Arbeitsmarkt im Landkreis:Das Potenzial der Babyboomer

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Das Projekt INA-plus erläuterten (v.li.) Teilnehmerin Simone Gens, Claudia Harrasser von der Frau und Beruf GmbH, sowie Udo Kohnen, Leiter der Agentur für Arbeit in Bad Tölz und Wolfratshausen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Mit dem Projekt INA-plus versuchen die Frau und Beruf GmbH und die Arbeitsagentur, ältere Menschen im Erwerbsleben zu halten.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Am Anfang lief alles glatt. Simone Gens bewarb sich und erhielt eine Einladung zum Vorstellungsgespräch, das angenehm verlief. Bis es um ihr Alter ging. "Sie sahen, dass ich 65 bin, und sagten, das geht ja denn doch nicht", erzählt Gens. "Es hieß, die nächsten zehn Jahren müssen ausgefüllt sein." Die gelernte Zahnmedizinische Fachangestellte, die sich später als Maklerin selbständig machte, hätte gerne auch einen Job in einer Zahnarztpraxis übernommen, fürs Telefon, für Terminabsprachen und Ähnliches. Abgelehnt. Zu alt, hieß es. Eine ähnliche Stelle in einem Maklerbüro blieb ihr ebenfalls versagt. Dort bekam sie zu hören, sie solle sich doch lieber einen "schönen Ruhestand machen".

Trotz des oft beklagten Fachkräftemangels haben es Menschen, die 55 und älter sind, alles andere als leicht, einen Job zu finden. Dabei sei diese Altersgruppe eine "Reserve, die noch viel zu bieten hat", sagt Udo Kohnen, Geschäftsstellenleiter der Arbeitsagentur in Bad Tölz und Wolfratshausen. Um älteren Menschen zu helfen, die weiter arbeiten wollen oder müssen, gibt es jetzt INA-plus. Das Akronym steht für "Integration in Arbeit", ebenso für "Initiativ, nachhaltig, aktiv". Der Name bezeichnet ein Projekt, das die Frau und Beruf GmbH in Bad Tölz zusammen mit der Arbeitsagentur und dem Jobcenter ins Leben gerufen hat. Der Kurs mit zehn Teilnehmenden wird von der EU und dem bayerischen Sozialministerium gefördert.

Der Umgang mit moderner EDV spielt eine wichtige Rolle im Kurs, den die Frau und Beruf GmbH für die ältere Generation anbietet. (Foto: Tim Brakemeier/dpa)

Ziel sei es, ältere Leute "im Arbeitsmarkt zu halten und zum Weitermachen zu motivieren", sagt Claudia Harrasser von der Frau und Beruf GmbH. Immer noch hätten Unternehmen ihre Vorbehalte, Bewerber zu nehmen, die 55 Jahre und älter sind. Deshalb habe INA-plus auch die Stoßrichtung, Firmen zu sensibilisieren, solche Leute einzustellen. "Weil sie viel mitbringen", sagt Harrasser. "Sie haben einen ungeheuren Erfahrungsschatz." Im Kurs geht es unter anderem um Bewerbungstraining, Stellensuche, Kommunikation. Eine große Rolle spielt die EDV. Die Teilnehmenden sollen auf den neuesten Stand kommen, was den Umgang mit Office-Paketen, Zoom, Teams und Clouds angeht. Das Programm umfasst auch Besuche in oder von Firmen, am Ende ist ein zweiwöchiges Praktikum angesetzt.

Das Projekt steht nicht solitär im Landkreis. Seit Ende 2023 gibt es die "Zukunftswerkstatt Arbeitsmarkt". Auf dieser Plattform treffen sich alle drei, vier Monate die Arbeitsagentur, Arbeitgebervertreter, Kommunen und Wirtschaftsförderer, um den Arbeitsmarkt zu beleuchten. Der sieht mit nur zwei Prozent Erwerbslosen im Vorjahr blendend aus, "damit sind wir bundesweit an der Spitze", sagt Kohnen. Von den etwa 1500 Arbeitslosen im Landkreis gehören circa 400 der Generation 55 plus an - also gut 25 Prozent. Ein ungenutztes Potenzial.

Infolge der demografischen Entwicklung wird es bald keine personellen Reserven mehr auf dem Arbeitsmarkt geben, was noch nicht richtig in den Fokus mancher Betriebe gerückt sei, so der Agentur-Leiter. Die Generation der Babyboomer geht allmählich in Rente, die nachrückende ist weit weniger bevölkerungsstark. Schon jetzt sind Kohnen zufolge erste Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt zu spüren, siehe etwa Busfahrer, siehe Gastronomie. Das Argument in manchen Unternehmen, dass Senioren allenfalls ein paar Jahre zur Verfügung stehen, lässt Harrasser nicht gelten: Wer Ende 50 sei, bleibe in der Regel, bei Jüngeren könne man "nicht sicher sein, dass sie zehn Jahre da sind".

Agentur-Leiter: Ein "Doppelwumms" für den Arbeitsmarkt

Diejenigen, die bald oder schon in Rente sind, könnten gar "einen Doppelwumms" bewirken, meint Kohnen. Erstens: Wenn sie länger arbeiten, geben sie ihre Erfahrung an Jüngere weiter. Tendenziell, sagt der Agentur-Leiter, seien "jene, die aus dem Berufsleben rausgehen, besser qualifiziert als die, die reingehen". Zweitens: Sie wollen und können noch weitermachen, weil sie sich fit genug fühlen. Das könnte einen zunehmend schwierigen Arbeitsmarkt etwas entlasten. Simone Gens bringt noch einen anderen Aspekt ins Spiel: die Vereinsamung. Wenn man in der Rente allein lebe, "geht alles viel schneller abwärts", sagt sie. Im kommenden August geht sie in den Ruhestand. Mit diesem Begriff, sagt sie, habe sie nie etwas anfangen können.

Interessierte Betriebe können sich mit Claudia Harrasser, E-Mail: claudia.harrasser@frau-und-beruf.net, Telefon 0157-35597350, in Verbindung setzen.

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