Aubing:Die letzten Milchkühe von München

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Auf dem Hof von Landwirt Georg Koch entscheiden die Kühe selbst, wann sie fressen und wann sie gemolken werden wollen. (Foto: Florian Peljak)

Für viele Münchner sind die Tiere von Landwirt Georg Koch in Aubing eine echte Attraktion. Doch die Viehhaltung in der Stadt wird immer schwieriger.

Von Simon Schramm

Wenn der Landwirt Georg Koch in seinem Milchkuhstall in Aubing Kindergartengruppen und Schulklassen zu Besuch hat, kommt es immer wieder mal vor, dass die jungen Gäste verwundert sind: Wo denn eigentlich die lila Kuh sei, fragen sie dann. Und bekommen stattdessen folgendes zu sehen: "Ein richtiges Viech, das schwitzt und auch mal Kot an den Füßen hat", sagt Georg Koch.

Lisl zum Beispiel - sie wartet gerade brav darauf, in den mittig in der Stallhalle gelegenen Melk-Raum zu trapsen - ist so ein "Viech": Knapp 600 Kilo bringt die Milchkuh derzeit auf die Waage. Bis auf die weiße, schmale Schnauze und einen Flecken am Rücken strahlt ihr Fell im kräftigsten Hellbraun. Ihr Bauch hängt ordentlich, die Oberschenkel ziehen straff, und dennoch sagt ihr Bauer: Lisl ist noch etwas schmächtig. Mit fünfeinhalb Jahren habe Lisl etwas mehr als ein Drittel ihrer Lebenszeit hinter sich - weil er nicht ausschließlich auf Leistung züchte, würden seine Tiere älter als eine Hochleistungskuh, sagt Koch. "Sie ist im besten Alter. Eine ganz schwere Dame ist sie nicht, die älteren bringen 700 Kilo oder mehr."

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Lisl kann also noch zulegen, in einem ist sie aber jetzt schon spitze. Auf dem Hof der Familie Koch, die seit fünf Generationen in Aubing Landwirtschaft betreibt, ist Lisl von den insgesamt 71 Stück nämlich die Kuh, die am meisten Milch gibt. Im Tagesschnitt werden bei ihr bis zu 45 Liter Milch gemolken: Lisl ist die fleißigste Kuh in Aubing. Selbst in der derzeitigen Sommerhitze, in der selbst Kühe ihre natürliche Behäbigkeit ablegen und etwas nervös werden, zapft der Melk-Roboter bei Lisl immer noch 37 Liter. Der Durchschnitt der Herde von Georg Koch liegt bei 29 Litern.

Wer im Stadtbereich von München eine Kuh wie Lisl beim Wiederkäuen oder Milchgeben beobachten will, wird dazu bald nur noch in Aubing die Möglichkeit haben. "Die Kuh in der Stadt ist eine aussterbende Rasse", sagt Landwirt Koch. Dabei gab es eine Zeit, da war die Kuh in München noch keine Rarität. Der Stemmerhof am Sendlinger Berg etwa hielt zuletzt noch 46 Kühe, bevor er seine Milchwirtschaft 1992 einstellte - aber natürlich waren die meisten Münchner Kühe immer schon am Stadtrand zu finden. Allein in Aubing habe es zu früheren Zeiten noch 20 weitere Milchviehbetriebe gegeben, sagt Landwirt Koch, jetzt sei er der einzige hier mit Kühen. Er kann sich auch noch an Betriebe in Großhadern oder Perlach erinnern. Koch nennt auch Gründe, die zum Aussterben der Milchbetriebe geführt haben, zum Beispiel, dass die Flächen für das Vieh weniger wurden, dass die Kühe 365 Tage im Jahr betreut werden müssen, oder dass die nachfolgende Generation der innerstädtischen Bauern mit der Landwirtschaft nichts mehr am Hut hat.

Bald werden Georg Koch, Lisl und der Rest der ganzen Hof-Familie Einzelkämpfer sein: Der Bauernverband zählt in ganz München noch drei Milchviehbetriebe. Neben Koch sind das ein Landwirt in Feldmoching und einer in Allach. Diese beiden aber werden in naher Zukunft ihren Milchvieh-Betrieb einstellen. Die Aubinger Kühe werden dann die letzten in der Stadt München sein.

Früher, als der Hof der Familie Koch noch mitten im Stadtteil Aubing lag, verlief das Leben der Kühe nicht ohne Reibungen. Weil die Hoffläche zu klein war, hatten es die Tiere ziemlich eng, und die Nachbarn beschwerten sich öfters über den Gestank. Vor drei Jahren investierte die Landwirtsfamilie 1,7 Millionen Euro und zog um an den Rand Aubings, zwischen S-Bahnlinie, Grünfelder und Landstraße. Die schlechten Luftwerte im verkehrsgeplagten München können den Tieren hier draußen nichts anhaben. "Wir haben ja Gott sei Dank einen Autobahntunnel gekriegt", sagt Landwirt Koch.

Landwirt Koch lässt seinen Kühen Spielraum. (Foto: Florian Peljak)

Die Stallzeit in der neuen Halle dauert klassisch von 6 Uhr früh bis 18 Uhr - für den Bauern, nicht für die Kühe. Für Landwirte wie Georg Koch sind Lisl und ihre Kolleginnen nicht nur Nutz-, sondern auch Haustiere. Auf dem Aubinger Hof zum Beispiel entscheiden sie selbst, wann sie Milch geben wollen, und müssen nicht liefern, wenn der Bauer es will. Der Stallbetrieb ist automatisiert, das Melken übernimmt der selbstzapfende Roboter, und auch das Futter liefert eine Maschine, den ganzen Tag lang. So kommt es, dass "die ranghöheren Viecher" meist tagsüber Milch geben (Lisl im Durchschnitt 3,3 Mal am Tag), und die übrigen in der Nacht, wie Georg Koch erläutert.

Der 40-jährige Landwirt versteht und führt seinen Münchner Bauernhof als "gläserne" Institution, die dem Verbraucher jederzeit Einsicht in den Betrieb gewähre. Und Angst vor den Tieren brauche keiner zu haben, sagt Koch: "Die Kühe sind die Leute gewohnt. Lisl ist auf jeden Fall eine, die verschmust ist, die will sofort Streicheleinheiten. Die Kühe sind nicht scheu, lassen sich anlangen."

Doch eine ungetrübte Idylle ist Georg Kochs Hof nicht. Das Wachstum der Stadt beobachtet der Bauer mit Sorge, sogar der Begriff "Existenzangst" fällt. Einige Kilometer südlich des Viehbetriebs entsteht gerade der neue Stadtteil Freiham. Schwierig könnte es werden, Lisl und die übrigen Tiere mit Futter zu versorgen: "Wir verlieren am Stadtrand auch Flächen, von denen wir abhängig sind, wir brauchen die Futterwiesen", sagt Koch. Getreide und Mais für die Kühe müsse er dann wahrscheinlich zukaufen. Auch wisse er noch nicht, wo er dann seine Gülle ausbringen könne, und der zusätzliche Autoverkehr werde mehr saure Niederschläge verursachen. Angst um ihre Heimat muss Lisl aber noch nicht haben. Landwirt Koch will seine Herde auf 80 Kühe vergrößern. "Ich bin da aufgewachsen", sagt er. "Wir bleiben da."

© SZ vom 20.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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