Jachenau:Wer sicher unterwegs sein will, darf sich nicht überfordern

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Wildnisführerin und Unternehmesberaterin Susanne Williams beim Canyoning in Tirol. (Foto: privat)

Susanne Williams überlebt mit wenigen Hilfsmitteln eiskalte Nächte in der Wildnis. Unfälle von Freunden haben die Überlebenskünstlerin aber umsichtig werden lassen.

Von Benjamin Engel, Jachenau

Die Berge sind für Susanne Williams vertrautes Terrain. Schon als Kind wanderten sie und ihr Bruder mit den Eltern in den Alpen. Sie lernte Klettern und wagte sich an Hochtouren. Lenggries und die Region um den Tegernsee kennt die 48-Jährige mit schottisch-deutschen Wurzeln aus dem Urlaub. Die Wildnisführerin und Unternehmensberaterin liebt die Herausforderung in der Natur. Sie beherrscht Sportarten - von Reiten, Segeln und Tauchen bis zu ostasiatischer Kampfkunst. Noch öfter ist sie umgezogen. Weltweit hatte sie 27 Hauptwohnsitze.

Susanne Williams sitzt in der Quenger-Alm auf dem Brauneck und trinkt Buttermilch. Sie trägt ein kariertes Outdoor-Oberteil, eine kurze Wanderhose und Bergschuhe. Beim Blick in das Tal der Jachenau nach Südwesten beginnt sie zu schwärmen. Dort lebt sie mit ihrem Mann seit acht Jahren. Sie erzählt begeistert von den vielen sportlichen Betätigungsmöglichkeiten, die sich ihr bieten - vom Karwendel bis zum Walchensee für den Wassersport: "Ich möchte, wenn es geht, für immer dort bleiben."

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Multisporttalent Susanne Williams ist weltweit abenteuerlich unterwegs:

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Beim Canyoning in Tirol,...

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...im norwegischen Hardangervidda,...

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...beim Tauchen in Siegburg mit Plastik-Hai und...

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...oder auf einem See bei Kühtai in Tirol.

Williams ist zur "Bushcraft"-Szene zu zählen - umgangssprachlich eine "Überlebenskünstlerin". Sie zeigt ihren Kunden, wie sie in der Wildnis mit den Mitteln der Natur zurechtkommen. Seit ihrer Zeit in der Jachenau betreibt sie einen eigenen Youtube-Kanal. Zu ihr kämen Skifahrer, die wissen wollten, wie sie im Notfall eine Nacht überstünden, sagt sie. Einen jungen Mann habe sie bei den Vorbereitungen auf den Fernwanderweg E 5 von Oberstdorf nach Meran unterstützt, vom Trainings- und Essensplan bis zum Navigieren am Berg. Skipper wollten wissen, wie sie bei Segeltörns auf Hoher See mit dem Stress in der Crew umgehen können. Williams erinnert sich noch gut daran, wie sie einmal ein neues Team eines Unternehmens zu einer Gruppenbildungsmaßnahme begleitete. Die Kunden sollten ein Iglu bauen, den Schnee aber nur mit verbundenden Augen anfassen. Zwei Stühle mussten immer besetzt sein: "Die Dynamik, wer spricht, wann wer was macht, ist spannend."

Ohne einen kleinen Rucksack geht Williams bei ihren Unternehmungen nicht aus dem Haus. Um eine Nacht bei minus 15 Grad in freier Natur zu überleben, reichten eine Rettungsdecke, eine Kerze und ein Anzünder, sagt sie. Und ein Plastikbeutel, um Wasser aus Bächen oder Regen zum Trinken aufzufangen. Solche Kleinigkeiten könne jeder leicht anwenden.

Sie wolle ihr Wissen an möglichst viele Leute weitergeben, sagt die Naturfrau. Gerade die gut ausgebaute Infrastruktur in den Alpen spiegle vielen ein falsches Gefühl von Sicherheit vor. Manche ließen sich leicht zu unvorsichtigem Verhalten verleiten. Wer reizüberflutet sei, könne nicht mehr klar denken. Wer sicher unterwegs sein wolle, dürfe sich nicht überfordern. Maximal solle jeder nur 70 Prozent seiner Leistungsfähigkeit abrufen: "Wenn ich 400 Höhenmeter in der Stunde schaffe, mache ich nur 300." Wer im sechsten Schwierigkeitsgrad klettern könne, unternehme dann eben Touren im vierten. Nur so habe jeder die nötige Kapazität, um Situationen umfassend wahrzunehmen.

