SZ-Adventskalender:"Wir wollten, dass die afghanische Bevölkerung ein besseres Leben hat"

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Tamim F. mit seiner Frau und den drei Töchtern. In Afghanistan war sein Leben in Gefahr, weil er für das deutsche Militär arbeitete. (Foto: Catherina Hess)

Weil er für die deutsche Regierung arbeitete, musste Tamim F. vor den Taliban fliehen. Auch in München fühlt er sich nicht immer sicher. Das Leben am Existenzminimum belastet ihn und seine Familie sehr.

Von Sabine Buchwald

Anfang Dezember hatte er Geburtstag. Seine Frau und die drei Töchter überraschten ihn mit einer kleinen Torte. Eine Vier und eine Null steckten in dem zuckrigen Geschenk. "Ich bin jetzt 40 Jahre alt", sagt Tamim F., er kann es kaum glauben. Er hat viel erlebt und einiges erreicht. Dafür hat er hart gearbeitet und ist ein hohes Risiko eingegangen. Im Moment aber fühlt er sich wie in einer Sackgasse. Er möchte weiterkommen, seiner Familie ein "richtiges" Zuhause bieten und kann es nicht. Die Situation setzt ihm zu.

Immerhin, die fünf haben ein Dach über dem Kopf, mit ihren Mitteln gemütlich eingerichtet, penibel aufgeräumt. Nur Bilder der fröhlich lachenden Mädchen an den Wänden und die abgewaschenen Brotzeitboxen an der Küchenspüle deuten darauf hin, dass es hier Schulkinder gibt, eine Gymnasiastin und zwei Grundschülerinnen. Die fünf leben in einem Wohnprojekt des Sozialreferats, mit vielen anderen migrantischen Familien. Ein Labyrinth aus Gängen führt zur Unterkunft der Familie. Hier zu wohnen, bedeute, keine eigenständige Adresse zu haben, erklärt Tamim F. Die aber wäre wichtig für die ersehnte Einbürgerung, und die ist wichtig für eine eigene Wohnung. Sie würde ihm etwas von dem Druck nehmen, den er so stark spürt, der ihm Kraft nimmt, manchmal die Konzentration raubt.

Neben dem Elternschlafzimmer ist ein Keyboard aufgebaut. Tamim F. liebt es, Musik zu machen. Doch die Wände sind dünn, die Nachbarn haben sich beschwert. Seit einem Jahr traut er sich nicht mehr zu singen. Er ist im Norden Afghanistans aufgewachsen. "Neben einem Wasserfall", sagt der Mann mit den langen Haaren, die er am Hinterkopf zusammenbindet. "Ich habe eine kräftige Stimme."

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Er bittet ins Wohnzimmer. Seine Frau und die Kinder grüßen höflich und ziehen sich dann diskret zurück. Auf dem Tischchen neben dem Sofa ist eine Schale mit Pistazien und getrockneten Früchten vorbereitet. Tamim F. bietet Tee und Kaffee an.

In seiner Heimat war er Dolmetscher. Über ihn kommunizierten deutsche und afghanische Soldaten in Ausbildungscamps. Vier Jahre hat Tamim F. für die deutsche Regierung gearbeitet. Die Aufgabe hat ihm Freude gemacht, er hat dabei stetig besser Deutsch gelernt. Sein Wortschatz ist groß. "Ich habe damals ganz gut verdient", sagt er. Von seinem Gehalt profitierten seine Eltern und die elf Geschwister. Ums Geld allein aber sei es ihm bei dieser Aufgabe nicht gegangen, wohl auch den meisten seiner Kollegen nicht. "Es war immer unser Ziel, dass wir langfristig in Frieden leben können. Wir wollten, dass die afghanische Bevölkerung ein besseres Leben hat." Deshalb bauten sie auf die Ausbildung der einheimischen Soldaten.

Viele der Kollegen seien einfach verschwunden

Aber wer für Ausländer arbeitete, wurde zum Hassobjekt der Taliban. Tamim F. erzählt, dass sie Übersetzer aufspürten, deren Autos mit Batteriesäure verätzten, um sie kenntlich zu machen. Solche Fahrzeuge waren dann Zielscheibe von Anschlägen. Viele der Kollegen seien einfach verschwunden. Ihre verwesenden Überreste habe man oft erst nach Wochen gefunden. Das Ausmaß dieser Morde sei außerhalb Afghanistans gar nicht bekannt, sagt Tamim F.

Die Angst war während dieser Zeit immer an seiner Seite, sie hat ihn bis heute nicht losgelassen. Als auch der Lack seines Autos verätzt wurde, hielt er es nicht mehr aus und bat, nach Deutschland ausreisen zu dürfen. Seit 2014 wohnt er nun in München, seine Frau mit der noch kleinen ersten Tochter durften bald nachkommen. Ihre Eltern und Schwiegereltern haben sie seitdem nicht mehr gesehen. Jahr für Jahr planen Tamim F. und seine Frau ein Treffen auf neutralem Boden in Iran. "Aber wir schaffen es finanziell einfach nicht, so sehr wir auch sparen", sagt er.

Eigentlich hat der Familienvater einen anderen Namen. Aber weil er selbst in München schon kritische Situationen erlebt hat, einigt man sich mit ihm auf ein Pseudonym. Anfangs dolmetschte er auch hier, wenn es etwa um einen Aufenthaltstitel ging. Verlief der Antrag nicht wie gewünscht, lasteten enttäuschte Landsleute ihm das an. Tamim F. fühlte sich bedroht und gab den Job auf. "Ich wollte meine Familie nicht in Gefahr bringen", sagt er.

Das Leben in München ist teuer. Mit dem Geld, dass er als Veranstaltungstechniker verdient, kam die Familie bislang gerade so klar. Er bekomme nur Mindestlohn, sagt Tamim F., weil er nach drei Jahren Ausbildung die theoretische Abschlussprüfung nicht bestanden hat. Er habe in der Prüfungszeit nebenbei sehr viel gearbeitet, erzählt Tamim F. "Zu viel." Er hatte schon etliche Jobs, fuhr Taxi und stellte Zeitungen zu. "Ich habe meiner Frau versprochen, dass ich immer für sie sorgen werde", sagt er. Sein bisheriger Arbeitgeber kann ihm ab Januar nun aber keine Festanstellung mehr bieten. Die Kulturbranche schwächelt.

In der Nacht liegt Tamim F. oft wach und grübelt, wie es weitergehen soll. Er liebt diesen Beruf und möchte die Prüfung so bald wie möglich wiederholen. Seine Frau träumt von einer Ausbildung zur Friseurin, die Mädchen von einem Laptop für die Schule und eigenen Zimmern. Und sie hoffen, irgendwann ihre Großeltern umarmen zu können.

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