"Inmitten der Leichen und des Verwesungsgeruchs fanden sie in der hintersten Baracke sieben junge Mütter mit ihren Babies." Es ist ein Satz, der einen nicht loslässt, auch nicht die 180 Schüler der FOS/BOS Bad Tölz, die über eine Stunde lang konzentriert und mucksmäuschenstill zugehört haben. Fast unglaublich ist die Geschichte, die ihnen Eva Gruberová an diesem Montag erzählt und die die Autorin in ihrem vor einigen Jahren erschienenen Buch "Geboren im KZ" auch treffend als "Wunder von Kaufering" beschrieben hat.
Nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau trafen die Amerikaner auf sieben jüdische Frauen und ihre Neugeborenen, die den Holocaust überlebt hatten. Neues Leben inmitten des Elends und des Sterbens. Wo doch Schwangere üblicherweise sofort ermordet wurden.
Die in der Gedenkstätte Dachau arbeitende Eva Gruberová berichtet diese wahre Geschichte, die nicht in Auschwitz, sondern in der Freiheit endet, am Fall der beiden ungarischen Jüdinnen Eva und Miriam. Die Schicksalsgenossinnen kennen sich im Sommer 1944 noch nicht, aber haben einiges gemeinsam: sie sind jung, verliebt, frisch heiratet und gerade schwanger geworden, als sie nach Auschwitz und später nach Plaszow deportiert werden. Beide können ihren Bauch lange vor der SS verbergen, die sie ansonsten sofort ins Gas geschickt hätte. Sie überleben die Selektionen und unmenschlich harte Arbeit. Als ihre Schwangerschaft auffliegt, ist es bereits November 1944 und die SS weiß nicht, wohin mit ihnen - die Rote Armee steht vor der Tür. Also werden sie nach Kaufering verfrachtet, dem wegen seiner hohen Sterberate berüchtigten Außenlager von Dachau. Dort warten noch fünf andere Frauen auf ihre Niederkunft.
Alle sieben bekommen unter primitivsten Umständen zwischen Dezember 1944 und Februar 1945 ihre Kinder. "Das war eine Riesensensation und ein Zeichen der Hoffnung unter den Häftlingen", so Gruberová. Die Mütter und ihre Babies überleben Typhus, Läuseplage, Mangelernährung, beißende Kälte und zum Schluss auch noch die Evakuierung und eine irrtümliche Bombardierung durch die Alliierten.
Nach der Lesung in Bad Tölz kommt die Diskussion erst nur schwer in Fahrt, die Schülerinnen und Schüler kämpfen sichtlich noch mit ihrer Betroffenheit. Dabei kennen sie sich mit der Geschichte des Dritten Reichs gut aus, sehr sicher können sie Auskunft geben, dass es die verlorene Schlacht um Stalingrad war, die die Wende im Zweiten Weltkrieg darstellte. Gut 20 Jugendliche haben auch den alten Spielberg-Film "Schindlers Liste" gesehen, der bekanntlich im Lager Plaszow spielt, wo auch Miriam und Eva inhaftiert waren. Geschichtslehrer Markus Theil ermuntert die Schüler hartnäckig, sich an die Autorin zu wenden.
Die wenigen Fragen, die gestellt werden, sind klug und reflektiert. Wie die Holocaust-Opfer mit ihrem Schicksal umgehen, will ein Jugendlicher wissen, eine Mitschülerin macht sich Sorgen, ob die Erinnerung vielleicht mit den Zeitzeugen ausstirbt. Das sieht Gruberová nicht so pessimistisch, die den Jugendlichen rät, sich über die Literatur und Filme dem Thema zu nähern. Auch Gruberovás eigene Geschichte ist eng mit den Konzentrationslagern verknüpft, wie sich bei der Frage nach dem Motivation ihres geschichtlichen Interesses herausstellt. Ihr eigener Großvater sei in Dachau als politischer Opponent inhaftiert gewesen, berichtet die gebürtige Slowakin. In der Kindheit habe ihr die Mutter ihren schlechten Appetit immer mit den Worten "Du wirst noch aussehen wie dein Großvater, als er aus dem KZ kam" vorgehalten. Nie habe er über das Erlebte sprechen können, dies erst auf dem Sterbebett nachgeholt. Ein Trauma, das er mit vielen Leidensgenossen teilte.