Theater:Wenn die Welt kopfsteht

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Hier wird viel hantiert: Anja Neukamm und Markus Beisl in "Briefe an Bäume und Wolken". (Foto: Robert Haas)

Das "Viel Lärm um nichts"-Ensemble erschafft mit der deutschen Erstaufführung von "Briefe an Bäume und Wolken" in der Pasinger Fabrik absurde Visionen unseres Lebens.

Von Allegra Knobloch

Bereits bevor das Deckenlicht ausgeht, ertönt Vogelgezwitscher, das an einen Ort fern des Theaterraums versetzt. Trockenes Laub liegt in der Ecke, Holzstäbe hängen von der Decke herunter. Sie erinnern an Bäume in einem Wald, nur reduziert und falsch herum. So wie die Kulisse der Bühne entfalten sich auch die Geschichten von "Briefe an Bäume und Wolken" - alles ist verdreht, abstrakt, auf den Kopf gestellt. Eine absurde Kurzszene folgt auf die nächste. Markus Beisl, Denis Fink, Doris Länglacher und Anja Neukamm wechseln zwischen den verschiedensten Charakteren, überzeichnet in ihren Eigenarten, gefangen in bizarren Gedankenspielen.

Erste Amtshandlung der vier Figuren auf der Bühne: Arbeitshandschuhe anziehen. Die sind nötig, denn es wird viel mit Holz hantiert. Auf alle erdenklichen Arten erzeugen die Vier mit dem Material Geräusche, die sich mit den live produzierten Klangkünsten von Ardhi Engel verweben, der neben der Gitarre zahlreiche extravagante Instrumente um sich herum versammelt hat. Holzbretter, Scheite und Stämme gehen in Interaktion und werden im Sinn des "Physical Theatre" neu arrangiert, wie auch die Weltordnung und Konstellationen der Figuren.

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Ein Mann wacht eines Tages auf und realisiert, dass er leer ist. Ein herrenloses Klavier sorgt für Aufruhr und Größenwahnsinn in einem Dorf. Eine Krankheit geht um: Worte sind nun tödlich. In der S-Bahn nach Pasing - Standort des Theaters "Viel Lärm um nichts" - fallen Passagiere tot um, weil sie "Stammstreckensperrung" aussprechen. Beim hierzulande viel benutzten "Mahlzeit" ebenso. Eine eindrückliche Parodie auf die deutsche Kultur.

Diese und andere sonderbare Situationen kombiniert das Stück mit Monologen eines Schülers, der auf naiv-kindliche Art über die Welt sinniert. In Briefen an seinen holzigen Freund vor dem Klassenzimmer-Fenster fragt sich der Junge: "Warum musste man Bäume töten, damit ich Briefe an Bäume schreiben kann." Seine Angst, dass auch dieser Baum zu "Papierbrei" wird, soll sich später noch bewahrheiten. Eine neue Angst um die Wolken und damit um die Träume der Menschen entsteht.

Mit seiner Textcollage entführt der rumänische Bühnenautor Matéï Visniec das Publikum in absurde Visionen, die wie aus der Fantasie von Kindern entsprungen wirken und fern gängiger Denkmuster funktionieren. Naiv bewegen sich die Figuren durch die vom Untergang bedrohte Welt und scheinen trotz aller Mühe an ihren Umständen zu scheitern. Zwischen den Szenen ist Raum zum Überdenken von Fragen zu den Themenkomplexen Naturzerstörung, sozialer Isolation und Kapitalismus - und für Hoffnung.

Mit der deutschen Erstaufführung von "Briefe an Bäume und Wolken" erinnert Regisseur Arno Friedrich daran, sich Zeit zum Träumen zu nehmen und weniger verkrampft durch das Leben zu gehen, auch wenn es grausam ist.

"Briefe an Bäume und Wolken", Do., Fr., Sa., 20 Uhr, bis 20. Jan. 2024, Theater Viel Lärm um nichts, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, www.theaterviellaermumnichts.de

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