Wenn Schüler ihr eigenes Bier brauen:Ein Prosit auf die Praxis

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An der Realschule Bad Tölz brauen Jugendliche Bier - aber nicht, um an Alkohol zu kommen, sondern unter Betreuung eines Physiklehrers, um den komplexen Brauvorgang zu ergründen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

An der Realschule Bad Tölz bringt ein naturwissenschaftlicher Lehrer Jugendlichen mit dem Brauen von Bier bei, dass selbst kleine Veränderungen Auswirkungen auf das Ergebnis haben. Der Initiator ist überzeugt, dass das "Tölzer Schuibier" gar einen Preis gewinnen könnte.

Von Lorenz Szimhardt, Bad Tölz

Zwei 30-Liter Plastikeimer mit Zapfhahn, zwei große Töpfe, ein Thermometer, einige Behälter und Siebe und zwei Klarsichtbeutel mit einem Inhalt, der von Weitem aussieht, als würde er unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Und all das in einem Klassenzimmer an der Realschule Bad Tölz. Bei einem genauerem Blick auf das kleine Tütchen und vor allem einem tiefen Riecher am Inhalt des Beutels wird jedoch klar, dass es sich hierbei nicht um Illegales handelt, sondern um 100 Gramm der wichtigsten Zutat des bayerischen Goldes - Hopfen. "Dass wir hier Bier brauen ist eigentlich nur Mittel zum Zweck", sagt Scharaf Girges, Diplom-Ingenieur, Lehrer für Mathematik und Physik und Organisator des Bierbrautags an der Tölzer Realschule.

Einen ganzen Tag lang beschäftigen sich die Schüler des mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweigs mit dem aufwendigen und schwierigen Verfahren des Bierbrauens. (Foto: Manfred Neubauer)
Die Hopfenpellets. (Foto: Manfred Neubauer)
Scharaf Girges, Lehrer für Mathematik und Physik, hat das Projekt "Optimieren durch Experimentieren" organisiert. (Foto: Manfred Neubauer)

Der Brauprozess sei lediglich ein Beispiel, an dem er den Schülerinnen und Schülern den Ansatz "Optimieren durch Experimentieren", gleichzeitig der Name des Projektes, näherbringen wolle. "So lernen sie, dass selbst kleinste Veränderungen im Herstellungsprozess eine Auswirkung auf das Ergebnis haben", erklärt Girges. Ziel sei es unter anderem, dass die Schülerinnen und Schüler neue Variationen ausprobieren, dabei auf Schwachstellen stoßen und die Ideen dann mit kontinuierlicher Iteration verbessern. "In der Schule ist für Trial-and-Error leider kein Platz", so Girges, deshalb habe er das Projekt auch organisiert. Bei diesem würden Fehler im Prozess im Gegensatz zu anderen Unterrichtsformen an der Schule sogar erwartet.

Die Idee entstand im Bräustüberl - bei einer Schulabschlussfeier

Die Idee dazu kam Girges bei der Feier des Schulabschlusses seines Sohnes in einem Bräustüberl. Dort habe er Girges gefragt, wie man es schaffe, dass Biere unterschiedlich schmecken, obwohl sie alle dieselben Inhaltsstoffe hätten. Daraufhin habe er einen Tag bei Hoppe Bräu Waakirchen und dem Heim- und Hobbybrauerverein Penzberg verbracht und gelernt, dass "das Drehen an den kleinsten Stellschrauben alles ändern kann". Sowohl Hoppe Bräu als auch der Hobbybrauerverein unterstützten Girges schließlich am Bierbrautag, diese Erkenntnis an seine Schüler weiterzugeben.

Das Drehen an kleinsten Stellschrauben kann alles ändern beim Bierbrauen. (Foto: Manfred Neubauer)
An der Tölzer Realschule wird die Physik zur Kunst des Bierbrauens - mit den klassischen Zutaten Hopfen und Malz. (Foto: Manfred Neubauer)

"Ohne deren Unterstützung wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen", so Girges. Neben ihrer fachlichen Expertise stellte Hoppe Bräu die Zutaten und der Hobbybrauerverein die Brautechnik zur Verfügung. Diese Zusammenarbeit mit der lokalen Wirtschaft sei auch ein Bewertungskriterium des MINT21-Preises. Diesen Preis für besonders kreative Projekte in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, den das Bayerische Kultusministerium verleiht, versuche er mithilfe des Bierbrautags erneut zu gewinnen.

