Stadtgeheimnisse:Münchens versteckte Orte

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An Ostern wird viel und gerne gesucht. Die beste Zeit also, um sich einmal in der Stadt umzusehen, wo sich Spannendes entdecken lässt, wo Geheimnisse verborgen sind - und wo man sich prima verlaufen kann.

Von Thomas Anlauf, Martin Bernstein, Dominik Hutter und Melanie Staudinger (Texte) und Corinna Guthknecht (Fotos)

Sehnsüchtiger König

"Die neueste bauliche Tat auf hiesigem Boden ist eine Untat und heißt Denkmal König Ludwig II.", stand im Juli 1910 in der Zeitschrift Der Profanbau. Zwei Wochen zuvor hatte Prinzregent Luitpold das monumentale Bauwerk auf der Bastion der Corneliusbrücke enthüllt - die 3,20 Meter hohe Bronzeskulptur des Monarchen, die sich in einer elf Meter hohen Steinnische befand. Das gescholtene Denkmal wurde 1942 von den Nationalsozialisten bis auf den Kopf eingeschmolzen, die riesige Steinnische 1969 abgerissen und im städtischen Steinlager deponiert, wo man die Einzelteile 2013 wieder entdeckte. Seither gab es Pläne, die wuchtige Gedenkstätte wieder auf dem Balkon der Brücke aufzubauen. Doch im vergangenen Jahr rechnete das Baureferat vor, dass dies fünf Millionen Euro kosten würde, weshalb nun eine 500 000 Euro teure Sparlösung entstehen soll, eine Art romantische Ruine mit dem Rumpf Ludwigs, der abends blau beleuchtet werden soll. Die monarchischen Anwandlungen großer Teile des Stadtrats haben nicht jedem gepasst. Schließlich war der König kein Freund Münchens. Und so blickt die derzeitige Büste Ludwigs auf der Brücke nach Süden aus der Stadt - eine versteckte Botschaft?

Funkelndes Stanniol

(Foto: Corinna Guthknecht)

"Ich danke dir, Herr, dass du mich hierher geführt hast, um zu SEHEN", steht in einem der Gästebücher der Ost-West-Friedenskirche im Olympiapark, die im kleinen Museum aufbewahrt werden, dem Refugium des 2004 im Alter von angeblich 110 Jahren gestorbenen "Väterchen" Timofej Prochorow. Folgt man der Vita des Einsiedlers, dann musste dieser sich als Zeuge der wechselvollen russischen Geschichte mehr als einmal vor Verfolgern in Sicherheit bringen. Die Kapelle, die er 1952 auf dem Oberwiesenfeld errichtete, liegt selbst versteckt in einem Wäldchen mitten im Olympiapark. Dass es sie überhaupt noch gibt, ist den Münchnern zu verdanken, die 1972 den Abriss verhinderten. Ein versteckter, ein spiritueller, wenn man so will, auch ein magischer Ort. Unter der mit Stanniolpapier zum Funkeln gebrachten Kuppel birgt der "charmanteste Schwarzbau Münchens" (Christian Ude) viele Ikonen, Votivbilder und Statuen. Man darf entdecken. Und staunen.

Beliebte Dichter

(Foto: Corinna Guthknecht)

Manchmal versteckt sich Unbekanntes in prominenter Lage. Der Finanzgarten etwa, direkt zwischen Hofgarten und Englischem Garten gelegen, zählt zu den eher schwach frequentierten Grünanlagen im Stadtzentrum - täglich streifen Tausende Flaneure achtlos an dem Metallzaun vorbei, der den einstigen Garten des Abbé von Salabert umgibt. Wer den Eingang in das unebene Gelände passiert, muss erst einmal einen kurzen Anstieg hinlegen - hinauf auf eine frühere Bastion der Münchner Stadtbefestigung aus dem Dreißigjährigen Krieg. Dort gibt es ein Mini-Hochplateau, an dessen höchstem Punkt sich eine Heinrich Heine gewidmete Dichtergrotte mit einer Bronzeplastik verbirgt. Sie ist Teil des sogenannten Dichtergartens - vor der Grotte steht ein Standbild von Fjodor Iwanowitsch Tjuttschew. Weitere im Finanzgarten Verewigte sind der chinesische Philosoph Konfuzius und Frédéric Chopin, der freilich kein Schriftsteller, sondern ein polnischer Komponist war.

Labyrinthisches Rathaus

Die alte Küferei im Ratskeller München. (Foto: Corinna Guthknecht)

Dass das Rathaus auch architektonisch ein Irrgarten ist, lässt sich schon beim Anblick der überladenen Fassade im neugotischen Stil erahnen. Das Innere hält dieses Versprechen mühelos ein, sogar im Kellergeschoss. Dort befindet sich der labyrinthisch-riesenhafte Ratskeller, in dem man als nicht Ortskundiger besser keine Verabredungen trifft. Denn die lange Suche inmitten eines heillos unübersichtlichen Konglomerats aus Tischen, Säulen, Trennwänden und Nebenzimmern könnte den Essenspartner verärgern - es empfiehlt sich daher stets, die Ortskenntnis der Mitarbeiter in Anspruch zu nehmen. Ansonsten ist es unvermeidbar, bei der Suche nach Prälatenstüberl, Bacchuskeller oder Elysium in einem langen Fußmarsch das gesamte Kellergewölbe abzugehen. Nur Fortgeschrittene trauen sich einen Besuch in der Alten Küferei zu, dem wohl am schwierigsten zu findenden Versteck im Ratskeller - zumindest, wenn man durch den Haupteingang am Marienplatz gekommen ist. Tipp: mit einem Kompass in Richtung Nordwesten aufbrechen. Plätze zum Biwakieren gibt es unterwegs kaum, dafür winkt am Ende der Tour ein wettergeschützter Raum mit Bewirtung.

