Rias-Einschätzung zu abgesetztem Theaterstück:"Irritierende Darstellungen" von jüdisch-israelischer Normalität

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Szene mit Symbolkraft? Die arabischstämmige Wahida (Magdalena Laubisch) wird im Stück "Vögel" von einer israelischen Soldatin (dargestellt von Anna Graenzer) bedrängt. (Foto: Jean-Marc Turmes/Metropoltheater)

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus wirft dem Theaterstück "Vögel" Schoah-Relativierung vor. Die Debatte, ob das Werk in München wieder gezeigt werden soll, geht weiter.

Von René Hofmann

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) Bayern hat eine Analyse des am Metropoltheater abgesetzten Stückes "Vögel" vorgelegt. Danach finden sich in dem Werk des libanesisch-kanadischen Autors Majdi Mouawad "antisemitische, meist Schoah-relativierende Motive sowie irritierende Darstellungen von jüdisch-israelischer 'Normalität'".

Die Stelle, die Meldungen über antisemitische Vorfälle in Bayern sammelt und unterstützt, kommt zu dem Fazit: "Handlung und Figuren in 'Vögel' erwecken den Eindruck, israelische Juden hätten aus der Erfahrung der Schoah 'nichts gelernt' und würden als Wiedergänger der Nationalsozialisten die an ihnen vergangenen Verbrechen nun den Palästinensern antun. Die vermeintliche Unfähigkeit, mit dem Trauma der Schoah umzugehen, wird Juden zum Vorwurf gemacht. Das Stück durchziehen antisemitische Tropen, während die einzige arabische Figur idealisiert wird."

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Eine direkte Handlungsanweisung leitet Rias-Bayern-Leiterin Annette Seidel-Arpacı daraus zwar nicht ab. Ob das Stück gespielt oder nicht gespielt werden solle, liege in der Hand der Entscheidungsträger in Politik und Kultur. Ein Anliegen sei ihr aber, dass die Diskussion sich weg bewege vom Thema Zensur und hin zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung.

Für die seine hat Rias sich auf die deutsche Textfassung gestützt, die beim Verlag der Autoren erschienen ist. Auf knapp sechs DinA4-Seiten werden "Handlung", "Figuren", "Die Schoah", "Das Israelbild und der sogenannte Nahostkonflikt", "Religiöse und antijudaistische Motive" behandelt. Auf eineinhalb weiteren der "Gesellschaftliche Kontext" und "Reaktionen auf die Kritik am Antisemitismus". In diesen sieht Rias einen Abwehrreflex, der eine inhaltliche Auseinandersetzung verhindere.

Das Thema Traumata kommt immer wieder

In der eigenen Analyse kommt die Organisation mit Blick auf die Charaktere des Stücks zu dem Schluss: Die jüdischen Figuren seien "fast durchgängig so gezeichnet, dass sie sich nicht als Identifikationsfiguren anbieten", die meisten trügen "explizit negative Charakterzüge", alle würden "schrullig bis neurotisch gezeichnet", während die einzige arabische Protagonistin, Wahida, als "schön, intelligent und moralisch integer" dargestellt werde.

Als bezeichnend wird eine Szene angeführt, in der Wahida von einer israelischen Soldatin einer Leibesvisitation unterzogen und dabei sexuell belästigt wird. Dazu Rias: "Die Darstellung einer auch erniedrigenden Kontrolle einer Araberin durch eine israelische Soldatin ist an sich nicht antisemitisch. Im Zusammenspiel aus Machtdemonstration, -gefälle und sexuellem Begehren knüpft die Szene aber an ein antisemitisches Stereotyp an, wonach Juden ihre vermeintliche Macht ausnutzten, um ihre 'sexuell verkommenen' Gelüste zu befriedigen. Wahida wird, stellvertretend für die 'reine, keusche Araberin' und für 'arabisches Land' fast vergewaltigt."

Des Weiteren werde die Schoah relativiert. Als Schlüsselszene hierfür wird ein Zitat des Protagonisten Eitan genannt, der zu seinem Großvater sagt: "Wenn Traumata Spuren in den Genen hinterließen, die wir unseren Kindern vererben, glaubst du, unser Volk ließe dann heute ein anderes die Unterdrückung erleiden, die es selbst erlitten hat?" Für Rias belegt dies "die politische Stoßrichtung von 'Vögel': Juden leiden am Trauma des Holocausts, sind jedoch nicht in der Lage, damit umzugehen und traumatisieren damit ihre Kinder aufs Neue."

SPD-Stadtrat Roland Hefter warnt vor "Zensur"

Eine ähnliche Einschätzung hatte in einer schriftlichen, nicht-öffentlichen Stellungnahme am 15. November auch schon die Fachstelle für Demokratie der Stadt München abgegeben. Am 18. November hatte das Metropoltheater alle noch geplanten "Vögel"-Aufführungen abgesetzt.

Ob das Stück wieder gezeigt wird, ist noch nicht entschieden. Der Verein "Respect & Remember Europe e. V." hat sich hierzu eindeutig positioniert: "Dieses Stück kann so nicht gespielt werden" heißt es in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) von dieser Woche. Dem wiederum entgegnete SPD-Stadtrat Roland Hefter: "Die Gesellschaft braucht den Diskurs. Daher würde ich mich freuen, wenn das Stück wieder aufgeführt wird, ohne Änderungen und ,Zensur'."

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