Angst vor Elektrosmog:Der Grüne, der Wlan verbieten will

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Der Grünen-Stadtrat Hans Schmidt mit seinem Messgerät, das ihm die Strahlung anzeigt. (Foto: Hartmut Pöstges)
  • Fast jeder Deutsche besitzt ein Handy, Hans Schmidt hat keins. Der Grünen-Stadtrat aus Oberbayern schirmt selbst sein Haus gegen die Strahlen ab.
  • Der Grünen-Stadtrat sagt, ihm werde übel, sobald er sich nur über ein Handy beuge. Er bezeichnet sich als elektrosensibel - wie etwa zwei Prozent aller Deutschen.

Von Pia Ratzesberger, Wolfratshausen

Erst vor sechs Tagen haben Handwerker die Fensterscheiben ausgetauscht, dreifach verglast, beschichtet mit Silberoxid. Hans Schmidt rüstet auf. Jetzt sind nur noch die Holzrahmen ein Problem, "da gehen die Strahlen durch wie durch Butter", sagt der Grünen-Stadtrat und hält die Antenne seines Messgerätes hin zum Garten. Die Dioden leuchten, erst grün, dann rot. In dieser Richtung steht eine der Funkanlagen, die Schmidt so verachtet, eine von neun in Wolfratshausen. Im Zentrum der Kleinstadt gibt es seit kurzem sogar freies Wlan, für eine Kommune, in der sonst nicht viel vorangeht, kommt das einer Zeitenwende gleich. Der Grünen-Politiker Schmidt aber würde kabelloses Internet am liebsten verbieten. Und Mobiltelefone sowieso.

Gemeinsam mit 36 anderen Bürgern aus der Region hat er einen offenen Brief an den Bürgermeister verfasst: Solange es in der Altstadt Wlan gibt, betreten sie die Geschäfte der Marktstraße nicht mehr. Auch beim Bundestag hat Schmidt eine Petition eingereicht: Er will erreichen, dass die "flächendeckende Bestrahlung der Bevölkerung" endlich ein Ende hat. Der Petitionsausschuss lehnte das Gesuch ab, außer Schmidt habe noch "begründete Einwände vorzuweisen". Und ob Schmidt die hat.

Etwa zwei Prozent aller Deutschen bezeichnen sich als elektrosensibel

Der 63-Jährige bezeichnet sich selbst als elektrosensibel, genau wie etwa zwei Prozent aller Deutschen, so schätzt es das Bundesamt für Strahlenschutz. Wegen der elektromagnetischen Felder verspürt er einen stechenden Schmerz im Gehirn, sobald er ein Handy an das Ohr führt, sagt er. Für Schmidt ist der Elektrosmog ein ähnliches Übel wie die Atomkraft, wie Asbest und Contergan - die Industrie habe stets behauptet, dass all das ungefährlich sei, bis zum Beweis des Gegenteils. Er glaubt: Irgendwann wird die IT-Branche zugeben müssen, dass Mobiltelefone und Wlan die Gesellschaft krank machen. Besucher bittet er schon einmal ihr Telefon auszuschalten, am Schlafzimmerfenster hat er Fliegengitter aus Metall angebracht. Auf seiner Garagentür steht in schwarzer Farbe "sicher und gesund telefonieren mit dem Schnurtelefon". Das daneben gemalte Handy, mit roter Farbe durchgestrichen, hat noch eine Antenne.

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Schmidt hat früh begonnen mit seinem Protest. In den 60er-Jahren hat er gegen nukleare Energie demonstriert, während der 90er dann gegen die ersten Mobilfunkmasten. Heute ist er Mitglied der kleinen Bürgerinitiative "Wolfratshausen zum Schutz vor Elektrosmog e.V", etwa 20 Leute treffen sich dort. Er engagiert sich bundesweit in ähnlichen Vereinen, ist stellvertretender Sprecher der Grünen im Stadtrat. In seiner Partei findet man seinen Einsatz gegen die Strahlung eher sonderbar als lobenswert. "Das ist ein Verlierer-Thema, ist mir aber egal", sagt Schmidt und verschränkt die Arme. Er lächelt. Ein wenig so, als könne ihm das Urteil der anderen nichts anhaben. Selbst bei Nichtregierungsorganisationen wie Attac oder Greenpeace, die er eigentlich als geistige Verbündete sah, stieß er bisher nur auf Ablehnung. "Ich will kein Querulant sein, ich finde das auch nicht toll, aber es muss sein", sagt er. Die Strahlen lassen ihn nicht schlafen, erzählt Schmidt, ihm werde übel und schwindelig, allein wenn er sich nur über ein Mobiltelefon beuge. Das Messgerät in seiner Hand leuchtet rot.