Rundes Erinnerungsstück

(Foto: Corinna Guthknecht)

Dass München im Mittelalter eine befestigte Stadt war, daran erinnert heute nur noch wenig: das Isartor, das Karlstor und das Sendlinger Tor. Ende des 18. Jahrhunderts wurde München entfestigt: Während die Mauern im Mittelalter als Symbol des Schutzes und der Freiheit gesehen wurden, empfand man sie nun als Einengung. Oberirdisch ist fast alles verschwunden, unter dem Altstadtpflaster aber sind Teile der einstigen Stadtbefestigung nahezu vollständig erhalten. Auch im Stadtbild lassen sich noch Spuren der Vergangenheit finden, nahe dem Isartor zum Beispiel. Dort findet sich am Thomas-Wimmer-Ring 3 eine kleine Ruine, versteckt hinter dem wesentlich bekannteren Lueg ins Land. Es sind die Reste eines Geschützturmes, der, weil er rund war, Scheibling genannt wurde. Der Turm, 1478 erstmals erwähnt, stand an einer besonders gefährdeten Stelle der Stadtmauer. Die Öffnungen für die Geschütze dürfte er erst im 16. Jahrhundert erhalten haben. Ende des 19. Jahrhunderts war sein Schicksal besiegelt: Für einen Neubau wurde er 1892 zum Teil abgebrochen. Acht Jahrzehnte später, Ende der Siebzigerjahre, legten Arbeiter die Turmreste frei, heute sind sie öffentlich zugänglich.

Verborgene Statue

(Foto: Corinna Guthknecht)

Einst hatten die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank und die Bayerische Vereinsbank hier ihren Sitz, von 1998 bis 2003 entstanden an der Theatinerstraße die Fünf Höfe. Hier bummeln Einheimische wie Touristen, genießen ihren Cappuccino oder Spritz und gönnen sich eine Auszeit vom Alltag. Doch wie fast überall in München gilt auch hier: Wo es schön ist, ist es voll. Eine Ausnahme bildet der Amirahof, der nach dem Münchner Professor Karl von Amira (1848-1930) benannt ist und den die Architekten Hilmer & Sattler als grüne Wohninsel gestaltet haben. Platanen bilden ein dichtes Blätterdach, auf Hockern kann man rasten. Im kleinsten Bereich der Fünf Höfe, den man am besten über die Salvatorstraße erreicht, lässt sich eine besondere Statue entdecken: die Taubenmarie, die an ein Münchner Original erinnert: Die Frau fütterte jahrelang täglich Tauben - zum Leidwesen vieler Hausbesitzer und Denkmalpfleger. Heute ist das Taubenfüttern verboten, in den Amirahof gelangen die Vögel aber ohnehin nicht. Ein Netz schirmt das Idyll vor ihnen ab.

Frühe Zweckentfremdung

(Foto: Corinna Guthknecht)

Mitten in der Stadt und doch schwer zu finden? Das trifft auf den Kabinettsgarten definitiv zu. Der Hof in der Residenz fasst knapp 1000 Quadratmeter und füllt eigentlich eine Nische in dem Komplex, der von 1508 bis 1918 Wohn- und Regierungssitz der bayerischen Herzöge, Kurfürsten und Könige war. Wasserspiele mit bunten Mosaiken, Platanen und ein Springbrunnen machen die Hektik der Innenstadt vergessen. Doch so sieht der Garten erst seit seiner Umgestaltung 2003 aus. Der Hof ist nämlich ein frühes Beispiel von Zweckentfremdung. Entstanden in der Mitte des 19. Jahrhunderts sorgten anfangs vier Linden an der Hofmauer sowie ein Laubengang für Schatten, in der Mitte sprudelte ein Brunnen. Doch im 20. Jahrhundert verschwand die Idylle: Der Garten verwilderte, Gemüse wurde angebaut, zeitweise diente die Fläche auch als Hühnerstall. Wer zum Kabinettsgarten will: Es gibt eine Reihe von Zugängen, zum Beispiel vom Marstallplatz aus oder über eine neu geschaffene Außentreppe vom Inneren der Residenz. Bei Veranstaltungen kann er auch aus der Allerheiligen-Hofkirche, dem Foyer des Cuvilliés-Theater und vom Brunnenhof aus erreicht werden.

Gefährliche Gasse

(Foto: Corinna Guthknecht)

Den Odeonsplatz mit der Feldherrnhalle und der Theatinerkirche kennt jeder. Wenn man aber ein paar Schritte weiter Richtung Marienplatz geht, kommt man zur Viscardigasse, die dann doch eine eher unbekannte Sehenswürdigkeit beherbergt, die fast untergeht. Leider, denn sie ist ein wichtiger Teil der Stadtgeschichte. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde dieser Straßenabschnitt "Drückebergergassl" genannt: Münchner, die den Nazis nicht zugeneigt waren, nahmen diesen Schleichweg auf ihrem Weg zum Odeonsplatz gerne. So nämlich könnten sie den SS-Wachen ausweichen, die vor der Feldherrnhalle standen und die man mit "Heil Hitler" grüßen musste, wollte man nicht auffallen. Etwas mehr als 50 Meter misst der Ort des stillen zivilen Ungehorsams. Lange blieb der Aspekt der Geschichte unbeachtet. Erst im Jahr 1995 gestaltete der Bildhauer Bruno Wank eine s-förmig geschwungene, etwa 30 Zentimeter breite Bronzespur, die entlang des damals eingeschlagenen "Umwegs" in den Boden eingelassen ist. Ein Kunstwerk für mutige Drückeberger - so etwas gibt es nur in München.

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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