Lesenswert:Viel mehr als ein Krimi

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"Die Nachgeherin" ist das zweite Buch des Dießener Autors Stefan Dressler nach der Novelle "Das Fest der unschuldigen Kinder". (Foto: Nila Thiel)

Der Autor Stefan Dressler klärt im Roman "Die Nachgeherin" mysteriöse Todesfälle auf und beschreibt großartig die dumpfe Atmosphäre eines Dorfes zu Zeiten der Aufklärung.

Von Sabine Reithmaier, Dießen

Bayern zur Zeit der Aufklärung: Johann Balthasar Landsberger reist im Auftrag des Kurfürsten in ein abgelegenes Dorf, um mysteriöse Todesfälle aufzuklären. Angeblich wurde die Seelfrau des Dorfes von Wegelagerern erschlagen. Nach ihrem Tod regnet es Fische, verunglückten zwei junge Burschen unter eigenartigen Umständen. Die Dorfbewohner sind überzeugt davon, dass sie die Seelfrau als "Nachgeherin" geholt hat, um sich für ihre Ermordung zu rächen.

Seelfrauen waren früher für das Waschen und Einkleiden der Toten zuständig. "Damit alles mit rechten Dingen zugeht, bis der Tote vom Sterbebett ins Grab gekommen ist", heißt es im Roman von Stefan Dressler. Als der schneidige, elegante Landsberger, ein "fescher Mann", auf seinem großen Rappen ins Dorf geritten kommt, ahnen manche gleich, dass das für sie nicht gut ausgeht. Die Dorfbewohner schätzen den Aufklärer überhaupt nicht, daran lassen ihre Gespräche keinen Zweifel. Dressler setzt die Dialoge zwischen die oft sehr kurzen Kapitel, deren Titel meist bereits den ersten Satz des Textabschnitts darstellt. Die Menschen, die sich über die Ereignisse und andere Dörfler unterhalten, werden nicht mit Namen vorgestellt, sie bleiben anonym. Doch sie kommentieren das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven, erzählen von ihren Beobachtungen, Gefühlen und Empfindungen.

Dramaturgisch ist das ein geschickter Schachzug des Dießener Autors, der mit dem Roman "Die Nachgeherin" sein zweites Buch präsentiert, das wie die Novelle "Das Fest der unschuldigen Kinder" (2019) im Hirschkäfer Verlag erschienen ist. Die großartigen Illustrationen von Florian Scherzer tun das ihrige dazu, um die unheimliche, mystisch-okkulte Atmosphäre noch zu unterstreichen.

Der Gedanke an eine schöne alte Zeit kommt nie auf

Dressler, Jahrgang 1980, gelingt es, die dumpfe Hilflosigkeit der durch zahlreiche Verbote - sei es durch den Kurfürsten oder den Pfarrer - geknechteten Dörfler gut nachvollziehbar zu machen. Ständig ist es kalt, nass und ungemütlich, der Gedanke an eine schöne alte Zeit kommt nie auf. Das Leben ist viel zu hart, ständig drohen Missernten, und wer wen heiraten darf, bestimmen die Eltern. Homosexualität oder Inzucht darf es - offiziell zumindest - nicht geben.

Anders als die Dorfbewohner glaubt Landsberger, ein Anhänger des Religionskritikers Baruch de Spinoza, nicht an unerklärliche Mysterien. Daher macht er sich entschlossen an die Aufklärung. Doch je weiter er vorankommt, je mehr er verzweifelte Leidenschaften oder unbändigen Hass im Dorf erforscht und Zusammenhänge entdeckt, desto mehr holen ihn die eigene Vergangenheit und sein eigener "Nachgeher" ein. Sein allmähliches Irrewerden, das Schwanken zwischen Vernunft und Wahnsinn, bis er sich schließlich "in einer entlegenen Ecke seines Geistes mit den Toten eingesperrt" fühlt, ist packend erzählt. Aber natürlich - schließlich handelt es sich um einen Krimi - klärt er trotz aller Widerstände alles auf. Und ist zum Schluss froh, dem düsteren Dorf wieder zu entkommen.

Stefan Dressler: Die Nachgeherin, Hirschkäfer-Verlag, 144 Seiten, vierfarbig, illustriert von Florian Scherzer, Preis: 18,90 Euro

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