Girges ist sich "ziemlich sicher, dass wir den MINT21-Preis gewinnen"

Bereits 2018 konnte sich Girges, damals mit Physik-Erklärvideos, die Auszeichnung sichern. Und Girges ist zuversichtlich: Aufgrund der intensiven Zusammenarbeit mit der lokalen Wirtschaft und der Thematisierung der "bayerischen Kultur" in Form des Bieres sei er sich "ziemlich sicher, dass wir den MINT21-Preis gewinnen."

Das läge auch daran, dass sein Projekt im Gegensatz zu den meisten anderen praxisbezogen sei. Zudem würde das Projekt sowohl Teilbereiche der Physik und der Chemie als auch der Mathematik abdecken, so zum Beispiel bei der Berechnung der benötigten Hopfenmenge in Abhängigkeit des Alphasäuregehalts der entsprechenden Hopfenart - diese ist für die Bitterkeit des Bieres verantwortlich.

"Hier und heute kochen wir aber eigentlich nur Suppe"

"Hier und heute kochen wir aber eigentlich nur Suppe", sagt Girges. Der Alkohol entstehe nämlich noch nicht an der Schule. Am Ende des Tages würden die 30-Liter Eimer inklusive der "Suppe" in die Räumlichkeiten des Hobbybrauervereins gebracht, um dort zu gären - erst dabei entsteht der Alkohol - und dann in eine Bügelverschlussflasche abgefüllt zu werden. Anschließend müsse das Bier in der Flasche weitere zwei Wochen nachgären. Final werde das Bier mit einem von einer Schülerin entworfenen Etikett versehen und bei der Abschlussfeier den Schülern, die am Projekt teilgenommen haben, und anwesenden Ehrengästen, wie zum Beispiel Landrat Josef Niedermaier (FW), überreicht.

Derzeit heißt das Gebräu "Tölzer Schuibier". (Foto: Manfred Neubauer)
Teresa Oberbach erklärt den Brauvorgang. (Foto: Manfred Neubauer)

Einen Fachkräftemangel wie in anderen Branchen gebe es in der Brau-Branche nicht, sagt Teresa Oberbach, Auszubildende bei Hoppe Bräu und fachliche Unterstützerin beim Bierbrautag. "Im Gegenteil: Wir sind recht gut versorgt", so die 24-Jährige. Sie bekämen sogar regelmäßig Initiativbewerbungen. Der große Reiz am ihrem Beruf sei, dass man handwerklich und nah am Produkt arbeite. Erst durch die Ausbildung habe sie chemische Formeln und Reaktionsgleichungen, die sie eigentlich schon im Chemieunterricht an der Realschule gelernt hatte, durch den praktischen Bezug richtig verstanden. Die Art und Weise, wie sich Hefe verhält beispielsweise, das sei in der Praxis wesentlich einfacher zu vermitteln als an der Tafel. Zudem sei der Job sehr breit gefächert und mache "einfach sehr viel Spaß", sagt Oberbach. Ferner wüssten nur die wenigsten, "was es mit dem Bier tatsächlich auf sich hat". Auch das mache es umso spannender.

Würze für das Bier. (Foto: Manfred Neubauer)

Spannend findet das Thema auch Jamil Mohammadi, einer der Tölzer Schüler, die am Bierbrau-Projekt teilnehmen. Obwohl er keine Ausbildung als Brauer anstrebe, sei es "interessant, etwas Neues zu lernen" und zu wissen, "was dahintersteckt, wenn man das Bier trinkt", so Mohammadi. "So etwas ist keine alltägliche Möglichkeit." Wie alle anderen Teilnehmer hat auch er seine Abschlussprüfung bereits hinter sich. Statt einer Ausbildung wolle er jedoch auf die Fachoberschule gehen und anschließend Informatik studieren.

Der Brautag soll fortgesetzt werden

Mit der 500 Euro-Prämie, die man als Sieger des MINT21-Preises erhält, wolle er das Projekt weiter finanzieren, so Girges. Er plane nämlich, den Bierbrautag über die nächsten Jahre zu erhalten. Mit den diesjährigen Teilnehmern habe er bereits beschlossen, dass diese zum Brautag im nächsten Jahr wiederkommen - sozusagen als "Qualitätsmanagement". Auch mit dem Gedanken des Anbaus von eigenem Hopfen an der Schule spielt Girges. Bevor es so weit ist, müssen die Teilnehmer jedoch dieses Jahr mit nicht-hauseigenem Hopfen vorliebnehmen. Für die Teilnehmer heißt es aber vor dem tatsächlichen Brauen erst einmal: ran an die Lappen. Als Erstes müssen nämlich die Brau-Eimer geputzt werden.

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