Drehorte:"Ich bin dafür, dass Säufer Filme machen"

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Seinen Film "Der Neger Erwin" hat Herbert Achternbusch in einem heute denkmalgeschützten Wirtshaus gedreht. Ein Werk voll böser Dialoge, wie man sie von diesem Stammtisch-Anarchisten kennt.

Von Jürgen Moises

Bier macht alles intensiver. Das hat Herbert Achternbusch vor mehr als 40 Jahren zum Theater- und Literaturkritiker Benjamin Henrichs gesagt. Selbstredend saßen die beiden dabei in einem Münchner Brauhaus. Der Biertisch, wo die Leute reden, schweigen oder brüten, er stellt so etwas wie das Zentrum des gesamten Achternbusch'schen Kosmos dar. Hier fangen die Geschichten des bayerischen Filmemachers, Schriftstellers und bildenden Künstlers, der am 23. November 80 Jahre alt wird, häufig an. Hier führen sie hin oder hier enden sie.

Das gilt vor allem für die frühen Filme, wie den Oktoberfest-Film "Bierkampf" von 1977. Oder "Der Komantsche" von 1979, der im damaligen Wienerwald in Buchendorf, einem Ortsteil von Gauting endet. Wieso? Weil es die echten Wälder nicht mehr gibt. Wo soll ein Komantsche also hingehen?

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Auch "Der Neger Erwin" von 1981 spielt zum großen Teil im Wirtshaus. Darin geht es um den von Achternbusch gespielten Erwin, der, frisch aus der Haft entlassen, mit einem bekannten Filmemacher verwechselt wird. Und der davon animiert die Wirtschaft "Zum Neger Erwin" aufsucht, wo er früher als weißer "Neger" gearbeitet hat, um dort als der angebliche Filmregissör Herbert Achternbusch einen Star für seinen nächsten Film zu suchen. Konkret hat er die Wirtin des Gasthauses und Liebe seines Lebens Susn im Sinn. Es kommt zu allerlei absurden, bösen Dialogen, wie man sie von dem Enfant terrible und Stammtisch-Anarchisten Achternbusch kennt, einem Casting in der Wirtsstube und einer Art Happy End mit Nilpferd.

Gedreht wurden die Wirtshausszenen im Gasthof Böck in Unterbrunn, einem weiteren Ortsteil von Gauting, Achternbuschs damaligem Lebensmittelpunkt. Hier lebte der 1938 als Herbert Schild in München geborene Achternbusch von 1975 an zahlreiche Jahre, bevor er zeitweise zu seiner damaligen Lebensgefährtin Annamirl Bierbichler nach Ambach und später nach München zog, wo er noch heute wohnt. Annamirl Bierbichler spielt im Film die Wirtin Susn. Die Rolle eines Museumswächters ist mit ihrem Bruder Josef Bierbichler, die einer "Italienerin" mit Lisa Fitz besetzt. Für weitere Rollen hat Achternbusch Freunde, Stammtischbrüder und Familienmitglieder engagiert. Also Laienschauspieler, die zwar "immer Mist" sagen, wie es im Film heißt. Aber wenigstens keinen "angelernten".

Was den Gasthof Böck angeht, der steht immer noch in Unterbrunn und wird nach mehrfachem Pächterwechsel frisch renoviert seit August von Thomas Penzenstadler geführt, dem ehemaligen Chefkoch aus dem "Augustiner" in der Münchner Fußgängerzone. Vom 1. Oktober an wird er auch offiziell das zugehörige Hotel führen. Eigentümer des 1864 erbauten, unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes ist die Familie Böck. Den Gasthof haben sie bereits in den 80ern sanieren und einen neuen Boden in der Gaststube verlegen lassen. An der Fassade hat sich kaum etwas geändert, weswegen man die Eingangstreppe in der Mitte und die schwarze Laterne darüber sofort wiedererkennt.

Auch das Nebenzimmer, wo hauptsächlich gedreht wurde, erkennt man noch, weil sich dort wie im Film Pokale und Ehrenurkunden des SV Unter-/Oberbrunn an der Wand reihen. Tatsächlich habe man das Innere nur etwas "aufgehübscht", sagt Familienoberhaupt und Landwirt Helmut Böck, der sich an die Dreharbeiten vor 38 Jahren kaum erinnert. Was er noch weiß, ist, dass es nur zwei Drehtage waren und er vom Fenster aus der Wohnung nebenan ab und zu beim Drehen zugeschaut hat. Alles andere müsse Achternbusch aber mit seinem Vater Willi Böck geregelt haben, der damals noch gelebt hat.

Den fertigen Film hat Helmut Böck gesehen, kann sich an den Inhalt aber ebenfalls nicht erinnern. Das heißt etwa an die rohen Eier, die Erwin als "Mittel der Selbstkontrolle" in den Taschen trägt. Daran, dass Erwin auf dem Weg zum Wirtshaus von einer "starken Dame" (Helga Loder) im Bierauto mitgenommen, dann wie ein Kind die Eingangstreppe hoch und rein in die Wirtsstube getragen wird. Oder daran, dass irgendwann ein zehn Meter langer "Neger" aus dem Maul eines Nilpferdes herauskommt.

Warum es Neger in der Wirtschaft gibt? Weil sie "eine Attraktion für den Fremdenverkehr" sind. Ihnen gehören jedenfalls genauso wie den Stammtisch-Indianern und Säufern bei Achterbusch die Sympathien. "Ich bin dafür, dass Säufer Filme machen", sagt ein Leutnant im Film. "Denn der Säufer kennt seine Heimat." Und das heißt: vor allem deren Abgründe. Was ein Grund dafür sein könnte, warum man Achternbusch-Filme so selten sieht. Aber zum Glück widmet ihm das Münchner Filmmuseum vom 19. Oktober an eine kleine Retrospektive, auch wenn "Der Neger Erwin" darin leider nicht vorkommt.

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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