Als im Juni 1961 die "West Side Story" im Deutschen Theater erstmalig einem deutschen Publikum präsentiert wurde, war dieses nicht gerade begeistert von Leonard Bernsteins Romeo-und-Julia-Adaption. Den Musical-Fans war das Stück nicht heiter genug, und die Freunde ernster Musik gingen ohnehin lieber in die Oper statt ins Musical. Erst der Erfolg der mit zehn Oscars prämierten Verfilmung des Musicals weckte auch in Deutschland eine immer noch anhaltende Begeisterung für jenes Meisterwerk, das ob der großartigen Choreografie von Jerome Robbins auch als reines Tanztheater hätte überzeugen können. Stattdessen ließ Bernstein die Tänzer auch noch singen. Die so erzählte Geschichte zweier rivalisierender Straßengangs mit Migrationshintergrund ist über die Jahrzehnte erschreckend aktuell geblieben. Nachdem Steven Spielberg darum jüngst mit einer Neuverfilmung des Musicals punkten konnte, indem er dieses endlich mit Schauspielern besetzte, denen man einen Migrationshintergrund auch ansah, wagt der Broadway-Regisseur Lonny Price nun auch eine Neuinszenierung für das Theater.


Diese Neuinszenierung erfuhr ihre Weltpremiere abermals im Deutschen Theater in München. Diesmal allerdings feierte das Publikum die West Side Story, die Lonny Price überraschend ursprünglich beließ. Kein Graffiti aktualisiert das Bühnenbild, das das New York der Fünfzigerjahre zeigt. Kein Kommentar auf Donald Trumps Mauer an der Grenze zu Mexiko schwingt im Stück mit. Selbst die Kostüme belassen die Geschichte traditionell in den Fünfzigern.

Interview zum Tourneeauftakt:Ein Traum, der bleibt
1961 erlebte Leonard Bernsteins "West Side Story" am Deutschen Theater in München seine Deutschlandpremiere. Jetzt steht dort eine Neuproduktion in den Startlöchern. Ein Gespräch mit Alexander Bernstein über sein Leben mit dem berühmten Vater, Spielbergs Verfilmung und die politische Relevanz des Musicals.
Aber genau das macht die Anklage, die von diesem Werk ausgeht, noch deutlicher: Denn nichts hat sich seit der Uraufführung des Stücks verbessert. Die Einwanderer werden immer noch nicht Teil des amerikanischen Traums sein, der weißen angelsächsischen Protestanten vorbehalten bleibt. Das wird in der Neuinszenierung auch von Werbeplakaten an den Hauswänden unterstrichen, auf denen ausschließlich weiße, gutsituierte Menschen zu sehen sind, die mit der Lebensrealität der eingewanderten Puerto-Ricaner im Stück nichts gemein haben. Aber auch die sozial schwächeren US-Amerikaner im Stück werden den beworbenen amerikanischen Traum nie erreichen.
Und wie schon in den Fünfzigerjahren die Figur Anybodys vergebens um Anerkennung kämpft, weil sie von der Gesellschaft als Frau gelesen wird, derweil sie sich selbst als Mann begreift, kostet es auch ihre Darstellerin Laura Leo Kelly noch immer sehr viel Kraft, in einer heteronormativen Gesellschaft mit einer nichtbinären Geschlechtsidentität zu leben. So gesehen spielt Laura Leo Kelly auch ein bisschen sich selbst. Aber natürlich liegt auch heuer das Augenmerk der Zuschauer auf dem Liebespaar, das keines sein darf: auf Tony, gespielt von Jadon Webster, und auf Maria, großartig verkörpert von Melanie Sierra.

Begeistert umarmt Sierra darum auch Leonard Bernsteins aus New York angereisten Sohn Alexander Bernstein, der als Ehrengast nach der Aufführung ebenfalls auf die Bühne gebeten wird. Ansonsten hatte der 67-Jährige sich bescheiden im Hintergrund gehalten. So hatte er auch das Stück aus einer der hinteren Parkettreihen verfolgt, derweil die vorderen Plätze von allerlei Prominenz wie Rufus Beck, Maria Furtwängler oder Ron Williams besetzt wurden. Denn anders als 1961 hatte man das Gesamtkunstwerk aus Tanz, Musik und Schauspiel bereits erwartet, das dann auch atemberaubend schön geboten wurde.