Drei Jahreszahlen beschäftigten Herz und Hirn geradezu schmerzhaft, während in der Isarphilharmonie die Tschechische Philharmonie unter ihrem Chefdirigenten Semyon Bychkov Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 11 geradezu unter Strom setzt. Am 9. November 1905 ließ der Zar unter Demonstranten, die eine Bittschrift überreichen wollten, in Moskau ein Blutbad mit tausend Toten anrichten - davon handelt die Symphonie! Uraufgeführt vor 65 Jahren, erzählt sie aber auch von der blutigen Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn 1956, also ein Jahr zuvor, durch sowjetische Truppen. Und heute kann man diese teils unglaublich martialisch mit Trommelwirbel als immer wiederkehrendem Cantus Firmus und mit oftmals gewaltigem Aufruhr im Blech Gewalt und Terror schildernde, dann wieder tief trauernde Musik nicht hören, ohne an den Krieg Russlands gegen die Ukraine und Europa zu denken.
Ein paar Hörern wurde das zu viel und sie verließen geradezu panisch den Saal. Denn die Intensität und Detailgenauigkeit, mit der Tschechen unter Bychkov "Das Jahr 1905" spielten, ging mehr als unter die Haut und verstörte nachhaltig. Wie harmlos wirkte da im Nachhinein Robert Schumanns Klavierkonzert mit Víkingur Ólafsson als Solist, zumal der Isländer abwechselnd auf zwei Kontinenten spielte: wunderbar verhangen zärtlich, wenn er leise für sich mit Schumanns Melos verzaubern konnte und wie ins Nichts verhauchend den Übergang zum Finale zelebrierte; eisig glasklar gestanzt dagegen, wenn er mit dem Orchester zusammen virtuos auftrumpfen durfte.
Eine Verbindung zwischen diesen beiden Welten, der ganz intim privaten und einer extrovertiert öffentlichen gab es freilich nicht und so waren die beiden Zugaben das Schönste: Eine sich wie ein Gebirge auffaltende Bearbeitung des Andantes aus Johann Sebastian Bachs vierter Orgelsonate durch August Stradal von der Tschechischen Philharmonie und Subtiles von Béla Bartók.