Ausstellung:Stück für Stück der Wahrheit näher

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Nora Krug stellt ihre Illustrationen zu Timothy Snyders Buch über Tyrannei im NS-Dokuzentrum aus. Der schaut während der Vernissage bei einer Live-Schalte aus New Haven erst verdutzt in die Kamera - und ist dann voll des Lobes.

Von Veronika Kügle, München

Über dem Eingang des NS-Dokuzentrums blickt ein augenloser Mann auf seine Besucher herab, eine Illustration von Nora Krug, die in vergrößerter Version auf der Glasfassade des Gebäudes angebracht wurde. Die ausgeschnittenen Augen heften auf seinem Brustkorb, ein leerer Blick, der seine Betrachter bis ins Innere verfolgt. Ein unbehaglicher erster Eindruck und sehr passend, denn die Ausstellung soll vor eben jenen Männern warnen, die ihre Untergebenen nicht aus den Augen lassen. "On Tyranny" heißt das von Nora Krug illustrierte Buch, das an das gleichnamige Werk von Timothy Snyder anknüpft. Zwanzig Lektionen "im Sinne einer wehrhaften Demokratie" gibt der Historiker seinen Lesern darin mit, zwanzig Stationen finden sich deshalb auch im zweiten, dritten und vierten Stock des NS-Dokuzentrums - eine in die Dauerausstellung integrierte Intervention, die noch bis 30. Januar zu sehen sein wird.

Im Eingangsbereich erhalten Besucher zunächst einen Einblick in die Arbeitsweise der Künstlerin. Auf einem Flatscreen sieht man im Schnelldurchlauf, wie sie ihre Ideen erst auf Papier skizziert, ausarbeitet und dann in Photoshop weiterbearbeitet. Zwischendurch liegt im Zeitraffer eine Katze auf dem Schreibtisch oder ein Kuchenteller wandert in die Hände der Künstlerin, die sonst akribisch an den Details der Illustrationen arbeiten. "Die Ideen entstehen immer zuallererst am Zeichentisch", erzählt Nora Krug, die für die Eröffnung der Ausstellung extra aus New York angereist ist.

Nora Krug zeichnet, als ob sie an einer Skulptur arbeiten würde

Als "assoziativ und intuitiv" beschreibt Direktorin Mirijam Zadoff die Arbeitsweise der Illustratorin, deren Abbildungen bereits in der New York Times oder im Guardian veröffentlicht wurden. Und tatsächlich lässt sich an den ausgestellten Originalzeichnungen und Collagen gut nachvollziehen, in welche Richtung die Künstlerin ihre Gedanken hat schweifen lassen. Einige Stellen sind radiert, Wörter wieder durchgestrichen. Beim Zeichnen arbeitet Nora Krug mit Dekonstruktion: sie zerstört, verändert, radiert ihre Werke. Die sichtbaren Spuren ihres Schaffensprozesses sollen dabei symbolisch für die Spuren der Geschichte stehen, die "wir nicht vertuschen können". Es sei fast so, als würde sie an einer Skulptur arbeiten: "Es schält sich so heraus und kommt Stück für Stück zum Vorschein".

Krug möchte einen poetischen, persönlichen Bezug zur Vergangenheit herstellen. Persönlich auch, weil sie seit Jahren auf Flohmärkten oder bei Wohnungsauflösungen Überbleibsel aus der NS-Zeit sammelt. Einige von ihnen sind hier in einer Vitrine zu sehen, darunter Briefe oder Fotoalben. Krug möchte auch auf all die Unbekannten ein Augenmerk legen: "Das ist eine Gruppe von Menschen, die mir am Herzen liegt, weil die uns am meisten darüber sagt, wie solche Regime überhaupt zu tragen sind." Meistens würde man nur von Widerstandskämpfern oder schrecklichen Übeltätern hören, "die Masse aber waren Mitläufer".

