Multinationales Begegnungsprojekt:Bewegende Geschichten

Lesezeit: 4 min

Gemeinsam erarbeiten BR-Sprecher und -Sprecherinnen und Münchner mit Migrationshintergrund eine Performance. (Foto: Robert Fischer)

Ein Projekt der BR-Sprecher und des Bellevue di Monaco bringt Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zusammen. Ein Blick hinter die Kulissen eines kreativen Miteinanders.

Von Henriette Busch

Es ist ein verregneter Freitagabend. Der Geruch von afghanischem Essen liegt in der Luft, in einer Ecke wird Tischkicker gespielt, auf dem Tischkreis im unteren Saal des Bellevue di Monaco stehen mehrere Tulpensträuße. Mehrere Tandems haben sich im Wohn- und Kulturzentrum für Geflüchtete im Glockenbachviertel versammelt.

Die Tandems, das sind Karin und Arif, Friedrich und Sacdiyo, Clemens und Hafiz, Denijen und Abdullah. Antonia bildet ein Team mit der jüngsten Teilnehmerin, einer Elfjährigen aus Afghanistan. Sie alle stehen im Zentrum des Projekts "Tandem BRellevue", welches Sprecher des Bayerischen Rundfunks mit Münchnern mit Migrationshintergrund zusammenbringt. Das Ziel: Im Tandem, bestehend aus einer Person vom BR und einer vom Bellevue, eine 20-minütige Performance zum Thema "Bewegung" gestalten und am 17. Juni vor Publikum aufführen.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Organisatoren der multinationalen Literaturwerkstatt sind die BR-Sprecherinnen Julia Cortis und Antonia Goldhammer, gemeinsam mit Autor und Filmemacher Denijen Pauljević. Cortis ist dem Bellevue seit Jahren verbunden, ihr Patensohn Louis - aus Gambia nach Deutschland geflüchtet - wohnt direkt unter dem Dachsportplatz. Gemeinsam mit ihren Sprecherkollegen gestaltet sie seit Jahren Lesungen, darunter auch politische.

2022 fokussierte die "Sprech(er)stunde" in der Pasinger Fabrik sich auf Rassismus. Durch die Bekanntschaft mit Goldhammer und Pauljević sei dann die Idee entstanden, ein Lesefest mit dem Bellevue zu gestalten. "Und dann kamen wir durch diese fünf Orte, die wir hier im Haus haben, auf die Idee, da machen wir was, was uns alle in irgendeiner Weise beschäftigt, nämlich Bewegung", erklärt Cortis. Die fünf Orte, die als Bühne dienen sollen, das sind der Dachsportplatz, der Fahrradkeller, die zwei Säle und das Café des Bellevue. Die konkrete künstlerische Umsetzung ist den Tandems selbst überlassen, Gedichte, Kurzfilme, Sketche oder Lieder können entstehen.

"Ohne Kommunikation lernt man das nicht"

Zusammengefunden haben die Tandems während des Auftakttreffens am 17. Februar im Speed-Dating-Verfahren. Jeweils drei Minuten konnten sich zwei Personen kennenlernen, dann wurde weitergewechselt. Dort ist auch die Elfjährige nach der kurzfristigen Absage eines Teilnehmers zum Projekt gestoßen. Eigentlich sollte sie nur für ihre Mutter, die die Gruppe auch an diesem Abend bekocht, übersetzen. "Wir waren alle so beeindruckt, wie souverän und wie cool und wie lustig sie in so eine Situation gegangen ist," so Pauljević.

Gemeinsam mit BR-Partnerin Antonia habe sie bisher interessante Fragen ("Warum wissen wir, dass es Dinosaurier gibt?") aufgeschrieben und im Internet nach den Antworten gesucht, erzählt die Elfjährige in der Runde. Fragen - über Familie, Kindheit, Träume - sind es auch, die Julia Cortis denjenigen Tandems mitgebracht hat, denen die Ideenfindung schwerfällt. Die Antworten sollen Nähe zwischen den Partner herstellen und ihnen dabei helfen, die Themen zu finden, die ihnen wirklich wichtig sind, die sie verbinden. Cortis und Pauljević unterstützen die Tandems auch in Einzelgesprächen und können sie bei Bedarf mit Kulturschaffenden der Stadt vernetzen.

Im ersten Monat des Projekts ist die Vorbereitung der Gruppen unterschiedlich gut vorangekommen. Karin Schumacher und Arif Abdullah Haidary haben bisher die konkreteste Vorstellung von ihrem Projekt. Sie haben sich schon zwei Mal getroffen und sprühen auch in der großen Runde vor Ideen. Karin schwimmt, Arif praktiziert Vollkontakt-Karate und leitet im Bellevue die Selbstverteidigungskurse. Beide wollen den Sport des jeweils anderen ausprobieren.

