Maxvorstadt:Second-Hand-Mode mit Psychotherapie

Lesezeit: 4 min

Elegante Damenroben aus den Fünfzigerjahren. (Foto: Florian Peljak)

Im "Fashion & Fantasy" in der Maxvorstadt gibt es etwas, was bei der Kleidersuche eher selten gewordenen ist: den gepflegten Plausch.

Von Jutta Czeguhn

Eine "psychotherapeutische Praxis mit Kleiderverkauf" habe ihre Tochter Jessica diesen Ort einmal genannt, erzählt Karin Lawrence. In ihren Augen blitzt der Schalk, doch die 86-Jährige kann sich mindestens so gewählt ausdrücken wie die Queen of England. Mit ihrer tiefen, warmen Stimme sagt sie gerne Eröffnungssätze wie "Ich muss Ihnen gestehen..." oder "Sie werden mir verzeihen..." Es hat den Anschein, als würde in der kleinen Remise aus dem Jahre 1847 an der Fürstenstraße in der Maxvorstadt nicht nur Secondhand-Mode angeboten, sondern auch manches schöne, in die Jahre gekommene Wort. Es soll Leute geben, für die ist das Stöbern an den Kleiderständern nur vorgeschobener Anlass für etwas selten gewordenes: den gepflegten Plausch.

Wenn Karin Lawrence, um in Jessicas Bild zu bleiben, auf ihrem Therapeuten-Sessel hinter dem Tisch vis-à-vis der Eingangstür Platz genommen hat, dann wissen die Kundinnen: Ah, es ist Donnerstag! Denn sie kommt nur noch an diesem Tag der Woche, um Annette Schlagheck zu unterstützen, in deren Hände sie "Fashion & Fantasy" vor knapp fünf Jahren übergeben hat. Donnerstag, und Freitag dazu, sind auch die grünen Tage im Kalender; dann werden die frischen Schnittblumen angeliefert, die Schlagheck als gelernte Floristin und Dekorateurin ins Sortiment genommen hat. Der enge Gang hinter zur Remise im Hinterhof, die auch mal als Gartenhaus gedient hat, ist nun voller Tulpen und Hyazinthen-Stöcke. Bewacht werden die Blumen von Betty, einer riesigen, bunten Vogelskulptur, die die 55-Jährige als Fan von Niki de Saint Phalle vor den Laden gestellt hat. Und von Pantaleon, dem kleinen Ritter auf dem blauen Fahrrad.

Innenstadt
:H&M bringt neue Modekette "Arket" nach München

In der Innenstadt hat das Unternehmen bereits 1500 Quadratmeter Ladenfläche angemietet. "Arket" wird dabei nicht allein auf Mode setzen.

Der Dreijährige mit dem mädchenlangen Haar, der auf Kommando furchterregend wie ein Löwe brüllen kann, leistet den Second-Hand-Damen gerne Gesellschaft. "Er ist unser aller Sonnenschein", sagt Karin Lawrence, die selbst drei Kinder hat, Annette Schagheck ist Mutter von vieren. Pantaleon gehört zu der Hut-Designerin Alida Buchböck, die ihre Modisterie im Vorderhaus betreibt und im vormittäglichen Gegenlicht unter dem Torbogen steht - eine elegante Silhouette, wie einem Film aus den Vierzigerjahren entstiegen. Sie hat ihren Jungen erspäht, winkt nun Annette Schagheck zu.

"Wir haben eine wunderbare Nachbarschaft", sagt diese und erzählt von den kräftigen Söhnen der Nachbarn, die ihr immer helfen, die Kleiderständer in den Hof zu schieben, "dann wohnt hier noch eine Australierin, eine Polin, und im Atelier über dem Gartenhaus arbeitet Oxana, eine Mode-Schneiderin". Die Nachbarn hatte Karin Lawrence gleich eingefangen, als sie 1987 im zarten Alter von 57 Jahren den Second-Hand-Verkauf startete. Dabei auch Rachel Salamander, die damals ihre Literaturhandlung dort hatte, wo Alida heute ihre Hut-Kreationen verkauft.