Illustration sei immer auch ein politisches Medium, sie trage also Verantwortung. Mit ihren Bildern möchte sie beim Betrachter die "Sichtweise ändern und aufrütteln". Die Künstlerin lässt dabei aber auch Spielraum für Absurdes und Humor. Etwa bei Snyders Lektion 11 "Frage nach und überprüfe" schaut auf ihrer Zeichnung ein Mann dem sprichwörtlichen Gaul ins Maul. Zur Lektion 10 "Glaube an die Wahrheit" sind sogenannte Tall-Tale-Postkarten ausgestellt, bei denen mit Trickfotografie gearbeitet wurde. "Die Bereitschaft zum Angeben und Lügen war immer da", so Krug. Im Buch heißt es im Anschluss, Donald Trump habe im Jahr 2020 durchschnittlich 27-mal am Tag gelogen. "Das war für mich eine der wichtigsten Aufgaben: Den Bezug zum Jetzt herzustellen", sagt Krug.

Spätestens nach dem Sturm aufs Kapitol habe sich ihre Arbeit an Buch und Ausstellung wie ein "visuelles Tagebuch" angefühlt, berichtet die deutsch-amerikanische Künstlerin. "Ich hatte das Gefühl, das alles, was Snyder prophezeit hat, sich direkt vor meinen Augen Schritt für Schritt abspielt." Als "visual non-fiction" bezeichnet sie deshalb ihre Arbeit, wie Cheflektor Jonathan Beck bei der Eröffnung erzählt. Die preisgekrönte Illustratorin würde "ohne Zweifel zu den international Besten dieser Disziplin" gehören und der Verleger wäre stolz, auch Timothy Snyder "zu den wichtigsten Autoren des C.H. Beck Verlags zählen zu dürfen".

Als Timothy Snyders Name bei der Begrüßung fällt, taucht im selben Moment sein Gesicht auf dem Bildschirm auf. Live aus New Haven zugeschaltet blickt er verdutzt und neugierig in die Kamera, im Hintergrund ein großes Bücherregal. Im Gespräch zeigt er sich bescheiden, das von Nora Krug illustrierte Buch, das am 5. Oktober erschienen ist, sei "erstaunlich gut". Seine Vorlage "On Tyranny. Twenty Lessons für the Twentieth Century" veröffentlichte er 2017, kurz nach der Wahl Donald Trumps. Sein 120-Seiten Band wurde in über 40 Sprachen übersetzt, allein in den USA über eine halbe Million mal verkauft.

Snyder wollte vor allem auch mit der jüngeren Generation ins Gespräch kommen. Als ihm die Idee kam, sein Buch illustrieren zu lassen, kannte er Nora Krug noch nicht persönlich. Nachdem Snyder aber ihr Buch "Heimat" gelesen hatte, ein Bestseller, dem auch ein kleiner Teil der Ausstellung gewidmet ist, stand für Snyder fest: "Es muss sie sein, niemand anderes." Die deutsch-amerikanische Künstlerin fühlte sich sofort mit dem Buch verbunden: "Ich habe versucht, dem Text so gerecht wie möglich zu werden und trotzdem meine eigene Perspektive einzubringen."

Gerade Besuchern mit migrantischem Hintergrund, Schulgruppen oder denjenigen, die "vielleicht auch mal überfordert sind von den ganzen Fakten" soll die Ausstellung ermöglichen, einen Zugang zum Thema zu finden, erklärt Kuratorin Karolina Kühn. Die Stationen heben sich in jedem Fall deutlich von der sachlichen und dokumentarischen Dauerausstellung ab. Besucher müssen sich darauf einlassen können.

Viele der Personen in dem bebilderten Buch sehen ihren Betrachter direkt an, Nora Krug wollte Snyders Appell auf der Bildebene aufgreifen, so als würde die abgebildete Person fragen: "Was tut ihr heute, um rechtsextreme Tendenzen zu verhindern?"

"On Tyranny. Zwanzig Lektionen für den Widerstand" von Nora Krug und Timothy Snyder, bis 30. Januar, NS-Dokumentationszentrum, Max-Mannheimer-Platz 1

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