Erbstück:Kronleuchter von Thomas Mann strahlt jetzt in Bad Tölz

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"Das Entscheidende hat gefehlt": Dirk Heißerer vom Münchner Thomas-Mann-Forum. (v.l.), Georg Meiringer und Frido Mann in der Tölzer Stadtbibliothek, wo der Leuchter jetzt hängt. (Foto: Manfred Neubauer)

Einst hing die Lampe im Bogenhauser Arbeitszimmer des Schriftstellers. Nach Bad Tölz, wo der Nobelpreisträger viele Jahre seinen Landsitz hatte, gelangte sie auf abenteuerlichen Wegen.

Von Florian Zick

Diese Perlenschnüre am Baldachin, dieser Zapfen unterhalb der Schale und auch diese geschwungenen Arme, auf denen die Glühbirnen sitzen. So filigran, wie der grün-goldene Leuchter gearbeitet ist, müsste man dafür wohl ein paar große Scheine hinlegen. Doch egal, wie viel das gute Stück heute tatsächlich noch kosten mag, für die Stadt Bad Tölz ist die antike Lampe von einem unschätzbaren Wert.

Der Leuchter stammt höchstwahrscheinlich aus dem Nachlass des Münchner Schriftstellers Thomas Mann. In Tölz hatte der Nobelpreisträger über viele Jahre hinweg einen Landsitz. Seine Villa ist noch heute im Original erhalten, und auch ansonsten wird in dem Kurort das Erbe mit viel Stolz gepflegt. Seit vergangenem Jahr gibt es in der Stadtbibliothek ein eigenes Thomas-Mann-Zimmer, ausgestattet mit Filmrequisiten aus Heinrich Breloers Dreiteiler "Die Manns". Und genau in diesem Zimmer hängt seit dem Wochenende auch der achtarmige Leuchter.

Edles Familienstück: der wieder aufgetauchte Leuchter. (Foto: Manfred Neubauer)

Wie die Lampe ihren Weg dorthin gefunden hat, "ist eigentlich einen eigenen Roman wert", sagt Dirk Heißerer, der Chef des Thomas-Mann-Forums in München. Denn in düsteren Zeiten verschwand der Kronleuchter erst aus der Thomas-Mann-Villa in Bogenhausen, tauchte kurze Zeit später im fränkischen Goßmannsdorf wieder auf, hing zuletzt viele Jahre in einem Wohnzimmer in Ansbach und schaffte es nun über München nach Tölz.

Es war der 4. November 2018, da saß das Ehepaar Meiringer in seinem Wohnzimmer in Ansbach auf der Couch. Im Fernsehen lief "ZDF-History". Es ging um die Novemberpogrome vor 80 Jahren, um Entrechtungen und um Raubkunst. Als in der Sendung diese Stichworte fielen, wanderte der Blick der Meiringers von der Couch hoch zu dem Leuchter über ihnen, ein Familienerbstück. Hatte da der Vater nicht einmal was gesagt von Thomas Mann und einer Villa in Bogenhausen?

Das Ehepaar Meiringer begann mit Recherchen und stieß im Internet recht schnell auf ein Foto. Darauf zu sehen: Thomas Mann in seinem Arbeitszimmer in der sogenannten "Poschi", seiner Villa in der Poschingerstraße in München. In der Mitte der neubarocke Schreibtisch, an dem der Schriftsteller Erfolgsromane wie "Der Zauberberg" geschrieben hat. Und über dem Tisch: ein Leuchter, der dem im Wohnzimmer der Meiringers wirklich zum Verwechseln ähnlich sah. Das Ehepaar forschte also weiter und konnte so die Herkunft der majestätischen Lampe recht bald ganz gut rekonstruieren. Es war wohl Leonhard Hofmann, der Großonkel von Georg Meiringer, der den Leuchter einst nach Franken mitgebracht hatte. Hofmann war Landrat von Naila, stammte ursprünglich aber aus Ochsenfurt und hatte dort im Stadtteil Goßmannsdorf eine repräsentative Villa.