Eine Frau schießt nun durch die offene Ladentür, sie muss eine Stammkundin sein. Als wär's ihr Ankleidezimmer, peilt sie schnurgerade die Abteilung mit grau-silberner Mode an. "Wie geht es Euch, alles gesund und wohlauf? Ist das nicht ein Wetter zum Helden zeugen?", ruft sie im Vorbeigehen. Annette Schagheck ist auf dem Laufenden und erkundigt sich nach dem Wasserschaden der Wohnung und dem Hüftschaden des Ehemannes. "Er hat eine Neue, eine neue Hüfte mein' ich, jammert aber wie früher. Ich sag ihm, mach was, beweg dich, sonst kommst du ins Heim." Das Thema ist schnell durch, denn die Frau hat entdeckt, dass ihr Lieblingslabel üppig vertreten ist: "Hat sich ein leidenschaftlicher Kandis-Kunde aufgehängt?" Sie hat heute wohl ihren schwarzhumorigen Tag.

Es sind nicht immer leichte Themen, um die sich die Gespräche drehen

Das Stichwort für Heidi Baarfuß-Thio, Kundin der ersten Stunde, ist die wandelnde Antithese zu Schwarz. Rotes Barrett, roter Lippenstift, rote Jacke - so steht sie plötzlich als Erscheinung im Laden. "Ich würde sie gar nicht erkennen, wenn sie etwas anderes trägt", neckt sie Karin Lawrence und lobt ein Nina-Ricci-Halstuch, das Baarfuß in Kommission geben möchte. Wieder wird eine Krankengeschichte ausgetauscht. "Es wird ned besser, wenn man schwarz und trist umanand rennt", sagt Baarfuß und beharrt auf ihrer guten Laune. Es sind nicht immer leichte Themen, um die sich die Gespräche drehen. Oft geht ums Altern, Krankheiten, Sorgen eben.

"Will jemand einen Kaffee?", stellt Annette Schagheck nun die Frage in die Runde und löst damit die Schwere. Sie hat diese Tradition von Karin Lawrence übernommen, bei der es allerdings stets Tee - abends auch mal Sherry - und Kekse gab, vielleicht ihrem englischen Ehemann geschuldet. Doch bleibt keine Zeit, die Maschine anzuwerfen. Ein Ehepaar hat den Laden betreten, ein verzwickter Fall, wie sich gleich herausstellen wird, denn: Heinz und Dorothee Ostermann suchen das passende Outfit für eine Fünfzigerjahre-Cocktail-Party. Während nun Mode-Bildbände gewälzt werden, Annette Schagheck ein ums andere Mal im Lager verschwindet und Dorothee Ostermann in ein Kleid nach dem anderen schlüpft, diskutiert man angeregt, warum der Frau von heute die Eleganz abhanden gekommen ist.

Klatsch und Klamotten: (v. li.) Kundin Heidi Baarfuß-Thio, Ex-Chefin Karen Lawrence, ihre Nachfolgerin Annette Schlagheck und Kunde Heinz Ostermann. (Foto: Florian Peljak)

Und schon ist man mitten in der Lebensgeschichte von Karin Lawrence; ein Kriegsflüchtling aus der Mark Brandenburg war sie, ihr erster Mann ist ein schillernder Ufa-Direktor, später Chef des Spielcasinos in Travemünde. Unglaublich schick habe sie, die Landpomeranze, da sein müssen, sagt Karin Lawrence und verdreht die Augen: "Das war das Ende dieser Ehe!"

Die Ostermanns haben an diesem Vormittag kein Glück mit dem Fünfzigerjahre-Dress, aber auch sie bekommen ihren Kaffee. Ebenso wie Heidi Baarfuß-Thio, die, ganz lebendige Kreislaufwirtschaft, etwas bringt und etwas mitnimmt. Karin Lawrence und Annette Schagheck werden nun noch Ware auspreisen und umhängen, und dann, auch das hat Tradition an den Schnittblumen-Donnerstagen, schön zusammen zu Mittag essen. "Wir bleiben ein nahrhafter Laden", sagt Karin Lawrence, lacht und meint damit nicht nur das Essen.

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Handel
:Das älteste Einrichtungshaus von München

Schon seit mehr als einem Jahrhundert verkauft Familie Böhmler Möbel. Den Betrieb haben immer Männer geführt - das ändert sich auch nicht in der nächsten Generation.

Von Pia Ratzesberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: