Tanz:Nahbar serviert

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Mit Männlichkeit setzt sich auch Alexander Vantournhout in dem Pas de Deux "Through the Grapevine" auseinander. (Foto: Bart-Grietens)

Zeitgenössischer Tanz für alle: Beim Programm der diesjährigen Tanzwerkstatt Europa ist Wiederbegegnung Trumpf.

Von Sabine Leucht

Warum tanzen wir? Und was tut uns gut? Das sind die zentralen Fragen bei der anstehenden Tanzwerkstatt Europa (TWE). Und dass es in diesem alljährlichen Event vor allem ums Selbermachen geht, ist klarer denn je. Schon bei der Pressekonferenz hat TWE-Leiter Walter Heun zwei Damen neben sich aufs Podium geholt, die in diesem Jahr "nur" als Workshop-Leiterinnen geladen sind. Ceren Oran, die so frischgebackene wie hochverdiente Tanz-Förderpreisträgerin der Stadt, empfängt unter dem Motto "Just Dance" selbst blutige Laien. Virginie Roy, Tänzerin, Psychologin und Bewegungstherapeutin, unterstützt Profis bei ihrem Stress- und Verletzungsmanagement.

Zeitgenössischer Tanz für alle, das nimmt die TWE seit mehr als 30 Jahren wörtlich, und so kann zwischen dem 2. und 12. August jeder eine für sich passende Veranstaltung finden. Ob er sich nun am Bewegungsrepertoire einer Crystal Pite versuchen, Urban Dance-Techniken kennenlernen oder im Feldenkrais-Kurs seinem im Lockdown gebliebenen Körper wieder begegnen will. Und Wiederbegegnung ist Trumpf - auf dem künstlerisch-theoretischen Erlebnisparcours "and the beat goes on...", der am Sonntag, den 7. August bei freiem Eintritt im Zwischennutzungsprojekt Fluffy Clouds (Belgradstraße 195, ab 14 Uhr) stattfindet, wo man eine Performance unter einem Riesentrampolin liegend erleben (Roza Moshtaghi "Bouncing Narratives"), diverse somatische Praktiken antesten, dem ziemlich show-affinen Tanzpsychologen Peter Lovatt zuhören oder picknicken kann, aber auch in vielen der eingeladenen Stücke.

Und wie das Bedürfnis, wieder zusammenzukommen, sind auch diese deutlich von der Pandemie geprägt: Von der (Rück-)Besinnung auf das Wesentliche, von Flexibilität und Reduktion. So sind etwa Jonathan Burrows und Matteo Fargion in ihr Archiv hinabgestiegen und haben vergessene Gedanken und Materialien ihrer dreißigjährigen künstlerischen Verbindung aufgesucht und wiederbelebt ("Rewriting & Science Fiction", 6. 8., Schwere Reiter). Noé Soulier, der laut Heun erstmals als Philosophiestudent beim TWE-Symposium dabei war, eröffnet das Festival mit einer filmischen Selbstvergewisserung und mit "Passage", einem ortsspezifischen Set tänzerischer Miniaturen. Was am 2. August sechs Tänzer in der Muffathalle machen, war in Anger, wo Soulier das renommierte Centre national de danse contemporaine leitet, im Stadtraum verteilt.

In der Erdung liegt die Kraft: Die belgische Choreografin Louise Vanneste zeigt ihr Vier-Frauen-Stück "Earths am 9. August in der Muffathalle. (Foto: Caroline Lessire)

Als ähnlich anpassungsfähig haben sich in den letzten Jahren auch Soli erwiesen, die diesmal etwa von der jungen ägyptischen Choreografin Salma Salem kommen, die in "Anchoring" die Zerrissenheit des Frauenkörpers beklagt und die Kraft feiert, die er aus seiner Erdung holt (am 10. 8. im Achtsamkeits-Double-Bill mit Marta Wołowiecs "Tens"). Eine Überzeugung, an die Louise Vanneste mit ihrem Vier-Frauen-Stück "Earths" vermutlich nahtlos anschließen kann. Aber auch Isabelle Schad, Trägerin des Deutschen Tanzpreises 2019, ist mit zwei Soli und einem Duett zugegen, in denen Drehbewegungen und das sehr lange Haar von Aya Toraiwa im Zentrum stehen. Und der kanadische "Rockstar des Tanzes" Frédérick Gravel bringt sich und seine künstlerische Haut in "Fear and Greed" nur mit Unterstützung einer Band gegen das Patriarchat und den Kapitalismus in Stellung.

Mit Männlichkeit setzen sich auch Joe Moran in "Arrangement" und Alexander Vantournhout in "Through the Grapevine" auseinander. Während Moran sechs Tänzer Gender-Klischees queeren lässt, geht es in dem Pas de Deux seines Brüsseler Kollegen um nicht-perfekte Körper und in Richtung Nouveau Cirque. Vor beiden Vorstellungen werden erstmals bei der Tanzwerkstatt Physical Introduktion stattfinden, bei Gravel gibt es Audiodeskription. Nahbarer bekommt man zeitgenössischen Tanz selten serviert.

Tanzwerkstatt Europa, Di., 2. bis Fr., 12. August, jointadventures.net/tanzwerkstatt-europa

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