Gedenken in Wolfratshausen:Hören, wie die Welt aus den Fugen gerät

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Erinnerung an den Todesmarsch der Dachauer KZ-Häftlinge: Lucie Wohlgenannt spielt fürs Badehaus Karl Amadeus Hartmanns Klaviersonate "27. April 1945"

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Die Worte sind womöglich bekannter geworden als die nicht oft zu hörende Musik: "Unendlich war der Strom, unendlich war das Elend, unendlich war das Leid." Dies hat Karl Amadeus Hartmann (1905-1963) über den Todesmarsch der Dachauer KZ-Häftlinge Ende April 1945 geschrieben. Der antifaschistische Komponist hatte den schrecklichen, sinn- und ziellosen Zug der von der SS getriebenen halb toten Menschen in der Nacht des 27. April 1945 am Haus seiner Schwiegereltern in Kempfenhausen vorbeiziehen gesehen. Er schrieb dazu eine Klaviersonate: "27. April 1945". Das offiziell erst am 13. Juni 1982 uraufgeführte Werk sollte bei der Gedenkfeier des Erinnerungsorts Badehaus Waldram-Föhrenwald zum 75. Jahrestag des Todesmarsches öffentlich gespielt werden. Die Feier fällt nun wegen der Corona-Krise aus. Aber Sybille Krafft, Vorsitzende des Badehaus-Vereins und Filmemacherin, sorgt zusammen mit dem Ickinger Kameramann Rüdiger Lorenz dafür, dass Interessierte die Sonate hören können.

Relikte jüdischer Ritualmusik klängen in dieser Sonate an, sagt Lucie Wohlgenannt, aber auch verfremdete Motive der Beethoven-Klaviersonate "Les Adieux", und was beinahe gesanglich beginne, gehe in eine atonale und aggressive Musik über, die "an die Nieren geht". Wohlgenannt interpretiert Hartmanns Werk fürs Badehaus. Die in Waldram lebende Musikpädagogin spielt Teile des ersten Satzes der Sonate ein und spricht dazu erklärende Worte. Als dreiminütiger Clip soll die Aufnahme von 27. April an auf den Internetseiten des Badehausvereins und des Historischen Vereins Wolfratshausen zu sehen sein.

Der Musikpädagogin, die an einem Münchner Gymnasium unterrichtet und Dozentin der Hochschule für Musik und Theater ist, war Karl Amadeus Hartmann natürlich schon ein Begriff, bevor sie nach Waldram zog. Nicht zuletzt, da er die etablierte Konzertreihe für Neue Musik "Musica Viva" begründet hat - auch dies 1945. Im Rahmen eines Projekts über die Gattung Sonate sei sie auf "27. April 1945" gestoßen, erzählt Wohlgenannt. Denn es sei ungewöhnlich, eigentlich altmodisch, dass ein Komponist des 20. Jahrhunderts noch den Begriff "Klaviersonate" verwende.

Hartmann gilt aber auch, darauf weist die Pianistin in ihrer kommentierten Einspielung hin, "als der einsame Nein-Sager unter den deutschen Komponisten". Er hat sich den Nazis verweigert, war zwar nicht aktiv im Widerstand, aber in innerer Emigration. Auf die Machtübernahme der Nazis reagierte er mit der Komposition des "Miserae", einer symphonischen Dichtung mit der Widmung "Meinen Freunden, die hundertfach sterben mussten, die für die Ewigkeit schlafen - wir vergessen euch nicht"; sie wurde 1935 in Prag uraufgeführt.

Hartmann macht in der Klaviersonate zum Todesmarsch nach Lucie Wohlgenannts Worten "hörbar, wie eine Welt aus den Fugen gerät". Dieser entsetzliche Elendszug habe sich in der Erinnerung all jener, die ihn sahen, tief eingegraben, sagt die Historikerin Sybille Krafft: "Es war das erste Mal für 'normale' Menschen, dass sie das grauenhafte Elend der Häftlinge sahen."

Als sichtbares Zeichen des Gedenkens stellt der Waldramer Verein in der Nacht zum 27. April das Originalmodell des Todesmarsch-Mahnmals ins Schaufenster des Badehauses. Geschaffen hat dieses Werk, das den Weg der KZ-Häftlinge von Dachau bis zur endgültigen Befreiung in Waakirchen markiert, der Pullacher Bildhauer Hubertus von Pilgrim. Das Modell steht alltags in der Ausstellung des Badehauses. Zum 75. Jahrestag des Todesmarsches soll es Passanten an die Geschichte erinnern.

Das Originalmodell des Todesmarsch-Mahnmals von Hubertus von Pilgrim steht im Badehaus. (Foto: Hartmut Pöstges)

www.badehauswaldram.de

© SZ vom 16.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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