Jugendarbeit in Geretsried:"Wir sind eigentlich immer hier"

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Geburtstagsfest mit toller Torte: Das Jugendzentrum "EinStein" feiert sein 20-jähriges Bestehen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Kinder, Jugendliche und Erwachsene feiern den 20. Geburtstag des Jugendtreffs "Ein-Stein" - eine der wenigen Anlaufstellen im Süden der Stadt.

Von Sophia Coper, Geretsried

Es ist laut und ein bisschen chaotisch, aber das ist es wohl immer. Im Jugendtreff "Ein-Stein" in Geretsried verfolgen sich aufgekratzte Jungen kreuz und quer durch das Gebäude. Kichernd und tuschelnd sitzt eine Gruppe Mädchen beisammen. An den Tischtennisplatten draußen im Garten stehen Männer und Frauen, deren erste Annäherungsversuche schon länger zurückliegen - mittlerweile sind einige von ihnen verheiratet. Anlass für die Party mit einem altersdurchmischten Publikum bei Bratwürsten auf dem Grill ist das 20-jährige Bestehen des Jugendtreffs im südlichsten Geretsrieder Stadtteil Stein. Unter der Schirmherrschaft des Trägervereins Jugend- und Sozialarbeit Geretsried bietet das Zentrum seit 2003 eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft.

Kerstin Halba und Rudi Mühlhans halten die Geburtstagsrede. (Foto: Hartmut Pöstges)
Irina Pfaffenrod ist von Anfang an dabei - und hat eine imposante Torte gebacken. (Foto: Hartmut Pöstges)

Damals gab es in Stein viele Russlanddeutsche, die als Spätaussiedler in Übergangswohnheimen untergebracht waren. Noch heute ist Stein ein von Einwanderern geprägtes Viertel, im Jugendtreff schwirren russische, arabische und deutsche Satzfetzen durch die Luft. "Es gab und gibt hier nichts Vergleichbares", sagen die Leute an den Tischtennisplatten. Sie alle sind in der Nähe aufgewachsen, kennen den Jugendtreff noch in Containerform und haben bei dem jetzigen Gebäude selbst Hand angelegt. Auf Bildercollagen, die zum Jubiläum an die Wände gepinnt wurden, sieht man sie mit Pinseln und Farbeimern.

"Ohne die Jugendlichen hätten wir es damals nicht geschafft", erinnert sich Rudi Mühlhans, Geschäftsführer des Trägervereins und Mitbegründer des "Ein-Stein". "Am Abend vor der Eröffnung haben wir noch bis 23 Uhr gearbeitet." Vor 22 Jahren habe niemand ernsthaft damit gerechnet, dass es in Stein jemals ein Jugendhaus geben würde, sagt er, "das ist hier nicht vom Himmel gefallen und keine Selbstverständlichkeit".

Vor kurzem erst hat Mühlhans ein paar Kilometer weiter nördlich den Geburtstag des "Saftladens" gefeiert. Der ist so etwas wie der große Bruder des "Ein-Stein" und immerhin schon 40 Jahre alt. Mühlhans selbst engagiert sich seit 24 Jahren in der Geretsrieder Jugendarbeit.

40 Kerzen für den "Saftladen": Rudi Mühlhans (links) bei der Geburtstagsfeier im "Saftladen" vor einer Woche. (Foto: Harry Wolfsbauer)

In Stein ist Irina Pfaffenrod seit 20 Jahren an seiner Seite. 1997 zog sie von Sibirien nach Deutschland und kam über ihre Kinder zum Jugendtreff. Sie blieb, auch als diese schon erwachsen waren. Die 57-Jährige lächelt viel und strahlt, wenn sie über ihre Arbeit redet, von allen Gästen kennt sie die Namen. "Manchmal ist es anstrengend, aber das Gefühl, etwas beizutragen, lässt mich nicht aufhören", sagt sie. Viel verändert habe sich in den vergangenen 20 Jahren nicht. "Kinder sind Kinder geblieben." Auch die Probleme seien ähnliche wie damals: "Im Ein-Stein haben wir nicht viele Gymnasiasten, deswegen dreht sich viel um die berufliche Zukunft", berichtet sie. "Wir begleiten sie auf ihrem Weg. Ich bin kein Jobcenter, aber ich versuche, zuzuhören und Tipps zu geben."

"Wir sind eigentlich immer hier", erzählen fünf Jungen im Alter von elf bis 16 Jahren, "denn hier können wir Fußball und Playstation spielen." Drei zwölfjährige Mädchen schauen ähnlich regelmäßig vorbei, wenn auch mit anderer Schwerpunktsetzung: "Wir können uns unterhalten und Spaß haben. Außerdem backen wir gemeinsam", sagen sie schüchtern.

Egal ob 14 oder 40 — alle Partygäste betonen den sozialen Aspekt des Jugendtreffs, den viele als zweites Zuhause bezeichnen. "Wir haben hier immer unsere Freunde getroffen", heißt es von den Erwachsenen. "Jetzt sind unsere Kinder an der Reihe."

"Sie ist schon immer an Bord und Herz und Seele des Jugendtreffs."

Um 18 Uhr scheucht der Regen das Publikum ins Gebäude. Auf einigen Köpfen hüpfen gelbe Partyhüte. Es riecht nach Popcorn, das in kleinen Tüten ausgeteilt wird und mit dem sich manche fröhlich bewerfen. In seiner Ansprache muss Mühlhans etwas gegen die Geräuschkulisse kämpfen, viele wirken gerührt. "Mein Dank geht raus, an alle, die hier sind", sagt er und zitiert die Vorsitzende Kerstin Halba neben ihm: "Das Gebäude mag vielleicht ein Provisorium sein, aber die Arbeit ist seit jeher professionell. Für euch und mit euch."

Dann sucht er mit Blicken nach Irina Pfaffenrod, die von Sprechchören herbeigerufen ihren Weg zur Bühne findet. Mühlhans bedankt sich bei seiner Mitarbeiterin: "Sie ist schon immer an Bord und Herz und Seele des Jugendtreffs." Pfaffenrod hat auch einen wirklich imposanten Geburtstagskuchen gebacken. Die mit Funken sprühenden Wunderkerzen geschmückte mehrstöckige Torte wird hereingefahren, nur mühsam kann sich das Wägelchen seinen Weg durch die Menschentraube bahnen. Jung und Alt singen "Happy Birthday, Ein-Stein", umhüllt von weißen Schwaden, die einer Nebelmaschine entweichen. Es ist laut und chaotisch - und so soll es bleiben.

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