - die Beamten wurden von der Gruppe aggressiv beschimpft.

Laut Anklage hatte ein Polizeihauptkommissar gerade die Personalien des jetzigen Angeklagten aufgenommen und war zur Seite getreten, da warf ihm Cem H. einen Maßkrug hinterher und traf den Polizisten damit an der Schulter. Dessen Verletzungen waren schmerzhaft, aber nicht dramatisch: eine schwere Schulterprellung, eine Woche lang war der Beamte krankgeschrieben. Für den Staatsanwalt ist dieser glimpfliche Ausgang aber ohne Belang: Ein eineinhalb Kilo schwerer Maßkrug, in Richtung des Kopfes geworfen, kann schwerste Schädelverletzungen nach sich ziehen und im schlimmsten Fall zum Tod führen. Das kann man wissen, auch wenn man erst 19 Jahre und betrunken ist - somit ist der "bedingte Vorsatz" erfüllt, H. hat diese Möglichkeit, so die Anklage, "billigend in Kauf" genommen.

Richterin ermahnt den Angeklagten

Wenn dem Angeklagten der Ernst seiner Lage noch nicht bewusst war - Regina Holstein, die Vorsitzende Richterin, macht ihm schnell klar, dass das hier kein Spaß ist: Er solle aufhören, an seiner Uhr herumzuspielen, und sich besser auf die Fragen konzentrieren. Er solle nicht ständig "Keine Ahnung" murmeln, sondern versuchen, sich zu erinnern, und wenn er das nicht könne, dann eben sagen, dass er es nicht weiß.

In Wolfratshausen ist Cem H. geboren, griechischer Staatsangehöriger, jüngstes von drei Geschwistern. Er schafft die Hauptschule mit einer wiederholten Klasse und findet eine Lehrstelle als Energie- und Gebäudetechniker. Da aber hat er schon angefangen, regelmäßig Haschisch und Marihuana zu rauchen, später kommen Speed, Ecstasy, gelegentlich Kokain hinzu - und der Alkohol: Nur am Wochenende habe er getrunken, beteuert Cem H., dann aber leicht mal eine Flasche Wodka ganz alleine, und am nächsten Tag vielleicht noch mal eine. Die Hälfte seines Lehrlingslohns ging für Drogen drauf.

Am Tattag traf er sich zunächst mit "Kollegen" - so nennt er seine Kumpel - in einer Wohnung auf ein paar Joints. Danach wechselte er die Gruppe, man kaufte zwei Flaschen Jägermeister, eine Flasche Wodka und einen Kasten Bier. Damit begab sich die Gruppe zu den Tennisplätzen am Isarhochufer und leerte die Flaschen - sechs junge Männer, die beiden anwesenden Frauen tranken nichts. Später ging's dann auf die Böhmwiese, wo das Geschehen seinen Lauf nahm.

Ob er denn stolz auf seine Tat gewesen sei, fragt Richterin Holstein den Angeklagten, was der verneint - daraufhin aber liest sie ihm aus seinen Handy-Chats vor und aus den polizeilichen Vernehmungen seiner "Kollegen", und da hört sich das dann ganz anders an. Einen Brief H.s aus der Untersuchungshaft in Stadelheim hat das Gericht beschlagnahmt. Darin beschwert er sich, dass "die da", also das Gericht, sein Leben ruinieren wollen. Der Brief schließt "Mit rechten Grüßen", mit der rechten Hand habe er gemeint, sagt H. dazu.

Für den Prozess sind insgesamt vier Verhandlungstage angesetzt, am Mittwoch soll der verletzte Polizeibeamte als Zeuge aussagen. Das Urteil ist für die kommende Woche geplant.

© SZ vom 08.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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