Politisches Kabarett:Demokratie für Dummies

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Ein grandioser Sven Kemmler bietet im Lustspielhaus München nicht nur Analyse und Kritik, sondern auch Lösungsvorschläge.

Von Oliver Hochkeppel, München

Mit einer Art Beipack-Zettel beginnt Sven Kemmler im Lustspielhaus sein neues Solo "Paradise Lost - Die Zukunft der Demokratie": Der Künstler lehne die Verantwortung für Nebenwirkungen seines - "klimaneutralen" - Programms ab und distanziere sich von der Weltgeschichte. Kein schlechter Trick, um den Druck wegzunehmen angesichts des einschüchternd großen und drängend aktuellen Themas, das ihm, wie er hinterher zugab, "soviel Arbeit gemacht hat wie noch kein Programm". Der Blick von außen auf das, wo man mittendrin steckt, hat ihm einen großen Wurf beschert: "Paradise Lost" schafft es locker in die imaginären Top Ten der Programme, die sich je explizit mit dem Thema Freiheit und Demokratie beschäftigt haben.

Das beginnt mit der sprachlichen Begriffsklärung, was ja schon immer eine große Stärke des Wort-, Satz- und Grammatikschmiedes Kemmler war. Ob ganz aktuell die Kriegs-Euphemismen - steht "Angriff" davor, ist's besonders böse, als "Operation" oder "Mission" wird es sozusagen alternativlos -, ob der Irrsinn der identitären Sprache und Denke, bloßgestellt in einem famosen "Charlotte Shatterhand und Wilfried Winnetou"-Sketch. Ohnehin reiht sich nach der Pause Höhepunkt an Höhepunkt: Vom "Issey Miyake-Duftbaum ,Bildung'", der mit dem "Duft der Aufklärung" aus dem versklavten Uber-Menschen Nietzsches Übermenschen macht, über eine zwerchfellerschütternde "Moby-Dick"-Adaption bis zu den Etappen des Entwicklungslands "Delfinien" auf dem Weg zur anerkannten Pseudo-Demokratie.

Nicht nur Analyse und Kritik bietet Kemmler an, sondern auch - eine Seltenheit im Kabarett - Lösungsvorschläge: das radikale Verkürzen und Verlosen von Ämtern gegen die Korrumpierung durch die Macht, praktizierte Höflichkeit gegen die gesellschaftliche Spaltung. Etwas Klügeres und Lustigeres zur offenen Gesellschaft und ihrer Feinde (um es mal mit Popper zu formulieren) hat man lange nicht auf einer Kleinkunstbühne gesehen.

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