Dabei ist Schmidt schon von Berufs wegen niemand, der Innovationen oder gar Technik ablehnt. Er ist promovierter Verfahrenstechniker, hat bis zum Ruhestand in dem Beruf gearbeitet, hat Erdgasanlagen berechnet, war oft bei Kunden im Ausland. Aber immer ohne Mobiltelefon. "Ging ziemlich gut."

Während auf der einen Seite knapp 94 Prozent aller Haushalte in Deutschland heute mindestens ein Handy besitzen, während in jedem Café und jedem Hotel Wlan mittlerweile zum Standard gehört, gibt es auf der anderen Seite immer mehr Menschen, die all das nicht mehr wollen. Die sich fürchten vor Krebsgeschwüren und Herzinfarkten. Die über Kopfschmerzen und Übelkeit klagen. Sie sagen: wegen der Strahlung. Das Bundesamt für Strahlenschutz sagt: Es gibt keinen erwiesenen Zusammenhang.

Seit Jahrzehnten untersuchen Wissenschaftler, welche Folgen die Strahlung für den Menschen haben kann. Kurzzeitig sorgen Studienergebnisse immer wieder einmal für Aufsehen, zuletzt etwa von der Jacobs University in Bremen. Dort hatten Forscher im März dieses Jahres entdeckt, dass bereits an Krebs erkrankte Mäuse nach monatelanger Bestrahlung mit Mobilfunkwellen doppelt so viele Tumore entwickelten wie die Kontrollgruppe. Eine Studie in Schweden fand im vergangenen Jahr heraus, dass wer intensiv Mobilfunktelefone nutzt, ein dreifach höheres Risiko in Kauf nimmt, an einem Tumor zu leiden.

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Doch zu vielen solcher Studien gibt es immer auch Gegenstudien, die vorige Ergebnisse widerlegen oder ihnen zumindest Mängel nachweisen. Keine Untersuchung konnte dem Bundesamt für Strahlenschutz zufolge bis heute belegen, dass hochfrequente elektromagnetische Strahlung unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte grundsätzlich schädlich ist. "Man hat keinen schlüssigen Mechanismus gefunden", sagt eine Sprecherin. Nur bei zwei Fragen bestehe ihr zufolge nach wie vor Unsicherheit: Welche Folgen wird die Strahlung langfristig auf Erwachsene haben, bei einer Handynutzung von mehr als zehn Jahren? Und wie wirkt sich die Nutzung von Mobiltelefonen auf Kinder aus? Generell empfiehlt das Bundesamt für Strahlenschutz daher, Telefonate mit dem Handy möglichst kurz zu halten und bei Möglichkeit das Festnetztelefon zu wählen.

"Aber da ist zu viel Geld im Spiel, das juckt niemanden"

So wie es Hans Schmidt auf seinem Garagentor schon seit mehr als zehn Jahren fordert. Der 63-Jährige nimmt einen Zettel, legt ihn auf den Wohnzimmertisch und zeichnet: In der Natur sei die Strahlung durchgängig und für den Menschen daher nicht schädlich, kommentiert Schmidt die Wellen auf dem Papier. Beim Mobilfunk aber sei die Strahlung gepulst, es gebe also Pausen von weniger als einer Millisekunde. Diese Unterbrechungen machten das Ganze für den Menschen gefährlich, weil er an diese Pausen nicht gewöhnt sei. "Aber da ist zu viel Geld im Spiel, deshalb juckt das niemanden", sagt Schmidt und schiebt den Zettel beiseite.

Der Grünen-Politiker weiß, was er tun wird, wenn immer noch mehr Handymasten in der Gegend funken werden, wenn die Strahlung in Innenstädten zunehmen wird. Er wird sich zurückziehen. Raus aus Wolfratshausen, irgendwo auf das dünn besiedelte Land, wo die elektromagnetischen Felder zwar immer noch da sein werden - aber nicht mehr ganz so dicht. Das hofft der 63-Jährige zumindest. Schon heute meidet er die Innenstadt, geht lieber direkt an der Loisach entlang. Dort zumindest gibt es kein freies Wlan. Noch.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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