Solch umsichtiges Verhalten musste Williams selbst erst lernen. Als junge Frau trieb sie sich zu Höchstleistungen. Den Lernprozess haben wohl auch Unglücksfälle in ihrem engsten Bekanntenkreis ausgelöst. In einem Jahr stürzte ein Freund dreimal vor ihren Augen beim Klettern ab. Er überlebte, doch vier andere Bekannte verunglückten in demselben Jahr tödlich. Das veränderte ihre Einstellung nachhaltig. Dann brach sie sich beim Absteigen die Kniescheibe. Mit dem Klettern machte Williams zwar noch weiter. "Ich hatte aber immer das Gefühl, es geht etwas daneben", sagt sie. Auf einer geführten Tour merkte sie, dass sie nicht mehr schwindelfrei war. Für 15 Jahre hielt sie sich vor ihrem Umzug in die Jachenau von Bergen fern. Erst durch den Dokumentarfilm "Steep" über eine Gruppe von Skifahrern und ihre rasanten Abfahrten von Alaska bis Island entdeckte sie ihre Lust auf die Berge wieder.

Leiden und Schmerzen zu ertragen hat Williams in der Natur gelernt. Sie sagt, das Leid anderer treibe sie aber auch an, zu helfen. So hatte sie sich mit vielen Privatleuten an der Suche nach dem im August am Brauneck verschollenen Kanadier Jeff Freiheit beteiligt. Der 32-Jährige wollte auf dem sogenannten Traumpfad von München nach Venedig wandern. Doch er stürzte an den Achselköpfen tödlich ab.

Trotz intensiver Suche von Bergwacht und Polizei blieb der junge Mann mehr als drei Wochen lang verschollen. Erst dann entdeckten die über die Facebook-Gruppe "Volunteers searching for Jeff Freiheit" vernetzten Helfer den Leichnam. Er lag versteckt unter Latschen. Die Mutter und die Ehefrau des Kanadiers waren aus Kanada angereist, um sich an der Suche zu beteiligen. Die Mutter war mit der Gruppe unterwegs, die den Leichnam entdeckte. Inzwischen hat die Familie ihn nach Hause gebracht und beerdigt. Williams sagt, sie habe sich verpflichtet gefühlt, zu helfen. Schließlich kenne sie das Gebiet sehr gut. "Die Mutter sollte mit innerem Seelenfrieden nach Hause gehen."

Williams sieht Parallelen in ihrer Arbeit in der Unternehmensberatung und der Natur: "70 Prozent sind genau das Gleiche. Nur die Umgebung ist anders." Es komme darauf an, Muster zu erkennen. Und letztlich gehe es um Vereinfachung. Das gelte auch, wenn sie Unternehmen helfe, strategische Entscheidungen zu treffen. Denn unter Stress verliere das Gehirn ein Drittel seiner Leistungsfähigkeit.

Die Eltern haben ihre Leidenschaft für die Berge geweckt. Ihre saarländische Mutter hatte ihren Vater mit schottisch-walisischen Wurzeln in Großbritannien kennengelernt. Susanne Williams ist im niederländischen Amsterdam geboren. Als sie ein Kind war, wohnte ihre Familie im US-amerikanischen Bundesstaat New Jersey. Dort sei sie den ganzen Tag draußen gewesen, erzählt sie, habe geangelt, sei mit dem Skateboard oder Rad gefahren und habe oft im Garten übernachtet. Als Jugendliche lebte sie mit der Familie wieder in den Niederlanden und Belgien. In Manchester studierte sie Management Sciences. Insgesamt ist sie 27 Mal umgezogen. "Ich bin extrem neugierig und lerne gern", sagt sie.

Deswegen bricht sie alle paar Jahre zu Expeditionen auf. Vergangenen Winter wollte sie es mit Skiern 137 Kilometer durch das norwegische Plateau Hardangervidda schaffen - und das in nur 18 bis 26 Stunden. Doch im Sturm bei Minus 47 Grad scheiterte der Rekordversuch.

Erstmals übernimmt Williams nun bald eine feste Stelle als Leadership Partner beim IT-Beratungs- und Marktforschungsunternehmen Gartner in München. Darauf ist sie schon sehr gespannt. "Ich kann eigentlich keinen Chef vertragen", sagt sie. Allerdings hat sie sich schon genug freie Zeit für Unternehmungen in der Natur zusichern lassen. "Ich muss Business und Wildness haben, sonst wird mir langweilig."

© SZ vom 15.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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