Studie:Flüchtlinge sind nicht kränker als die hiesige Bevölkerung

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Refudoc-Organisator Matthias Wendeborn untersucht in der Bayern-Kaserne ein Flüchtlingskind aus dem Kongo. (Foto: REUTERS/Michaela Rehle)
  • Mediziner haben die Krankheitsdaten von 548 Flüchtlingen und Asylbewerbern ausgewertet.
  • Das Ergebnis: Flüchtlinge schleppen keine in Europa seltenen Krankheiten ein.
  • Viele der Erkrankungen sind Folgen der beschwerlichen Flucht.

Von Stephan Handel

Die in München ankommenden Flüchtlinge sind im Durchschnitt nicht kränker als die hier lebende Bevölkerung. Vor allem ansteckende Infektionskrankheiten stellen keine große Gefahr dar. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, für die Tropen- und Infektionsmediziner des LMU-Klinikums und des Klinikums Schwabing zusammengearbeitet haben; ebenfalls beteiligt war die Organisation Refudocs, die die medizinische Versorgung von Flüchtlingen in den Unterkünften organisiert.

Die Mediziner haben Daten von 548 erkrankten Flüchtlingen und Asylbewerbern ausgewertet, die zwischen Juni 2014 und Frühjahr 2015 untersucht wurden. Die Patienten waren dabei schon als krank identifiziert - entweder, weil sie sich selbst zur Untersuchung begeben hatten, oder weil sie bei einer Eingangsuntersuchung auffielen.

Die meisten litten an Erkrankungen der Atemwege - einfache Erkältungen, Bronchitis, Mandel- oder Lungenentzündung. Darunter waren auch 22 Fälle von Tuberkulose und einer von Typhus. Das allerdings ist laut Michael Seilmaier, einer der Autoren der Studie, keine Besonderheit: "Unter deutschen Reiserückkehrern haben wir im Jahr drei bis vier Typhusfälle."

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Überhaupt bezeichnen die Mediziner das Krankheitsbild in der Gruppe der Flüchtlinge als "ubiquitär". Das bedeutet "überall vorkommend" und meint, dass keine auffällige Häufung bestimmter Erkrankungen festzustellen ist, geschweige denn, dass Flüchtlinge in Europa nicht oder nur selten vorkommende Krankheiten "einschleppen" würden.

Erkrankt ein Flüchtling schwer, kann er nicht weiterreisen

"Die gefährlichen Infektionskrankheiten haben sehr kurze Inkubationszeiten", erklärt Seilmaier. "Wenn sich ein Mensch auf der oft monatelangen Flucht zum Beispiel mit dem Dengue-Fieber ansteckt, dann erkrankt er bald so schwer, dass er nicht weiterreisen kann. Da ist der Urlauber viel gefährlicher, der sich im Ausland ansteckt und zwei Tage später mit dem Flugzeug nach Deutschland zurückkehrt."

HIV ist so gut wie überhaupt nicht vorhanden - unter den untersuchten Patienten fanden sich sieben Erstdiagnosen: Syrien, woher die meisten Flüchtlinge kommen, ist, was HIV angeht, kein Risiko-Gebiet. 39 Patienten waren an Malaria erkrankt, sie stammten aus Eritrea, Somalia, Mali und Nigeria. Außer für die Patienten ist die Krankheit kein Risiko; sie ist von Mensch zu Mensch nicht übertragbar.

Viele der Erkrankungen, die die Hilfesuchenden mitbringen, sind eine Folge der langen Flucht unter schwierigsten Bedingungen. Die Münchner Infektiologen müssen sich dabei um hierzulande so gut wie ausgestorbene Krankheitsbilder kümmern: "Das Läuserückfallfieber haben wir hier seit 60 Jahren nicht mehr gesehen", sagt Seilmaier. Es entsteht bei Läusebefall, wenn die Parasiten selbst mit einem Bakterium infiziert sind.

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Andere Erkrankungen haben ihren Grund im schlechten gesundheitlichen Allgemeinzustand der Flüchtlinge - schon allein, was die Ernährungslage betrifft: "Einen übergewichtigen Flüchtling habe ich überhaupt noch nicht gesehen", sagt Seilmaier. "Die meisten haben einen Body Mass Index von gerade mal 18 oder darunter" - also knapp an der Unterernährung. Kaum vorhandene Impfungen und die Unterbringung in Massenunterkünften sind zudem oft verantwortlich für Erkrankungen wie Masern oder Windpocken.

Das sind aber keine Risiken, die die Menschen von ihrer Flucht nach Deutschland mitbringen - in Syrien zum Beispiel gab es bis zum Beginn des Krieges ein sehr gut funktionierendes Gesundheitssystem. Nun aber wird dort gebombt, die Menschen machen sich unter größten Entbehrungen auf den langen und gefährlichen Weg nach Europa, und wenn sie dann hier ankommen, sind sie so geschwächt, dass ihr Immunsystem Krankheitserregern keinen großen Widerstand mehr entgegensetzen kann.

"Wenn ein Flüchtling mit Deutschen in der U-Bahn fährt", sagt Michael Seilmaier, "dann sind aus infektiologischer Sicht wahrscheinlich die Deutschen für ihn gefährlicher, als er es für sie ist."

© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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