Ihr aktueller Plan: Im Saal im ersten Stock aus unterschiedlichen Ecken aufeinander zugehen, das mit Texten über und Filmaufnahmen von ihren Sportarten verbinden. Arif kommt aus Afghanistan, hat erst in Deutschland schwimmen gelernt und erzählt die Anekdote, dass er sich anfangs in Kurven durch das Schwimmbecken bewegt hat - weil er nicht wusste, dass man in Deutschland entlang der Bahnen schwimmt. "Ohne Kommunikation lernt man das nicht," erklärt er, während Karin direkt die Idee kommt, ihre unterschiedlichen Wege durch das Schwimmbecken zu filmen.

Flucht als interessantes, aber heikles Thema

Zwei Tandems haben es bisher noch nicht geschafft sich zu treffen. Es sei organisatorisch schwierig, erklärt Hafez Al Moussa, der mit dem abwesenden Clemens Nicol ein Team bildet. Aber: "Es wird großartig," er habe Bock, mit Clemens zu arbeiten, dessen Talent ihn beeindruckt habe. "Ich brauche einen Scout oder Trainer und ich glaube, er ist der richtige Mensch." Friedrich Schloffer und seine Partnerin Sacdiyo Abdi haben schon ein Treffen hinter sich, sind aber noch nicht auf einen gemeinsamen Punkt gekommen. Friedrich - der das Projekt noch aus zeitlichen Gründen verlassen wird und damit Platz für Schauspielerin Sisi Forster macht - hofft, dass ein Gespräch mit Cortis und Pauljević das ändern wird. Mit ihm und Sacdiyo träfen unterschiedliche Charaktere aufeinander. "Aber das ist auch Teil der Erfahrung."

An diesem Tandem zeige sich etwas, dass laut Cortis erst mit Einstieg in das Projekt klar wurde: Die BR-Sprecher interessieren sich insbesondere für die Fluchtgeschichte ihrer Partner. Die möchten aber nicht alle thematisieren, so auch Sacdiyo, am Abend krankheitsbedingt abwesend. Auch in Einzelgesprächen mit den Teams haben Cortis und Pauljević "dahin tendiert, dass wir die Menschen als Münchner betrachten und sie nicht mehr über ihre Fluchtthematik assoziiert werden wollen". Pauljević ist selbst vor dem Jugoslawienkrieg geflüchtet, lebt seit rund 30 Jahren in Deutschland. "Ab wann fühlt man sich noch so wie jemand mit Migrationshintergrund?", fragt er sich. "Ich werde sehr oft in meiner Arbeit auf meinen Background reduziert. Ich komme zwar aus Serbien, aber ich schreibe, weil ich ein Autor bin."

Auch das Aufführungsdatum wurde nicht zufällig gewählt. Der 17. Juni ist der 70. Jahrestag des gewaltsam niedergeschlagenen Aufstands in der DDR. Die innerdeutsche Trennung und Fluchtgeschichte, die Mauer: Cortis zieht daraus eine Verbindung zu den Migranten. Die haben auf ihrem Weg nach Deutschland buchstäbliche, symbolische, bürokratische Mauern überwinden müssen. Die Tandems selbst werden an dem Tag ihre jeweilige Bühne im Bellevue nicht verlassen, die Vorführungen zeitgleich mit unterschiedlichem, von Aufführungsort zu Aufführungsort wanderndem Publikum stattfinden. Die erleben so das Thema "Bewegung" hautnah und können sich im Anschluss mit den Teilnehmern austauschen. Die Einnahmen gehen an die Benefizaktion "Sternstunden".

Die Chemie der Gruppe scheint zu stimmen. Der Austausch ist groß, alle beteiligen sich, teilen ihre Ideen und Unsicherheiten offen miteinander. Am Ende des Abends wird gemeinsam Salat geschnitten, gegessen, viel gelacht. "Ich bin sehr froh über die Unsicherheit, die in diesem ersten Streckenabschnitt bei manchen entstanden ist", sagt Cortis abschließend. "Denn aus ihr konnten wir einen Schritt auf die gelebte Wirklichkeit machen, die das Fundament für gemeinsame Geschichten ist."

Tandem BRellevue, Samstag, 17. Juni, 12 bis 17 Uhr, Bellevue di Monaco, Müllerstraße 2-6

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: