Typisch deutsch:Sprich mich bloß nicht an!

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Einfach mal reden? Das ist in Deutschland nicht so einfach. (Foto: dpa)

Einfach mit fremden Menschen sprechen? Das ist weder üblich noch einfach, stellt unsere Autorin aus Uganda fest.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Freunde und Verwandte reichen oft eine helfende Hand, ohne gefragt zu werden. Manchmal aber taucht das Problem auf, wenn man sich unter Fremden befindet. Die Frage ist dann: Holt man sich Hilfe?

In München kommt es mir so vor, als ob sich die Menschen scheuen, in solchen Momenten andere anzusprechen. Da kann die Hilfsbedürftigkeit noch so groß sein. Seit längerem beschäftigt mich die Frage, warum das hier so ist. Und ob es immer so sein muss?

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In der Heimat unserer Autorin wird auch an Trauerfeiertagen gefeiert, dass die Tanzfläche ächzt. Deshalb war sie ziemlich irritiert, als an einem stillen Feiertag in München die Polizei anrückte.

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Klar, nicht jeder kann immer freundlich sein, manchmal steht man unter Stress oder hat einen schlechten Tag erwischt. In München ist mir aber aufgefallen, dass der Anteil an unhöflichen und herablassenden Antworten auffällig hoch ist. Ein klassisches Beispiel: Die Frage nach dem Weg oder einem Ort. Oft winken die Menschen ab oder gehen weiter. Sehr viele schauen drein, als hätte man ihnen gerade ein Ragout aus Hundewelpen vorgesetzt. Deutlich seltener ist die Variante, dass jemand tatsächlich hilft. Mit Orientierungssinn oder mit einem Griff zum Handy mit der Karten-App.

In München Leute anzusprechen, ist eine gewaltige Herausforderung. Schon als Kind lernen viele hier offenbar, nicht mit Fremden zu sprechen. Und als Erwachsene beherrschen sie dies bis zur Perfektion. Wie fängt man an, jemanden etwas zu fragen, wenn der mit seinem Handy beschäftigt ist, Stöpsel im Ohr hat oder gezielt von einem wegschaut. Ganz im Sinne von: Sprich mich bloß nicht an. Ich möchte das nicht verurteilen, gehören doch zu einer Kommunikation immer mindestens zwei Parteien. Sicherlich sind es die Stadtbewohner nicht gewohnt, von Fremden angesprochen zu werden. Andererseits macht das vielleicht auch niemand so gerne, weil man eine ablehnende Antwort befürchtet.

Als ich nach München zog, war das schwer für mich, besonders wegen der Sprachbarriere. Nichts erinnerte an Uganda, wo es dazugehört, dass man auf der Straße über alltägliche Dinge spricht, Sport, Politik, das Wetter. In Uganda sind Gespräche mit Fremden an der Tagesordnung. Man könnte seinen Sitznachbarn im Bus für einen Anruf um sein Handy bitten, er würde es umgehend aushändigen. Nicht selten wird man von wildfremden Frauen und Männern fürs Outfit, für Schuhe oder für die Frisur gelobt. Die Leute reden miteinander. Auf der Straße, in Cafés oder im Bus.

All dies muss man sich hier hart erarbeiten. Wie so oft im Leben zahlt sich Hartnäckigkeit jedoch aus. Das merke ich vor allem, seit ich Mutter bin. Seit der Geburt meiner Taliah bemerke ich, dass viele Münchner gerne über ihre Kinder reden. Kinder können das Tor zu einem Gespräch mit Fremden sein. Sind Kinder im Spiel, wandelt dies die Gesprächssituation von einer Belästigung in eine Bereicherung. Mit Kind und Kinderwagen frage ich mich nun munter und ohne zu fremdeln durch die Stadt.

© SZ vom 31.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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