Ausstellung in Neumarkt:Lust auf Rebellion

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Fast wie eine Filmszene: Heide Stolz inszenierte ihre Fotos, arbeitete gern in Kiesgruben und auf Brachflächen. Hier die Aufnahme "Ohne Titel (Kiesgrube Bruckmühl mit Isolde)" aus dem Jahr 1967. (Foto: Heide Stolz)

Knapp zehn Jahre waren der Maler Uwe Lausen und die Fotokünstlerin Heide Stolz ein Paar. Eine sehenswerte Ausstellung im Museum Lothar Fischer erzählt ihre Geschichte, die so sehr vom Lebensgefühl der Sechzigerjahre geprägt war.

Von Sabine Reithmaier, Neumarkt

Sie rebellierten gegen ihre Eltern und die Nachkriegsgesellschaft, erprobten neue Wohnformen, experimentierten mit Drogen, widersprachen allem und jedem. Uwe Lausen und Heide Stolz haben keine Provokation ausgelassen in den knapp zehn Jahren, in denen sie ein Paar waren. Das Lebensgefühl der Sechzigerjahre prägt ihre Werke, die Aufnahmen und Collagen der Fotokünstlerin genauso wie die Bilder des Malers. Und da ihr Oeuvre auch eindringlich von einer latent gewaltbereiten Gesellschaft erzählt, ist die Kunst der beiden aktuell geblieben. Was übrigens das ungeheure Lebenstempo des Paars betrifft: Sie hatten tatsächlich nicht viel Zeit. Der 29-jährige Lausen wählte schon 1970 den Freitod, Stolz starb 1985 an einem Krebsleiden.

Anlass der Schau: der 50. Todestag von Uwe Lausen

Das Museum Lothar Fischer ist die dritte Station der Ausstellung "Du lebst nur keinmal", in der zum ersten Mal die Werke des unabhängig voneinander arbeitenden, sich aber intensiv austauschenden Künstlerpaars gemeinsam präsentiert werden. Der Staatsgalerie Stuttgart bot im Vorjahr Lausens 50. Todestag den Anlass für die Schau. Doch sowohl dort als auch in den Kunstsammlungen Chemnitz war sie pandemiebedingt jeweils nur kurz zu sehen. Das war ein Grund, warum Museumschefin Pia Dornacher entschied, sie in reduzierter Form nach Neumarkt zu holen. Die Schau passt gut ins Profil des Hauses, das sich mit der Kunst der Sechziger- und Siebzigerjahre im Umfeld des Bildhauers Lothar Fischer auseinandersetzt. Zwar gehörte Lausen, anders als Fischer, nie der avantgardistischen Gruppe "Spur" an, doch letztlich begann er, inspiriert von ihr, zu malen.

Heide Stolz und Uwe Lausen lernen sich 1961 in München kennen. Die gut aussehende, selbstbewusste Frau, 1939 in Kupferzell geboren, studiert dort mit Monika Maier, der späteren Frau des "Spur"-Mitglieds Heimrad Prem, am Institut für Bildjournalismus. Lausen, 1941 in Stuttgart geboren, hat zu diesem Zeitpunkt sein Philosophiestudium in Tübingen schon abgebrochen und sich am Institut für Rechtswissenschaften in München eingeschrieben, Letzteres vermutlich nur, um von den Eltern weiter unterstützt zu werden. Eigentlich will er aber nur schreiben, gibt mit seinem Schulfreund Frank Böckelmann die Zeitschrift Ludus heraus. Die erste Ausgabe erscheint im Januar 1961. Doch das ehrgeizige Projekt gerät ins Stocken, als Lausen, begeistert von der Gruppe "Spur", autodidaktisch zu malen beginnt.

Schneller Erfolg in renommierten Galerien

"Malerei ist ziemlich teuer und (trotz meiner Genialität) werde ich meine erste Ausstellung erst in vielleicht einem halben bis einem Jahr machen können", schreibt er im März 1961 an seine Mutter. Er hat sich nicht sehr verschätzt. Im August 1962 stellt er erstmals seine expressiv figurativen Bilder in der Galerie von Rudolf Springer in Westberlin aus. Die Kunstkritiker reagieren positiv. Rasch folgen weitere Ausstellungen in München und Stuttgart, die Staatsgalerie Stuttgart kauft bereits 1963 erste Werke an.

