Typisch deutsch:Schafkopfen vor der Staatskanzlei

Lesezeit: 2 min

Die Staatskanzlei und der Hofgarten in München. (Foto: Robert Haas)

Mohamad Alkhalaf ist begeistert, dass in München Gedanken und Worte frei sind. In Syrien kam er ins Gefängnis, weil er einen Bürgermeister kritisierte.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Nach einem Spaziergang in der Stadt oder an der Isar sitze ich gerne im Münchner Hofgarten und lasse die Szenerie auf mich wirken und die Gedanken ihren Lauf nehmen.

Als ich diesen Ort vor knapp drei Jahren für mich entdeckte, saß ich an sonnigen Herbsttagen hier. Mit einem Freund genoss ich den schönen Garten und blickte auf das prunkvolle Gebäude. Er sah meinen Blick und sagte zu mir: Da drin arbeitet er, der Söder. Als er mich dort fotografierte, bekam ich ein mulmiges Gefühl.

Typisch deutsch
:Münchner, woran glaubt ihr noch?

Das Kredo lautet: Gott wird dir nicht helfen, außer du hilfst dir selbst. Wo bleibt die Spiritualität der Stadtbewohner?

Kolumne von Olaleye Akintola

Das fotografische Erlebnis vor der Bayerischen Staatskanzlei führte mich gedanklich zurück nach Syrien. Damals machte ich einfache Fotos mit meinen Freunden vor einem syrischen Regierungsgebäude. Kaum den Auslöser gedrückt, kamen Männer vom Geheimdienst, nahmen mir die Kamera ab und zertrümmerten sie vor meinen Augen.

Verglichen damit ist es hier wie in einer anderen Welt: Leute, die einfach so vor der Bayerischen Staatskanzlei entlang spazieren, Sport machen, Bier trinken und sogar tanzen. Eine andere Welt, an die es sich zu gewöhnen lohnt.

In Syrien ist um die Staatskanzlei herum eine Fläche von einem Quadratkilometer Sperrzone für normale Bürger. Im Garten zu sitzen, ist ein Privileg der ausgewählten Oberschicht. Wenn man auch nur in die Nähe dieses Ortes kommt, lassen die wachen Wachen-Blicke den Blutdruck steigen.

In Bayern aber ist das Sitzen auf der Treppe der Staatskanzlei erlaubt und möglich. Oder vor dem Landtag, mit erhabenem Blick über die Landeshauptstadt. Nicht nur die Gedanken sind frei, auch das Wort. Während drinnen debattiert und beschlossen wird, kann man draußen Meinungen äußern oder Kritik. Was machen die da drinnen, damit jemand wie ich in München eine Wohnung finden kann? Und noch viel wichtiger: Wird das reiche Bayern helfen, um all die afghanischen Flüchtlinge unterzubringen?

Als ich einmal den Bürgermeister von Rakka kritisierte, weil mir nicht gefällt, dass riesige Summen an Geld in öffentliche Staatsgebäude fließen und Teile der Bevölkerung nicht einmal Zugang zu Sanitäreinrichtungen haben, brachte er mich kurzum ins Gefängnis. In Syrien ist die Beziehung zwischen Journalisten und Politikern von Angst geprägt: Der Politiker fürchtet die Kritik des Journalisten und der Journalist fürchtet die Wut und Brutalität des Politikers. In München habe ich keine Furcht mehr vor Politikern, ich respektiere sie - und diskutiere über sie.

Und so werde ich an warmen Tagen weiter auf meinem Platz im Hofgarten sitzen. Manchmal werden Freunde und Bekannte vorbeikommen und sich eine Abreibung beim Schafkopf von mir abholen. Und ich wäre nicht mehr überrascht, wenn darunter irgendwann mal ein Abgeordneter aus dem Maximilianeum zum Sauspiel gegen mich antritt.

© SZ vom 04.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Kolumnisten
:Wenn die Bleibe zum Zuhause wird

Drei geflüchtete Journalisten schreiben in der neuen SZ-Kolumne "Typisch deutsch", wie München sie verändert hat.

Von Korbinian Eisenberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: