Thomas Mann in Bad Tölz:Beim Kegeln nur halb so genial

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Die Ausstellung in Bad Tölz offenbart ganz neue Seiten von Thomas Mann und seiner Frau Katia.

Kolumne von Klaus Schieder

Da sitzt der große Schriftsteller im kleinen Arbeitszimmer seiner Villa, schaut entrückt aus dem Fenster und schreibt dann weiter an seinem Meisterwerk Der Tod in Venedig. Wenn er damit fertig ist, verfasst er noch einen Brief an Hugo von Hofmannsthal, später geht er mit seinem Hund Bauschan spazieren und denkt über Leiden und Größe von Wagner und Nietzsche, Goethe und Schiller oder anderen Künstlern nach, die beinahe so groß sind wie er selbst. So stellt sich unsereiner die Sommerferien von Thomas Mann in Bad Tölz vor.

Völliger Humbug. Dies zeigt ein Blick in das Kegelbuch der Familie Roeckl, der seit Generationen das Landhaus Oberhof des Münchner Architekten Gabriel von Seidl gehört. Dort war der Schöpfer der Buddenbrooks und des Zauberbergs - seine Fans mögen jetzt bitte nicht vom Glauben abfallen - mit seiner Frau Katia ganz profan beim Kegeln. In der alten Kladde, die in der Thomas-Mann-Ausstellung im Stadtmuseum unter Glas ausliegt, ist für Frau Roeckl, Frau Mann und Herrn Mann mit Bleistift jeweils eine Leiter eingezeichnet, die von einer Harlekinsfigur gehalten wird, darüber stehen die Kegel-Ergebnisse. Herr Mann hat sich demnach zwar nicht gerade wie ein Clown, allerdings nur so lala gehalten.

Das ist gut zu wissen. Wenn wir drei Seiten lange Kaskadensätze aus den Josephs-Romanen wieder 18 Mal lesen müssen, bis wir sie verstanden haben, stellen wir Kleingeister uns künftig vor, wie der geniale Autor in Anzug und Weste mit der Kugel anläuft, halb strauchelt und die Holzbahn beschädigt. Und hören dazu das Gelächter des Dorfpublikums, das mindestens so tief ist wie der Brunnen der Vergangenheit.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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