Entdeckung der Pop-Art: Im "Kopf mit Einschüssen" (1967) experimentiert Uwe Lausen mit blumengemusterten Folien. (Foto: Sammlung Klewan, VG Bild-Kunst, Bonn 2021)

Lausen jagt in schnellen Stilwechseln durch die Sechzigerjahre. Er entdeckt britische Pop-Art für sich, aber auch Francis Bacon. Doch Lausen findet ganz eigene Antworten, wie die Ausstellung zeigt. Im "Kopf mit Einschüssen" experimentiert er mit blumengemusterten Folien. Später deformiert er Körper bis zur Unkenntlichkeit, dann verschwindet der Mensch ganz aus seinem Werk, zurück bleiben Gegenstände. Wie schwierig er als Mensch und Künstler war, wie vielfältig und beziehungsreich sein Werk ist, schildert Kunsthistorikerin Selima Niggl in ihrer eben erschienenen, ausgezeichneten Lausen-Monografie "Übermorgen bin ich tot" (Verlag Walther & Franz König). Lausen hat keine Hemmungen, gegen die "Spur" zu intrigieren oder auf seine Umwelt mit blankem Zynismus zu reagieren. Er rebelliert gegen alles und jeden, arbeitet sich immer wieder an der eigenen Kindheit ab. Im "blonden Teppich" malt er ein Wohnzimmer, das von einem überdimensionierten Dackel und einem riesigen gelben Teppich dominiert wird. Darunter kann man vieles kehren.

Im November 1962 heiraten Stolz und Lausen. Da hat er gerade drei Wochen Jugendarrest verbüßt. Das Gericht hatte ihn wegen eines Textes dazu verurteilt, den er in einer "Spur"-Zeitschrift veröffentlicht hat. Wenig später kommt die erste Tochter Lea zur Welt, 1964 folgt Jana. 1963 zieht die Familie in den Weiler Aschhofen, 50 Kilometer südlich von München. Sie haben einen Bauernhof gekauft, den sie renovieren. Doch der große Hof, von ihnen "Anenlatz" getauft und zum "Zentrum der Reaktion" ausgerufen, kostet viel Kraft.

Trotzdem arbeiten beide künstlerisch weiter. Heide Stolz fotografiert die befreundeten Künstler, auch deren Aktionen und den Dauerrevolutionär Dieter Kunzelmann. Mit sparsamsten Mitteln schafft sie eine dichte Atmosphäre, inszeniert ihre Fotos in Kiesgruben und Brachflächen, verpflichtet dafür nicht nur Mann und Töchter, sondern auch Freunde und Bekannte. Manche Szenen wirken wie Filmsets. Stolz spielt mit Geschlechterrollen und Klischees. Fotografiert ihren Mann mit Schwimmbrille, lässt ihn mit einem Gewehr auf die Töchter zielen, stellt die heile Welt der Kleinfamilie knallhart infrage. Vieles bleibt in den scharf kontrastierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen in der Schwebe. Nie weiß man gewiss, ob Protagonistin Isolde Jovine, eine Freundin, angst- oder lustvoll lacht.

Für manche Aufnahmen nutzt Heide Stolz die Werke ihres Mannes als Hintergrund, hier "Ohne Titel (Selbst vor Uwe Lausens Werk "Wohnzimmer")" . (Foto: Heide Stolz, VG Bild-Kunst, Bonn 2021)

Faszinierend die Aufnahmen, in denen sie Lausens Bilder als Hintergrund für ihre Inszenierungen nutzt. Doch auch ihre Motive tauchen in dessen Bildern auf. Die Bodybuilder, die sie bei einem Wettkampf fotografiert, wandeln sich bei ihm zu Fleischklumpen. Das Spiel mit den verschiedenen Bildebenen ergänzt die Ausstellung in Neumarkt mit einer zusätzlichen Textebene. Keine Bildbeschreibungen, sondern Schauspieler haben Texte des Paars eingesprochen, beide verstehen sich auch als Autoren.

Auch Stolz hat übrigens schnell Erfolg. Erst stellt sie in der Galerie Friedrich & Dahlem ihre großformatigen Fotos aus, 1965 folgen ihre Reklame-Collagen. Nach ihrem Tod wird sie schnell vergessen, das Fotografieren hatte sie schon 1970 aufgegeben. Die Bilder schlummern lang in einer Holzkiste. Heute betreut das Traunreuter Museum Das Maximum, die Stiftung von Heiner Friedrich, den Nachlass, dort wurde Stolz 2012 auch mit der ersten Ausstellung gewürdigt. Derzeit zeigt das Kultur- und Veranstaltungszentrum k1 in Traunreut gerade die Stolz- Schau "Grandiose Aussichten".

1969 trennt sich das Paar. Lausens Leben wird unstet, seine Drogensucht steigert sich. Er hat gravierende finanzielle Probleme, plant, sich am Stachus öffentlich kreuzigen zu lassen, um die Verwertungsrechte an der Aktion zu vermarkten. Versuche, ihm zu helfen, scheitern. Am Ende reist er zu seinen Eltern. Und schneidet sich dort seine Pulsadern auf.

Du lebst nur keinmal - Uwe Lausen und Heide Stolz. Bis 10.10., Museum Lothar Fischer, Weiherstraße 7a, Neumarkt i. d. Oberpfalz

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