Ausstellung zum Thomas-Mann-Jahr:Der bewegte Mann

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Die Schau gewährt Einblicke ins Leben des Schriftstellers und in das seiner Figuren. Der Nobelpreisträger war in Bad Tölz sogar beim Kegeln.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Das mit Bleistift handsignierte Buch ist eine Kostbarkeit. Bevor Thomas Mann seine berühmte Novelle "Der Tod in Venedig" wie gewöhnlich im Verlag von Samuel Fischer herausbringen ließ, gab er sie in einen exklusiven Hunderter-Druck: Nur 100 Exemplare fertigte der Hyperion-Verlag an, außen mit feinem Ledereinband, innen mit kursiv gesetzter Schrift. "Er war sich wohl ziemlich sicher, dass die Novelle ein Brüller ist", sagt Elisabeth Hinterstocker, Leiterin der Tölzer Stadtmuseums. Ansonsten hätte der Schriftsteller kaum eine solche Ausgabe für Liebhaber in Auftrag gegeben. Der Buchrücken hat eine längliche Delle. Die stamme noch aus dem Zweiten Weltkrieg, erzählt Hinterstocker. Das Haus des Vorbesitzers wurde bombardiert, wobei etliche Mauerstücke auf das Buch fielen. Das seltene Exemplar gehört mittlerweile dem Lyriker und Erzähler Albert von Schirnding. Ebenso wie die anderen 30 bis 40 Erstausgaben, die den Kern der Ausstellung "Von der Königlichen Hoheit bis zum Zauberberg" bilden, die am Freitagabend mit einer Vernissage im Stadtmuseum eröffnet wurde.

Die Schau findet im Zuge des Thomas-Mann-Jahres in Bad Tölz statt, wo sich der Literatur-Nobelpreisträger 1908 eine Villa bauen ließ und dort bis 1917 zusammen seiner Familie die Sommermonate verbrachte. Die Geschichte der Manns in Tölz erzählt Hinterstocker selbst auf hochformatigen Fotoplakaten, mal nüchtern-informativ, mal amüsant. Sie tragen Titel wie "Der Hausbau in Tölz", "Der erste Familien-Aufenthalt in Tölz" oder auch "Eine Reise nach Venedig, die Tölzer Sommerfrische ab 1911 und die Idee zum Tod in Venedig". Der Leser erfährt zum Beispiel, dass Thomas Mann seine Mutter in die Villa an der Heißstraße holte, nachdem seine Schwester Carla im Juli 1910 in Polling Selbstmord gegangen hatte. Oder auch, dass er einem Gast wie Hans von Hülsen einen genauen Stundenplan für den Aufenthalt in der Villa mitteilte - wann der Gast am Bahnhof ankomme, wann spazieren gegangen werde, von wann bis wann der Herr des Hauses sich hinlege, wann es Tee gebe, und wann der Gast abends wieder abzufahren habe.

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Die Ausstellung bietet allerdings mehr als seltene Bücher und Informationen. Die Literatur alleine sei etwas für Eingefleischte, sagt die Museumschefin. Sie finde aber, die Schau sollte auch für normale Besucher ansprechend sein, "die bisher nicht Thomas-Mann-affin waren, sich aber interessieren". Dafür hat sie sich einiges einfallen lassen. In einer Vitrine mit den Bänden zum "Tod in Venedig" liegt zum Beispiel eine Schale mit Erdbeeren - schließlich infiziert sich die Hauptfigur Gustav von Aschenbach in der Novelle durch die überreifen Früchte mit der Cholera und stirbt. In der Themenecke zum Bildungsroman "Der Zauberberg" stehen einige Holzliegen mit Decken, Fieberthermometer und Taschentüchern, als ließen sich darauf gleich lungenkranke Patienten des Sanatoriums Berghof nieder.

Andere Exponate haben nicht direkt etwas mit den Werken zu tun: Eine Teichmuschel, die 1994 aus dem Schlamm des Klammerweihers unterhalb der Mann-Villa gefischt wurde, "soll symbolisieren, dass das damals noch ein Idyll waren, wo die Kinder zum Schwimmen gingen", erklärt Hinterstocker. Eine Litfaß-Säule hat sie mit Zeitungsausschnitten und Werbeplakaten aus der Zeit zu Beginn des Ersten Weltkriegs beklebt: große Aufmacher zur Mobilmachung, erste Todesanzeigen, eine Reklame von Max Schwaighofer, der "Brenn-Aepfel" zum Schnapsbrennen kauft. Daneben der Schaukasten mit Mann-Werken wie "Betrachtungen eines Unpolitischen", in der sich der Dichter - ganz anders als später in der Nazi-Zeit - noch als glühender Nationalist geriert. Hinterstocker hat dazu lieber keinen eigenen Text verfasst: "Das muss jeder selber lesen und dazu seine eigene Position dazu finden." Auf einem halb verrosteten Fahrrad liegt ein Taschenbuch auf dem Lenkrad - womit die Museumschefin auf den jungen Thomas Mann anspielt, der gerne radelte und dabei angeblich auch noch las. Auf zwei Sofas in der Mitte der Schau können sich die Besucher außerdem zum Schmökern der Novellen von Mann, seiner Biografie oder auch des neu aufgelegten Bands "Nicht auf der Rasenkante gehen - Die Familie Mann und ihr Landhaus in Bad Tölz, 1908-1917" von Daniel Lang und Martin Hake niederlassen. Dazu bekommen sie freilich neue Bücher in die Hand.

Trotz der ansprechenden Präsentation sind es am Ende immer wieder die Erstausgaben, die faszinieren. Die Mann-Sammlung von Schirnding sei "eine der größten in Deutschland", sagt die Museumsleiterin. "Das ist sein Lebenswerk." Seine großzügige Leihgabe sei "über einen privaten Kontakt" zustande gekommen. Die ebenfalls limitierte Ausgabe von "Wälsungenblut" mit ihren Lithografien ist fast schon selbst ein Kunstobjekt. Die Erzählung von 1906 durfte damals in der Literaturzeitschrift "Neue Rundschau" nicht erscheinen, der Autor selbst hatte sie wieder zurückgezogen. Der Grund: Im Hause Pringsheim - der Familie seiner Frau Katia - befürchtete man, die persiflierende Novelle könnte als eine Schlüsselerzählung missverstanden werden. Das Buch in der Ausstellung stammt aus den Zwanzigerjahren. "Da war er ja schon berühmt, da hat dann keiner mehr nachgefragt", sagt Hinterstocker.

Die Ausstellung "Von der Königlichen Hoheit bis zum Zauberberg - ein Gang durch das Werk von Thomas Mann in Erstausgaben" im Stadtmuseum Bad Tölz ist bis einschließlich Sonntag, 19. November, zu sehen. Geöffnet ist dienstags bis sonntags, jeweils von 10 bis 17 Uhr.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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