Der Leuchter stammt aus der Bogenhausener Villa

Gut möglich, dass sich Hofmann dachte, über dem Biedermeiertisch in seinem Herrenzimmer würde sich ein solcher Leuchter ganz gut machen. Als die Nazis das Hab und Gut von Thomas Mann 1937 beschlagnahmten und am 4./5. Oktober desselben Jahres zur Versteigerung freigaben, ging jedenfalls der Leuchter offenbar in den Besitz von Leonhard Hofmann über.

Die Versteigerung war über die Münchner Neuesten Nachrichten bekannt gegeben worden. In der Anzeige sind neben "1 Braun-Bär" und "1 Gartenfigur in Bronze" auch "verschiedene Lüster" als Versteigerungsgüter angegeben. Nicht ausgeschlossen, dass Hofmann so darauf aufmerksam wurde. Womöglich hatte ihn aber auch sein Schwager auf die Auktion hingewiesen, seines Zeichens ein "Amtsoberoffiziant" im Münchner Rathaus und in dieser Position natürlich ausgestattet mit bestem Zugang zu allen amtlichen Informationen.

Ob Hofmann den Leuchter selbst ersteigert hat oder ob er über einen Mittelsmann daran gekommen ist, lässt sich heute nicht mehr nachzeichnen. Für das Ehepaar Meiringer war dieser Wissensstand aber ein ausreichender Grund, um Kontakt mit den Nachkommen von Thomas Mann aufzunehmen.

Frido Mann, der Sprecher der Familie Mann, war es letztlich, der dann entschieden hat, dass der Leuchter nach Bad Tölz kommt. Zwar wäre München als Ausstellungsort an sich schlüssiger gewesen, schließlich stammt der Kronleuchter aus der Bogenhauser Villa von Thomas Mann. Allerdings sei München, was die Erinnerungskultur angeht, nicht ganz so engagiert. Dort gibt es kein Zimmer, kein Museum. "Da ist Bad Tölz eine Kopflänge voraus", so Frido Mann.

82 Jahre war die Lampe im Exil

Seit dem Wochenende hängt der Leuchter nun also in der Stadtbibliothek im Thomas-Mann-Zimmer - nach 82-jährigem Exil im Fränkischen. Anschalten kann man ihn noch nicht, die Lampe wird erst demnächst an den Strom angeschlossen. Aber auch in dunklem Zustand: "Da kann man schon sagen, das Entscheidende hier im Zimmer hat gefehlt", sagt Dirk Heißerer vom Münchner Thomas-Mann-Forum.

Für Bad Tölz ist der Zuschlag bei der Standortsuche für den Leuchter ein richtiger Coup. "Für uns ist das super", sagt der Tölzer Thomas-Mann-Forscher Martin Hake. Denn eigentlich steht das alte Arbeitszimmer des Schriftstellers inzwischen in Zürich. Mit der Lampe wäre es komplett gewesen. Stattdessen darf sich nun auch die Tölzer Stadtbücherei mit einem Original aus dem Mann'schen Erbe schmücken.

Beim Ehepaar Meiringer in Ansbach hängt an der Stelle, wo früher der Thomas-Mann-Leuchter von der Decke baumelte, nun übrigens "was ganz Modernes", wie Carolin Meiringer erzählt. Ihre Söhne hätten ihnen als Ersatz eine LED-Lampe geschenkt. Und noch würden sie den alten Lüster auch nicht großartig vermissen. Ihr Mann und sie hätten sich daran ohnehin nur immer wieder den Kopf gestoßen, sagt sie. In der Rückschau sei nun zwar jede Beule natürlich sehr wertvoll, schließlich sei es quasi eine Thomas-Mann-Beule gewesen. Aber ohne Beulen, das sei schon auch okay. Eine klassische Win-Win-Situation also: Die Meiringers stoßen sich nicht mehr - und Bad Tölz kann mit einem Thomas-Mann-Erbstück auftrumpfen.

© SZ vom 15.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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