Türkei-Referendum:"Wenn Sie mich fragen: Der Mann ist geisteskrank"

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Eine Frau gibt im Münchner Postpalast ihre Stimme ab - für oder gegen das Referendum in der Türkei. (Foto: REUTERS)
  • In Deutschland und anderen europäischen Ländern lebende Türken können seit diesem Montag über eine starke Ausweitung der Machtbefugnisse des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan abstimmen.
  • Insgesamt 1,6 Millionen Wahlberechtigte gibt es in Deutschland, 110 000 davon leben im Großraum München.

Von Isabel Meixner

Der Zettel soll die unentschlossenen Wähler auf den letzten Metern noch umstimmen. "Nein zum Ein-Mann-Regime" steht in großen Lettern auf dem Flyer, den Gegner des türkischen Verfassungsreferendums am Montagmittag an der Hackerbrücke verteilen. 100 Meter entfernt wird im Postpalast im neben Fürth einzigen Wahllokal in Bayern darüber abgestimmt, was die Aktivisten hier am Infostand unbedingt verhindern wollen: dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine Macht ausbaut und die Befugnisse des Parlaments eingeschränkt werden.

Viele Wähler, die gleich am ersten Tag der Abstimmung den Weg ins Wahllokal finden, leben seit Jahren nicht mehr in der Türkei, fühlen sich in Deutschland heimisch, interessieren sich teils nicht sonderlich für Politik. Aber eine solch wichtige Abstimmung sausen lassen? "Ich habe nicht für mich selbst, sondern für künftige Generationen abgestimmt", erklärt eine Wählerin, die seit 1980 als Krankenschwester in Deutschland arbeitet. Erdoğan mache das Land kaputt, "wir brauchen Frieden mit den Nachbarn und Demokratie".

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"Natürlich mit Nein" abgestimmt hat auch eine Frau Mitte 40, die Momente später das Wahllokal verlässt. "Ich traue mich nicht mehr zu sagen: Ich bin eine Türkin. Ich schäme mich dafür", sagt sie. Was Erdoğan von sich gebe, sei "unfassbar", insbesondere seine Nazi-Vergleiche. "Wenn Sie mich fragen: Der Mann ist geisteskrank."

Auch andere Wähler nehmen dem türkischen Staatspräsidenten die Beschimpfungen im Streit über Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland übel. Dabei hatte er Kanzlerin Angela Merkel Nazi-Methoden vorgeworfen. Er wolle als Türke hierzulande ja auch nicht beleidigt werden, schimpft ein Rentner: "Das ist nicht recht, wie er redet." Sein Nein-Votum richte sich aber nicht nur gegen Erdoğan, sondern gegen die Machtkonzentration beim Staatspräsidenten allgemein: "Das ist ein Staat, keine Firma. Wenn nur einer abstimmen darf und Fehler macht, dann sind gleich 80 Millionen Menschen betroffen."

14 Tage lang können türkische Wahlberechtigte ihre Stimmen abgeben. Ihr Votum gilt als mitentscheidend für das umstrittene Verfassungsreferendum. Insgesamt 1,6 Millionen Wahlberechtigte gibt es in Deutschland, 110 000 davon leben im Großraum München.

Umfragen gehen von einem knappen Ergebnis aus, und unter den Wählern, die den "Halkoylamasi"-Wegweisern (türkisch für Referendum) zum Postpalast folgen, sind viele, die über ihre Wahl nicht reden möchten, und natürlich überzeugte Erdoğan-Anhänger. Der Staatspräsident sei für ihn der Grund gewesen, für die Verfassungsänderung zu stimmen, sagt ein 62-Jähriger und beginnt mit einer Lobeshymne.

Unter Erdoğan habe sich das Land in allen Bereichen weiterentwickelt, "die Türkei erstickt am Geld". Die Gefahr der Machtkonzentration sehe er nicht, das sei ein allgemeines Missverständnis. "Er begrenzt im Gegenteil seine Macht." Und die Verhaftungen von Oppositionellen und Journalisten? Das sei "reine Wahrnehmungsmanipulation. In der Türkei kann man sich frei bewegen."

Frei bewegen? Savaș Polat lächelt bitter bei dieser Äußerung. Er versucht mit Mitstreitern der vor zwei Wochen gegründeten "Nein-Plattform München", türkische Wähler vor den geplanten Verfassungsänderungen zu warnen. Er kann ohne großes Nachdenken einige Beispiele aufzuzählen, in denen Menschen in der Türkei für ihre Meinung verhaftet wurden - der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel ist nur ein prominenter Fall. "Das passiert alles offen vor uns."

Bei einigen Wählern will der Student, dessen Eltern als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, eine Emotionalisierung festgestellt haben, das habe weniger mit einer Wahl zu tun, "das ist, als würden sie eine Fußballmannschaft anfeuern". Erdoğan stoße mit seinen nationalistischen Sprüchen in eine Identitätskrise der Türken: In Deutschland werden sie als Ausländer wahrgenommen und in der Türkei als Deutsche. Er sei zwar hier geboren und habe nie in der Türkei gelebt, so Savaș Polat, aber für ihn sei klar: "Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht."

© SZ vom 28.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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