Klassik:Nächster Halt: Weltniveau

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Aktuell ist Michael Hofstetter auch Chef der Nürnberger Gluck-Festspiele. (Foto: Nikolas Pelke)

Der Tölzer Knabenchor setzt Hoffnung in den neuen Dirigenten Michael Hofstetter.

Von Reinhard J.Brembeck, München

Der Toni ist der Hund von Barbara Schmidt-Gaden, die Geschäftsführerin des von ihrem Vater Gerhard gegründeten Tölzer Knabenchors, und der Michael Hofstetter ist der neue Dirigent des Ensembles, der sich gerade erstmals im Innenhof des Probengelände vorstellt. Der Ort ist das sonnendurchflutete Mittersendling, schließlich residieren die Tölzer ihren Namen zum Trotz schon seit 50 Jahren in München und ziehen nächstes Jahr nach Unterföhring um. Als der Toni einen Artgenossen daherkommen sieht, rennt er los, jault, hüpf vor Freude und saust kreuz und quer durch den Hof. Die Geschäftsführerin und der Dirigent schaffen es schließlich ohne Hundehalterallüren das Tier einzufrieden. Dieses Trio harmoniert.

Die Hundefängerei ist wie ein Schaulaufen: Schließlich soll bei den Tölzern jetzt viel anders werden und zurück auf "Weltniveau". Doch so viele Kinderchöre auf Weltniveau gibt es nun auch nicht. Aber, so bedauert Michael Hofstetter, die Bach-Motetten hätten seuchenbedingt einige Löcher gekriegt. Diese sechs Stücke sind das Aushängeschild des vor 65 Jahren gegründeten Chores, sehr schwer zu singende Vokalmusik, die nicht nur Kinder-, sondern auch Profichöre ins Schwitzen bringt. Und weil bei den Tölzern nur Jungs singen plus dem Erwachsenchor aus Ehemaligen, schließlich braucht ein Chor Tenöre und Bässe, deshalb wird er in Deutschland als Laienchor eingestuft. Was den einzigen Vorteil hat, dass deshalb derzeit in Singrichtung nur zwei Meter Abstand gehalten werden muss, Profichöre sind auf drei Meter verpflichtet. Und so können bei den Tölzern mehr Sänger auf einer Bühne stehen als bei einem Erwachsenchor.

Weil er "etwas Soziales" machen wollte, hat Hofstetter erst einmal Medizin studiert

Lange war die Leitung der Tölzer fest in Musikpädagogenhand. Zuletzt teilten sich die Position Christian Fliegner und Clemens Haudung. Letzterer macht jetzt eine Priesterausbildung in Wien. Plötzlich keimte die Idee auf, etwas ganz Neues zu wagen. So kam Michael Hofstetter ins Spiel. Der stammt aus München, hat Orgel gelernt bei dem legendären Münchner Domorganisten Franz Lehrndorfer, dann aber - "ich wollte etwas Soziales machen" - Medizin studiert. Aber bevor ihn die Sehnsucht nach der Musik ganz ruiniert hat, kehrte er zu selbiger zurück, wurde Dirigent, ein Crack der historischen Aufführungspraxis. Er war Chef in Ludwigsburg, Stuttgart, Gießen, Graz und Professor in Mainz. Derzeit ist er Chef der Nürnberger Gluck-Festspiele. Eine beeindruckende Karriere. Dazu kommt diese agil schlanke Erscheinung, die dunkle warme Stimme, die süddeutsche Färbung und die Lust am Träumen, Herumtollen, Visionieren: ein groß gewordener Bub.

Hofstetter wird jetzt die Konzertschiene betreuen und den ersten der in fünf Chöre aufgeteilten Jungs. Fliegner wird sich um die Pädagogik kümmern, die ihm, diesem musikalischen Rattenfänger, schon immer ganz nah am Herzen lag. Hofstetter schwärmt enthusiastisch von Fliegners Probenstil. So verstrahlt auch dieses Duo Glück. Chordirigieren ist übrigens ein Jugendhobby Hofstetters. Weil die Eltern mit Bub aus dem leuchtenden München in ein 300-Seelen-Dorf am Ammersee zogen, wo er zwischen 14 und 16 nicht nur die Orgel spielte, sondern auch einen Chor gründete. Mit den Tölzern hat er vor knapp 20 Jahren erstmals zusammengearbeitet, ein Sommernachtstraum-Projekt mit Nikolaus Paryla als Puck (keiner ist besser vorstellbar in dieser Rolle des frechen Kobolts).

Um Nachwuchs zu rekrutieren, gingen die Chorlehrerinnen und -lehrer immer in die Schulen, ließen die Kinder vorsingen. Das war im vergangenen Jahr nicht möglich, weshalb statt der sonst 60 Jungsänger nur 18 zusammenkamen. Das ist bitter, aber Hofstetter lässt sich durch Probleme nicht beeindrucken. Stattdessen freut er sich auf sein Soprano-Projekt mit Glucks "Orfeo", in dem drei verschiedene Soprantypen auftreten werden: ein Countertenor, ein Tölzer Junge, eine Sopranistin. Er denkt an Rossinis "Petite Messe solenelle", schwärmt von einem Schütz/Gabrieli-Programm. Ideen hat dieser Mann genug, der durch sein Mischung aus Schwärmerei und Handwerk beeindruckt.

In Altötting war Hofstetter bisher erst einmal. Mit großer Skepsis ist er hingegangen. Aber kaum war er in der Kirche und ganz vorn, da hat ihn die Magie des Ortes umgehauen, das Staunen kriecht ihm noch durch die Erzählung. Das hat was, sagt er und schwärmt dann genauso von seinem neuen Chor wie von Altötting. Da ist einer angekommen.

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